Widerstand gegen Bush's Kriegspläne
Abgeordnete des Britischen Parlaments warnen vor Irak-Feldzug
London gilt als treuester Verbündeter der USA. Seit mehr als 10
Jahren fliegen anglo-amerikanische Flugverbände Angriffe auf irakische
Stellungen in den nur von den Briten und den USA beanspruchten sog.
"Flugverbotszonen". Am Vier-Tage-Bombenkrieg gegen den Irak kurz vor
Weihnachten 1998 beteiligte sich Großbritannien ebenso wie an der
Bombardierung Afghanistans 2001/2002. Alles deutete darauf hin, dass die
britische Regierung auch die nächste Phase des US-"Krieges gegen den
Terror" ohne Murren mitmachen würde. Doch es regt sich Widerstand. Blair
erhält Gegenwind aus seinen eigenen Labour-Reihen bis hinein in sein
Kabinett und auch konservative Abgeordnete beginnen aufzumucken. Ein
neuerlicher Waffengang an der Seite des großen Bruders im Nahen Osten
ist noch längst nicht beschlossene Sache. - Lesen Sie zur Information
den Bericht eines Londoner Korrespondenten der Tageszeitung "Neues
Deutschland".
Widerstand in London gegen Irak-Krieg
Blairs kämpferische Rhetorik spaltet die britische Politik / 71
Abgeordnete warnen vor militärischer Aktion
Von Michael Steininger, London
Der britische Außenminister Jack Straw sieht »überwältigende und
zwingende Beweise«
dafür, dass Irak Massenvernichtungswaffen entwickelt. Er sagte das am
Dienstag im
Unterhaus, nachdem Abgeordnete aller Parteien ihre Bedenken gegen einen
möglichen Krieg
zum Sturz von Päsident Saddam Hussein geäußert hatten.
Fernab der Heimat, beim Commonwealth-Gipfel in Australien, tat Premier
Tony Blair seine Überzeugung
kund, dass man speziell gegen das irakische Ende der »Achse des Bösen«
vorgehen müsse, bevor es
zu spät sei. Doch diese Verlautbarung sorgte für erhebliche Unruhe in
Westminster. Seither sind
Außenminister Jack Straw und Vizepremier John Prescott bemüht, die
aufmüpfigen Parlamentarier zur
Räson zu bringen. Ohne rechten Erfolg. Mit jedem Tag mehren sich die
Stimmen derjenigen, die vor
einer militärischen Aktion in Irak warnen. Ende letzter Woche hatten
bereits 71 Abgeordnete, darunter
etliche aus Labour-Reihen, eine entsprechende Petition unterzeichnet.
Auch von gegensätzlichen
Positionen innerhalb des Kabinetts war zu hören.
Entwicklungshilfe-Ministerin Clare Short, die sich
bereits kritisch zum Militäreinsatz in Afghanistan geäußert hatte,
sagte, es müsse andere Wege als
Angriffe gegen das irakische Volk geben, um Saddam Hussein zu stürzen.
Und am Montag brachten
die Labour-Abgeordneten Alice Mahon und Tam Dalyell persönlich einen
Brief nach Downing Street 10,
in dem sie Tony Blair aufforderten, sich nicht an einem Krieg in Irak zu
beteiligen.
An eben diesem Montag machte USA-Vizepräsident Dick Cheney auf dem Weg
zu seiner
Nahostmission Zwischenhalt in London. Dass er am selben Tage die
EU-Außenminister fast sämtlich in
Brüssel hätte treffen können, ignorierte Cheney. Stattdessen prüfte er
Blairs Bündnistreue. Er sei nach
London gekommen, nicht um Kriegserklärungen zu machen, sondern um mit
Freunden und
Verbündeten zu beraten, so der Vizepräsident. Beim Einsatz in
Afghanistan hätten USA-Truppen
Beweise dafür gefunden, dass Al-Qaida-Terroristen großes Interesse an
Massenvernichtungswaffen
zeigten. Der Irak müsse deshalb UNO-Inspektoren freien Zugang zu seinen
Waffenarsenalen und
-produk-
tionsstätten gewähren. Und nein, ein möglicher Einsatz in Irak und der
Nahostkonflikt seien nicht im
Zusammenhang zu betrachten, vielmehr müssten die beiden Probleme
unabhängig voneinander gelöst
werden.
Cheneys Besuch hat die kritischen Stimmen in der britischen Politik
nicht zum Verstummen gebracht,
im Gegenteil. Selbst Douglas Hurd, Außenminister in den konservativen
Regierungen von Margaret
Thatcher und John Major, meldete Zweifel an der US-amerikanischen
Denkweise an. Lord Hurd ist
überzeugt, dass Washington das irakische Regime nicht gewaltsam
auswechseln kann, ohne dabei
Unterstützung von arabischen Verbündeten zu erhalten. Doch auf diese
Unterstützung dürften die USA
nicht hoffen, solange das Töten im Nahen Osten anhalte. Überdies sollte
ein Militäreinsatz von einer
UN-Sicherheitsrat-Resolution abgedeckt sein.
Ein derartiges Mandat fordert auch ein Antrag, der am Dienstag von sechs
Parlamentariern im britischen
Unterhaus eingebracht wurde. Militäraktionen gegen Irak wären nur mit
Unterstützung der Vereinten
Nationen moralisch gerechtfertigt, begründete der Abgeordnete der
Schottischen Nationalisten, Angus
Robertson. Die Liberaldemokraten warnten, dass ein Einsatz in Irak die
Koalition gegen den Terrorismus
zerstören würde. Und der konservative Abgeordnete Douglas Hogg forderte
gar, das Parlament über
einen Militäreinsatz abstimmen zu lassen. Debattieren gern, abstimmen
nein, wiegelte Außenminister
Straw ab. Britischer Politikgepflogenheit folgend ist es das Kabinett,
und nicht das Parlament, das über
Kriegseinsätze zu beschließen hat. Doch je breiter der politische
Widerstand gegen einen solchen
Einsatz wird, um so schwerer wird den Ministern ein solcher Beschluss
fallen. Wenn sich dann noch
die öffentliche Meinung gegen Blair wenden sollte...
Schon mehren sich Stimmen, der Premier sei zwar umtriebig in der
Weltpolitik, vernachlässige jedoch
seine häuslichen Pflichten. Schließlich verkündeten am Dienstag die
Mineralölkonzerne Esso und Shell
Preiserhöhungen von einem Pence pro Liter Benzin und begründeten die
Verteuerung mit den
Unwägbarkeiten möglicher Kampfeinsätze in Irak. Die wohl schwerste
Prüfung erfuhr Blairs Regierung
im Herbst 2000, als Benzinpreisproteste von Truckern das Land lahm
legten. Das dürfte der
Premierminister kaum vergessen haben.
Aus: Neues Deutschland, 14. März 2002
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