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Krieg führen heißt: Straflos töten

Justiz stellte Ermittlungen gegen den Kundus-Bomber Oberst Klein ein

Siebeneinhalb Monate nach dem verheerenden Luftangriff nahe dem afghanischen Kundus hat die Bundesanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen Oberst Georg Klein und seinen Flugleitoffizier, Hauptfeldwebel Markus Wilhelm, eingestellt.

Bei dem Bombenangriff am 4. September 2009 sei weder gegen Vorschriften des Völkerstrafgesetzbuches noch gegen das deutsche Strafgesetzbuch verstoßen worden. Der Einstellungsbeschluss ist mit dem 16. April 2010 datiert. Ein Datum, das man sich merken sollte. Erstmals hatte die Bundesanwaltschaft gegen deutsche Soldaten wegen eines möglichen Verstoßes gegen das Völkerstrafgesetzbuch ermittelt - und nun einen Freibrief ausgestellt.

Klein hatte den Befehl gegeben, zwei von Aufständischen gekaperte Tankwagen, die sich im Kundus-Fluss festgefahren hatten, zu bombardieren. Dabei starben vermutlich bis zu 142 Menschen - Bewaffnete wie Zivilisten.

Die Karlsruher Juristen hatten »aufwendige Prüf- und Ermittlungsverfahren« gegen die beiden Bundeswehrangehörigen eingeleitet, um schließlich herauszufinden: »Nach Ausschöpfung der ihnen... zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten hatten die Beschuldigten keine Hinweise auf die Anwesenheit von Zivilisten«. Deshalb war Klein auch »nicht verpflichtet, Warnhinweise vor dem militärischen Angriff zu geben«. Der Angriffsbefehl, so der Befund der Chefermittler, war »völkerrechtlich zulässig« und daher kein Verstoß gegen das deutsche Strafgesetz. Der Oberst habe »keine ihm gebotene und praktikable Aufklärung unterlassen«. Doch selbst wenn Klein über die Anwesenheit von Zivilisten informiert gewesen wäre - hätte er keine verbotene Methode der Kriegsführung angewandt. Denn die setze voraus, »dass der Angriff die Tötung oder Verletzung von Zivilpersonen oder die Beschädigung ziviler Objekte in einem Ausmaß verursachen wird, das außer Verhältnis zu dem insgesamt erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil steht«.

Damit bleiben die Karlsruher Anwälte sogar weit hinter dem (geheimen) Untersuchungsbericht der NATO zurück. Doch auch gegen die darin erhobenen Vorwürfe beziehen sie indirekt Positionen. Schließlich gelten ISAF-Einsatzregeln, gegen die Klein laut NATO verstoßen hat, »rein intern«.

Die Einstellungsentscheidung kann prägend sein für den Kundus-Untersuchungsausschuss, der am Donnerstag Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) als Zeugen geladen hat. Gestern hatte Merkels Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) angekündigt, dass die Kanzlerin gleichfalls am Donnerstag eine Regierungserklärung zu Afghanistan abgeben will. Es müsse deutlich werden, dass »die Politik« hinter dem Einsatz stehe.

Die IPPNW-Friedensorganisation fordert die deutsche Regierung dagegen auf, einen sofortigen einseitigen Waffenstillstand und den Rückzug der Einheiten in ihre Camps anzuordnen.

* Aus: Neues Deutschland, 20. April 2010


Freibrief

Von Uwe Kalbe **

Die Ermittlungen gegen Oberst Klein sind eingestellt. Er ist des Verdachts enthoben, gegen Recht verstoßen zu haben, als er den folgenschweren Angriff bei Kundus befahl. Es ist anzunehmen, dass der Mann erleichtert ist. Seine Last ist damit nicht geringer.

Ob er unter dieser leidet, ist eine andere Frage, denn Oberst Klein hat die Bestätigung erhalten, dass er rechtens gehandelt hat. Und mit ihm haben alle anderen Kommandeure der Bundeswehr in Afghanistan diese Bestätigung erhalten. Ein Freibrief, der Folgen haben dürfte. Der Kollateralschaden als notwendiger Preis angeblich bester Absichten ist nun auch zum rechtlich sanktionierten ideologischen Marschgepäck deutscher Soldaten geworden.

Die Richter entschieden nach dem Recht des Völkerstrafgesetzbuches, das erst 2002 entstanden ist. Entstanden eigentlich für die Kriegsverbrechen, die die vermeintlichen Schurken dieser Welt begehen. Als Kriegsverbrechen gilt danach, wenn der Tod von Zivilisten zum erwarteten militärischen Vorteil in keinem angemessenen Verhältnis steht und vorsätzlich in Kauf genommen wurde. So hat der Gesetzgeber die Voraussetzungen geschaffen, Kriege auch strafrechtlich so zu bewerten, wie es jeweils der eigenen politischen Anschauung entspricht. Nicht der Tod von Unschuldigen ist die messbare Größe, sondern dass dieser Tod vertretbar ist. Wenn ein Bombenangriff nicht gegen geltendes Recht verstößt, dann ist zu fragen, zu welchem Zweck dieses gilt..

** Aus: Neues Deutschland, 20. April 2010 (Kommentar)


Protest gegen Freispruch

Von Arnold Schölzel ***

Mit scharfen Worten kritisierten Linkspartei, außerparlamentarische Organisationen und Anwälte am Dienstag (20. April) die am Tag zuvor von der Bundesanwaltschaft verkündete Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Bundeswehr-Oberst Georg Klein. Er hatte in der Nacht zum 4.September 2009 einen Luftschlag gegen zwei im Sand des Kundusflußtales in Nordafghanistan festsitzende Tanklaster angeordnet, um die dort anwesenden Menschen zu »vernichten«, wie er notierte. Gegenüber den US-Piloten zweier Bombenflugzeuge, die an dieser Stelle zahlreiche Zivilisten vermuteten, machte er laut Untersuchungsberichten falsche Angaben über eine angebliche Bedrohung des deutsche Camps in Kundus und bestand auf seinem Befehl zur Bombardierung. Dabei kamen bis zu 142 Menschen ums Leben, darunter zahlreiche unbewaffnete Zivilisten.

Unter dem Titel »Keine Lizenz zum Töten in Afghanistan!« kommentierte das Parteivorstandsmitglied der Linken, Christine Buchholz, am Dienstag die Entscheidung aus Karlsruhe mit den Worten: »Das ist ein politisches Urteil, das Rechtssicherheit schafft. Es bedeutet, daß sich die Bundeswehr künftig weniger Sorgen über die Folgen ihrer Handlungen machen muß. (...) Die Folge werden mehr tote Zivilisten sein.« Sie forderte »den sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan«. Die deutsche Sektion der Organisation »Juristinnen und Juristen gegen atomare, biologische und chemische Waffen« (IALANA) charakterisierte die Einschätzung und Wertung der Bundesanwaltschaft als »nicht nachvollziehbar«, die seinerzeitige Tötung zahlreicher Zivilisten stehe nicht »außer Verhältnis zu dem insgesamt (mit dem Luftangriff) erawarteten konkreten und militärischen Vorteil«. »Völlig unklar« bleibe auch, warum nach Meinung der Justizbehörde Oberst Klein davon »ausgehen durfte, daß keine Zivilisten vor Ort waren«. Die ­IALANA machte darauf aufmerksam, daß an der Spitze der Bundesanwaltschaft ein politischer Beamter oder eine Beamtin steht, »der/die von der Exekutive (Bundesregierung) weisungsabhängig ist« und bei Fehlen von »Vertrauen« in den einstweiligen Ruhestand geschickt werden könne. Umso notwendiger seien ein Klageerzwingungsverfahren und ein Disziplinarverfahren. Der Berliner Anwalt Wolfgang Kaleck kündigte am Dienstag gegenüber jW an, er werde entsprechende Schritte einleiten.

Empört äußerte sich auch die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Vereinigung »Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges« (IPPNW). Ihr stellvertretender Vorsitzender Matthias Jochheim erklärte in einer Pressemitteilung: »Das ist im Ergebnis der Freispruch für ein Massaker an unbewaffneten Zivilisten.« Er verlangte einen sofortigen Waffenstillstand und die Ausarbeitung eines zügigen Abzugsplanes aller ausländischen Truppen.

Dagegen erklärten mehrere Unionspolitiker am Dienstag (20. April) die Arbeit des Bundestagsuntersuchungsausschusses zu dem Bombardement für »erledigt«. Am Donnerstag soll Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) vor dem Gremium aussagen. Er zeigte sich über die Entscheidung der Bundesanwaltschaft erfreut und äußerte, sie schaffe auch für die Soldaten im Einsatz »größtmögliche Rechtssicherheit«. In Berlin empfängt Guttenberg heute den Oberkommandierenden der NATO-Besatzungstruppen in Afghanistan, US-General Stanley McChrystal. Für den morgigen Donnerstag hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Regierungserklärung zum Afghanistan-Krieg im Bundestag angekündigt.

*** Aus: junge Welt, 21. April 2010


"Wir werden die Entscheidung nicht hinnehmen"

Kundus-Massaker: Opferanwälte wollen durchsetzen, daß Oberst Klein doch noch vor Gericht kommt. Gespräch mit Wolfgang Kaleck ****

Sie vertreten gemeinsam mit Ihren Kollegen Bernd Docke und Karim Popal Angehörige der Opfer des Bundesawehrmassakers in Kundus. Das Verfahren gegen den dafür verantwortlichen Oberst Georg Klein wurde am Montag von der Bundesanwaltschaft eingestellt. Werden Sie dagegen vorgehen?

Zunächst einmal werden wir aus formalen Gründen Einspruch einlegen - uns wurde weder Akteneinsicht gewährt noch die Gelegenheit gegeben, uns zum Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern.

Wir gehen aber auch davon aus, daß die Begründung der Bundesanwaltschaft, deren Text wir inhaltlich noch gar nicht im Detail kennen, auch inhaltlich anfechtbar ist. Im übrigen meine ich, daß das Wort »Massaker« den Sachverhalt nicht trifft, damit bezeichnet man eigentlich eine andere Dimension der Tötung von Menschen.

Die Bundesanwaltschaft ist weisungsgebunden. War die Einstellung Ihrer Ansicht nach eher eine politische oder eine juristische Entscheidung?

Das, was man von der Bundesanwaltschaft zu diesem Thema zu hören bekam, legt die Vermutung nahe, daß man das Verfahren schnell und für das Verteidigungsministerium schonend zu Ende bringen wollte. Zum Beispiel verstehe ich überhaupt nicht, warum die Bundesanwaltschaft nicht die vollständigen Ermittlungen des Kundus-Untersuchungsausschusses im Bundestag abgewartet hat.

Welche Auswirkungen hat diese Entscheidung? Hat die Bundeswehr künftig mehr Spielraum in Afghanistan?

Wir müssen erst einmal abwarten, wie es weitergeht - wir können nicht schon einen Tag nach Mitteilung der Entscheidung einen Schlußstrich ziehen. Wir werden sie jedenfalls nicht ohne weiteres hinnehmen, sondern uns mit allen rechtlichen Möglichkeiten zur Wehr setzen. Wir werden unter anderem darauf hinweisen, daß die Bundesanwaltschaft wichtige Regeln des humanitären Völkerrechts nicht angemessen berücksichtigt hat.

Wie lange kann es dauern, bis juristische Klarheit herrscht?

Das kann ich schlecht sagen. Jetzt kommt es erst einmal darauf an, Akteneinsicht zu bekommen. Dann werden wir eine Beschwerde verfassen - das alles kann Wochen und Monate dauern.

Die Schuldigen an dem Tod von 142 Afghanen kommen also vorerst ungeschoren davon - hätte nicht auf der politischen Ebene mehr Druck auf die Bundesregierung ausgeübt werden müssen, um die Einstellung des Verfahrens zu verhindern?

Von wem hätte der Druck kommen sollen?

Zum Beispiel von der Linkspartei. Deren Bundestagsfraktion ist ja die einzige, die die deutsche Beteiligung am Afghanistan-Krieg ablehnt.

Nicht nur von den Linkspartei-Abgeordneten, sondern von allen Parlamentariern wünsche ich mir als erstes, daß die Selbstverständlichkeit akzeptiert wird, daß hoheitliches Handeln deutscher Politiker, Polizisten oder Soldaten rechtlich überprüft wird. Das ist in diesem Fall allem Anschein nach weder transparent noch umfassend geschehen.

Und zweitens wird man in diesem konkreten Fall zu dem Schluß kommen, daß Regeln des humanitären Völkerrechts mißachtet wurden. Und das muß Folgen haben - und zwar nicht nur in einem Strafverfahren gegen Oberst Klein, sondern auch auf anderen Ebenen, zum Beispiel im Entschädigungsverfahren.

Was wollen Sie konkret unternehmen - gibt es die Möglichkeit, über ein Klageerzwingungsverfahren die Staatsanwaltschaft zum Jagen zu tragen?

Das wäre erst der übernächste Schritt. Nach der Akteneinsicht werden wir Beschwerde einlegen bzw. Argumente gegen die Einstellung einreichen. Erst danach können wir über die weiteren Schritte entscheiden - und das könnte in der Tat ein Klageerzwingungsverfahren sein. Allerdings sind wir nicht so pessimistisch, von vornherein zu sagen, daß die Bundesanwaltschaft sowieso bei ihrer Meinung bleibt. Wir gehen vielmehr mit der Einstellung an diesen Fall, daß wir gute Gründe vorbringen können und daß sich die Bundesanwaltschaft mit unseren Argumenten auch befassen wird.

Interview: Peter Wolter

**** Aus: junge Welt, 21. April 2010


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