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ISAF-Killerlisten und tote Kinder bei Kundus

Bundeswehr-Untersuchungsausschuss begab sich bislang nur halbherzig auf "Fehlersuche"

Von René Heilig *

Gestern (10. Feb.) begann der Verteidigungsausschuss, der sich gemäß Artikel 45 des Grundgesetzes zum Untersuchungsausschuss gewandelt hat, mit der Zeugenvernehmung. Der Untersuchungsauftrag umfasst sieben Punkte. Sie reichen nicht aus, um die wirklichen Ursachen des Bombenangriffs vom 4. September 2009 zu klären.

Christine Buchholz und Jan van Aken, beide sitzen für die Linksfraktion im Verteidigungsausschuss, waren unlängst in Kundus. Sie sprachen mit Opfern und Hinterbliebenen des Bombenangriffs, den Oberst im Generalstab Georg Klein am 4. September 2009 befohlen hat. Vermutlich über 140 Menschen sind bei der Attacke auf zwei entführte Tanklaster, die im Kundus-Fluss stecken geblieben waren, umgekommen. Darunter auch, wie Zeugen vor Ort berichten, 26 Schüler. Der jüngste war zehn Jahre alt.

Ruf nach mehr Waffen

Buchholz und van Aken waren sichtlich beeindruckt von ihren Erlebnissen im Kriegsgebiet. Aber auch von der offenen Art, mit denen ihnen die meisten Bundeswehrangehörigen in Kundus begegneten. Natürlich wissen die Soldaten, dass die LINKE ihr Tun am Hindukusch nicht toleriert und dass sie den Rückzug noch in diesem Jahr fordert. Schon damit sich so etwas wie bei Kundus nicht wiederholen kann. Vielleicht machte das die beiden Parlamentarier glaubwürdiger als Kollegen anderer Fraktionen, die pausenlos versichern, wie fest sie hinter den Soldaten stehen - und sie dann alleine lassen. Soldaten kreiden den Mandatszustimmern unter anderem eigene Rechtsunsicherheit wie ungenügende Ausrüstungen an.

Wer sich im Verteidigungs- bzw. Untersuchungsausschuss unter jenen umhört, die keinen Gedanken an schnellen Rückzug verschwenden, der vernimmt die Forderung nach dem Einsatz von Panzerhaubitzen und Kampfhubschraubern, die man nicht hat. Mehr Soldaten - wie gestern erneut im Parlament beantragt - und schwere Waffen führen mit Sicherheit zu weniger Sicherheit. Trotz gegenteiliger Beteuerung befahl man den Soldaten schon vor über einem Jahr, den Kampf gegen die im Norden immer stärker werdenden Taliban offensiver zu führen. Nur dafür hat Deutschland die Quick Reaction Force, die schnelle Eingreiftruppe, gebildet und Spezialkräfte an den Hindukusch verlegt. Doch diese Strategie ist ohne den Feind gemacht. Beispiel - die Offensive im Juli 2009 im Distrikt Chahar. Die Angegriffenen wichen den Angreifern aus. Kaum war die Bundeswehr wieder im Stützpunkt, kehrten die Taliban zurück. Im Krieg gegen Partisanen - und so etwas sind die Taliban in gewisser Weise - hilft nur eine Taktik, erklären Militärs mit einem unguten Gefühl im Magen: Man muss eigene Kräfte als Lockvögel ausschicken, um so Angreifer herauszulocken und bekämpfen zu können. Welcher Kommandeur übernimmt diese Verantwortung?!

KSK-Aktion in Kundus

Vermutlich ist die Ansammlung Anfang September am Fluss dem Oberst Klein gerade recht gekommen. Man hatte ihn mit Geheimdienst- und anderen Aufklärungsresultaten gefüttert. Sie besagten erstens, dass in den Ortschaften Omar Khel, Haji Amanullah und Isa Khel - also rings um sein Camp - Taliban-Befehlshaber ihre Truppen sammelten. Zudem berichteten Dienste, dass ein propagandistisch wichtiger Angriff gegen das deutsche Camp vorbereitet würde. Mit Tankwagen als rollende Bomben sollte eine Bresche in die Sicherungsanlagen gesprengt werden.

Es wird zu klären sein, was an diesen Szenarien dran war. Dafür jedoch müsste man gewiss auch BND-Mitarbeiter laden und deren Zusammenarbeit mit KSK-Elitesoldaten klären, die als Angehörige der Task-Force 47 (TF-47) bei der Befehlsgebung in der Nacht vom 4. September eine vielleicht entscheidende Rolle spielten.

TF-47 - die Truppe gehört zum Geheimsten des Geheimen in Afghanistan und hat enge Beziehungen zu US-Special-Forces. Normalerweise operieren die KSK-Angehörigen in Vierer-Teams, klären Taliban-Stützpunkte auf und greifen sie bisweilen an. Ein Jahr lang jagten sie so Abdulk Rasek. Der stand auf einer »capture/kill List« der ISAF. Der Ausschuss wird zur Kenntnis nehmen müssen, dass auch deutsche »Aufklärer« (gehören die wirklich zur Bundeswehr?) diese Liste mit Namen von Taliban-Führern auffüllen. Die werden dann nach ND-Informationen pro forma vom Einsatzführungskommando bestätigt. Der Ausschuss wird fragen müssen, wer die Namen mit einem C oder K (captur=ergreifen oder kill=töten) versieht? Sicher scheint, dass man im Gefechtsstand der TF-47 vier Taliban-Führer, die auf der Liste stehen, am Flussübergang vermutete.

Mit einiger Sicherheit kann man davon ausgehen, dass die öffentlich noch namenlosen Diensthabenden der TF-47 ebenso wie Oberst Klein sich die Chance nicht entgehen lassen wollten, in dieser Nacht am Fluss - mit einer US-Bombe, also ohne eigene Gefährdung - einen entscheidenden Vorteil zu erringen. Allein im vergangenen Jahr hatte die Bundeswehr mindestens 56 Mal US-Luftunterstützung angefordert. Diesmal nahmen die Bundeswehr-Kommandeure zivile Opfer in Kauf. Sie berufen sich dabei auf eine vom Kriegsvölkerrecht vorgesehene perverse Abwägung zwischen Nutzen und Verlusten.

Der Ausschuss sollte sich - untersucht er Verfehlungen militärischer Art - dem Thema Kompetenz und Sorgfalt der Einsatzvorbereitung zuwenden. Dazu muss man unbedingt den (einzigen!) heimischen Informanten befragen, der sich in dieser Nacht sieben Mal per Handy als »Zielzuweiser« betätigte und angeblich versicherte, dass nur Taliban am Fluss seien.

Wichtige Zeugen fehlen

Bei einer Befragung würde sich wahrscheinlich zeigen, dass der BND-Spion Farsi spricht, also vermutlich zu den Tadschiken gehört. Die Leute am Fluss sprachen Paschtu. Zwischen Tadschiken - von der einstigen westlich gelenkten afghanischen Nordallianz - und Paschtunen besteht seit den Kämpfen 2001 fortgesetzte Feindschaft. Wie belastbar waren also die Informationen, die zum Massenmord führten? Antworten könnten der Informant und ein Bundeswehr-Dolmetscher geben. Beide stehen bislang nicht auf der geheimen Zeugenliste des Ausschusses.

* Aus: Neues Deutschland, 11. Februar 2010


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