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Oberst Klein vorm Untersuchungsausschuß

Zeugenvernehmung zum Bombenangriff auf Zivilisten im afghanischen Kundus beginnt heute

Von Jörn Boewe *

Mit der Vernehmung des Bundeswehrobersts Georg Klein beginnt der Kundus-Untersuchungsausschuß des Bundestages am heutigen Mittwoch (10. Feb.) seine Zeugenbefragungen. Klein hatte am 4. September 2009 in der nordafghanischen Provinz Kundus den Befehl zum Bombardement auf zwei gestohlene Tanklaster gegeben, bei dem nach bisherigem Stand mehr als 140 Menschen getötet oder verletzt wurden, darunter zahlreiche Zivilisten. Unter diesen befanden sich afghanischen Quellen zufolge rund zwei Dutzend Kinder.

Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) ließ am Dienstag über seinen Sprecher Christian Dienst erklären, er würde es »im Sinne größtmöglicher Transparenz« begrüßen, wenn Oberst Klein vor dem Ausschuß aussagen würde.

Tatsächlich gilt es aber als unwahrscheinlich, daß sich Klein den Fragen der Abgeordneten stellt. Da der Generalbundesanwalt derzeit die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen ihn prüft, darf Klein Aussagen verweigern, mit denen er sich selbst strafrechtlich belasten könnte.

Insgesamt sind dem Vernehmen nach für den heutigen Sitzungstag vier Zeugen geladen, darunter der Feldjäger, der den Bericht verfaßte, der später zum Rücktritt von Guttenbergs Vorgänger Franz Josef Jung (CDU) führte. Die Zeugenvernehmung findet unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Zur Begründung werden wahlweise der Schutz von Persönlichkeitsrechten, eine besondere Gefährdungssituation der Zeugen bzw. Staatsinteressen angeführt. Der Geheimschutz geht so weit, daß selbst über die Liste der Zeugen unter den Obleuten der Fraktionen -- also offenbar unter Zustimmung der kompletten Opposition-- »Stillschweigen vereinbart worden ist«, wie der Abgeordnete der Linken, Paul Schäfer, gestern gegenüber jW auf Nachfrage bekräftigte.

So ist z. B. unklar, ob sich unter den heutigen Zeugen der Flugleitoffizier befindet, der die Operation unter der Verantwortung Kleins unmittelbar leitete. Nach Presseberichten soll es sich um einen Oberfeldwebel der Luftlandebrigade 26 (»Saarlandbrigade«) handeln. Der Mann, der bislang öffentlich nur unter seinem bei dem Angriff verwendeten Codenamen »Red Baron 20« bekannt ist, soll den Berichten zufolge gegenüber der NATO-Luftzentrale sowie den Besatzungen der F-15E-Bomber wahrheitswidrige Aussagen über die Lage gemacht haben, um die Piloten zum Angriff zu drängen. So sei etwa von »Feindkontakt« die Rede gewesen, obwohl sich verschiedene später vorgelegte Berichten zufolge weder deutsche noch sonstige NATO-Truppen und auch keine afghanischen Regierungskräfte in der Nähe der Fahrzeuge befanden. Unklar ist außerdem, wie die Rolle des Kommandos Spezialkräfte und der ominösen »Task Force 47« im Ausschuß geklärt werden soll. Bislang wird die Öffentlichkeit jedenfalls nicht einmal darüber informiert, ob überhaupt Zeugen aus diesen Gliederungen befragt werden.

Jedenfalls ist geplant, daß der Ausschuß zunächst die Fakten und Befehlsstränge klären soll, bevor er ab dem 18.März die politisch Verantwortlichen anhört, darunter Jung, Guttenberg und-- wenn sich die Opposition durchsetzen kann -- Bundeskanzlerin Angela Merkel. Zur Vernehmung der politisch Verantwortlichen soll nach bisherigen Ankündigungen die Öffentlichkeit zugelassen werden. Sollten sich bei den Befragungen der militärischen Zeugen tatsächlich brisante Erkenntnisse ergeben, für die die Regierung Geheimhaltungsinteressen reklamieren kann, ist allerdings damit zu rechnen, daß die Öffentlichkeit dennoch weitgehend ausgeschlossen wird.

Passend zum Start der Zeugenbefragungen stellten am Dienstag (9. Feb.) die Abgeordnete der Partei Die Linke, Christine Buchholz, und Linksfraktionsvize Jan van Aken Ergebnisse ihrer jüngsten Afghanistan-Reise vor. Beide hatten in der vergangenen Woche das Bundeswehr-Camp in Kundus besucht, sich mit regionalen Politikern sowie Angehörigen von Opfern des Bombardements vom September getroffen. Nach Angaben verschiedener lokaler Quellen seien bei dem Angriff 137 Menschen getötet worden, darunter 26 Schüler, berichtete van Aken. Offenbar waren die beiden Linke-MdBs die ersten deutschen Parlamentarier, die nach dem verheerenden Bombenangriff vom September Kontakt mit den Hinterbliebenen der Opfer suchten.

* Aus: junge Welt, 10. Februar 2010


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