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Quittung für Kundus?

Bremer Anwalt reicht weitere zehn Klagen für Opfer des Massakers vom September 2009 ein. Der Täter ist mittlerweile Brigadegeneral

Von Peter Wolter *

Der frischgebackene Brigadegeneral Georg Klein wird erneut mit seinem Verbrechen konfrontiert: Der Bremer Anwalt Karim Popal hat am Donnerstag beim Landgericht Bonn weitere zehn Klagen auf Schadenersatz für Hinterbliebene der Opfer eines von Klein am 4. September 2009 befohlenen Bombenangriffs eingereicht. Auf Anordnung des damaligen Obersten hatten US-Kampfbomber in Afghanistan zwei entführte Tanklastwagen bombardiert – dabei verbrannten Dutzende Menschen bei lebendigem Leibe, darunter Frauen und Kinder.

Im Auftrag von 426 Hinterbliebenden und Verletzten will Popal gemeinsam mit dem Bremer Juraprofessor Peter Derleder durchsetzen, daß die Bundesrepublik Deutschland 3,3 Millionen Euro an Entschädigung zahlt – je nach Fall 30000 bis 90000 Euro pro Person. Schon vor einem Jahr hatte der aus Afghanistan stammende Anwalt zwei Musterklagen erhoben, über die das Landgericht Bonn aber noch nicht entschieden hat. Die neuerlichen Klagen wurden kurz vor Ende der Verjährungsfrist eingereicht. Zuständig dafür ist das Landgericht Bonn, da das Bundesverteidigungsministerium nach wie vor in der ehemaligen Bundeshauptstadt seinen Hauptsitz hat.

Der Luftangriff erfolgte, nachdem angebliche Taliban-Kämpfer zwei Tanklastwagen entführt hatten. Nachdem die Fahrzeuge bei der Überquerung des Kundus-Flusses steckengeblieben waren, hatten Einheimische versucht, für den Eigenbedarf Benzin abzuzapfen. Klein hatte daraufhin Unterstützung bei den US-Streitkräften angefordert, die mit Bomben alles in Brand setzten – dabei kamen nach Popals Recherchen insgesamt 137 Menschen ums Leben. Die NATO ging damals von 142 Toten und Verletzten aus, die Bundeswehr selbst zählte 91 Tote und elf Verletzte.

Wie Popal am Freitag der jungen Welt berichtete, war unter den Toten auch ein Vierjähriger, der dort nur gespielt hatte. Unter den Opfern seien auch Straßenbauarbeiter sowie zwei afghanische Praktikanten der mittlerweile aufgelösten »Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit« gewesen. Wie damals berichtet wurde, hatte Klein auf Befolgung seines Befehls bestanden, obwohl sogar die Piloten der Kampfbomber wegen der vielen Zivilisten Bedenken angemeldet hätten. Ein interner Untersuchungsbericht der NATO soll nach Angaben von Nachrichtenagenturen Klein stark belastet haben. Mit dem Befehl zur Bombardierung habe er seine Kompetenzen weit überschritten, hieß es.

Zunächst hatte der Anwalt versucht, auf dem Verhandlungswege Entschädigungen für seine Mandanten durchzusetzen, die Gespräche wurden aber von dem damaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor von Guttenberg (CSU) abgebrochen. Einige Monate darauf zahlte das Ministerium »als humanitäre Geste« jeweils 3 600 Euro an die Familien von 91 Opfern. Umgerechnet sind das 5000 Dollar – die Standard-Entschädigung für ähnliche Fälle im Afghanistan-Krieg.

Guttenbergs Karriere ist mittlerweile beendet – er wurde als Betrüger entlarvt, der sich seine Doktorarbeit erschlichen hat. Im Gegensatz zu ihm ging es für Klein bergauf: Nach Deutschland zurückbeordert wurde er stellvertretender Leiter der Personalstammdienststelle der Bundeswehr, seit dem 1. Dezember ist er gar Brigadegeneral, besoldet nach Stufe B 6 (knapp 8 000 Euro pro Monat). Alle Versuche, Klein juristisch zur Verantwortung zu ziehen, sind bislang gescheitert.

* Aus: junge Welt, Samstag, 29. Dezember 2012


Falscher Ehrenhain

Von René Heilig **

Potsdam soll Standort eines Ehrenhaines für die in Afghanistan gestorbenen Bundeswehrsoldaten werden. Das haben der evangelische Militärbischof Dutzmann und sein katholischer Kollege Overbeck dem Verteidigungsminister vorgeschlagen. Bislang kamen 52 Deutsche in Leichensäcken vom Hindukusch zurück: 34 starben - wie es im Militärjargon heißt - »durch Fremdeinwirkung«, 18 stürzten mit einem Hubschrauber ab, einige hantierten unsachgemäß mit Waffen, drei suchten sich ihren Ausweg aus dem Leben selbst.

Jedes Schicksal, das sich in vielfachem Leid fortsetzt, ist beklagenswert. Gerade deshalb sollte man nachfragen, ob man an diesem Hain wirklich den Toten eine - wie auch immer geartete - Ehre erweisen will oder ob da nicht ein Ort geschaffen werden soll, an dem mit falschem Pathos neue Opfer rekrutiert werden. Gibt es nicht auf fast jedem Dorf so einen zumeist adlergekrönte Stein? Haben diese Denkmale dazu beigetragen, Kriege zu verhindern? Das ist schon deshalb unmöglich, weil der »Wahnsinn Krieg« zu einseitig widergespiegelt wird - es fehlen die Namen der Frauen, Männer und Kinder, die von den geehrten »Helden« und ihren überlebenden Kameraden umgebracht wurden. Die beiden Militärgeistlichen haben offensichtlich nicht vor, an dem geplanten Potsdamer Ehrenhain eine zweite Tafel zu segnen, eine für tote Afghanen. Deutschland gönnt ja nicht einmal den 140 Bombenopfern vom Kundus-Fluss Anerkennung und den Hinterbliebenen eine Entschädigung.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 29. Dezember 2012 (Kommentar)


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