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Nichts ist gut in Kundus

Dritter Jahrestag des Tanklasterbombardements: Opfer warten auf Gerechtigkeit und angemessene Entschädigung. Witwenmacher Klein wird schon einmal zum General befördert

Von Rüdiger Göbel *

Auf Befehl der Bundeswehr sind in der Nacht vom 3. auf 4. September 2009 im afghanischen Kundus mehr als 142 Menschen, darunter Kinder und Jugendliche, getötet worden. Drei Jahre nach dem gezielten Bombardement einer Menschengruppe, die sich um zwei von Taliban entwendete Tanklaster versammelt hatte, warten die Angehörigen der Toten und die Überlebenden noch immer auf eine Entschuldigung der Bundesregierung, eine angemessene Entschädigung und die Bestrafung der Täter. Der den Massenmord damals befehligende Bundeswehroberst Georg Klein wird demnächst zum General befördert (siehe junge Welt vom 9. August 2012). »Nichts ist gut in Kundus, « urteilt denn auch die friedenspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Christine Buchholz. Die Lage vieler Opferfamilien aus Kundus sei katastrophal. Die Hinterbliebenen verarmten und hätten Probleme, ihre Kinder zu ernähren. Allein 90 Frauen wurden durch die Bombardierung zu Witwen gemacht, erinnert die Linke. »Drei Jahre nach der Bombardierung muß die Bundesregierung endlich Verantwortung für das Massaker übernehmen und die Opfer angemessen entschädigen.«

Die Bombardierung von Kundus war – so Buchholz – »kein Betriebsunfall«. Sie liege in der Logik des Krieges und der Besatzung in Afghanistan. Am Sonntag hätten von den internationalen Truppen aufgebaute regierungstreue Milizen mindestens zehn Zivilisten in einem Dorf am Stadtrand von Kundus erschossen. Afghanische Soldaten und Polizisten greifen regelmäßig NATO-Truppen an. Das zeige, so die Linke-Politikerin: »Die NATO und die Bundeswehr sind in Afghanistan nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Der unverzügliche Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan ist überfällig.«

In Berlin ansässige Juristenvereinigungen erinnern anläßlich des dritten Jahrestags der Bombennacht von Kundus daran, daß die juristischen Verfahren in Deutschland weiter andauern. In einer am Montag verbreiteten Stellungnahme fassen das »European Center for Constitutional and Human Rights« (ECCHR) und die »International Association Of Lawyers Against Nuclear« (IALANA) die für die Hinterbliebenen komplizierten und langwierigen juristischen Auseinandersetzungen mit der Bundesregierung zusammen: Im Dezember 2011 reichte Opferanwalt Karim Popal zusammen mit Rechtsprofessor Peter Derleder eine Zivilklage für mehrere Betroffene gegen die Bundesregierung vor dem Landgericht Bonn ein, um eine angemessene Entschädigung zu erreichen. Die Bundesregierung hat auf die Klage reagiert und beantragt, den Rechtsstreit bis zum Ende des bewaffneten Konflikts in Afghanistan auszusetzen. »Dies brächte aber eine unkalkulierbare Verzögerung auf Kosten der Betroffenen mit sich«, urteilen ECCHR und IALANA. Gegen die weitere Argumentation der Bundesregierung, daß deutsches Haftungsrecht im Krieg nicht anwendbar sei, können zahlreiche rechtliche Argumente vorgebracht werden: »Höchstrichterlich ist diese Frage bislang noch nicht entschieden worden.« Schließlich versuche sich die Bundesregierung unter Hinweis auf die Beteiligung an dem NATO-geführten Afghanistan-Einsatz einer eigenen rechtlichen Verantwortlichkeit zu entziehen. In der Stellungnahme von ECCHR und IALANA heißt es diesbezüglich: »Vor allem durch die großen Entscheidungsspielräume der Bundeswehr innerhalb der Mission, die auch im Luftangriff bei Kundus genutzt wurden, ist diese Position rechtlich nicht haltbar. Mit einem Gütetermin vor dem Landgericht Bonn ist noch in diesem Jahr zu rechnen.«

Desweiteren erinnen die Juristengruppen daran, daß gegen die Einstellungsentscheidung der Bundesanwaltschaft im Strafverfahren gegen Oberst Klein seit April 2011 eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht anhängig ist. Darin würden vor allem Versäumnisse durch die Bundesanwaltschaft bei den Ermittlungen des Vorfalls sowie die Überschreitung ihrer Zuständigkeit, das gesamte strafrechtliche Verfahren einzustellen, bemängelt. »Mit einer kurzfristigen Entscheidung ist hierbei nicht zu rechnen«, schätzen ECCHR und IALANA ein. Beide Vereinigungen kritisieren, daß es »zu keiner zufriedenstellenden politischen Lösung gekommen ist und die Betroffenen auf den Rechtsweg angewiesen sind«. Bei der politischen Aufarbeitung des schwersten Angriffs der Bundeswehr gegen die afghanische Zivilbevölkerung seit ihrer Gründung seien die Lage, Interessen und Rechte der Hinterbliebenen nur unzureichend berücksichtigt worden. Es bleibe abzuwarten, ob die deutsche Justiz oder internationale Rechtsinstanzen in der Lage seien, die Position der Betroffenen zu verbessern.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 04. September 2012


Verschleppte Gerechtigkeit

Karim Popal vertritt Opfer des Kundus-Bombenangriffs **

Karim Popal arbeitet als Rechtsanwalt in Bremen. Er vertritt mehrere Opfer des Luftangriffs bei Kundus, der vor drei Jahren vom Oberst der Bundeswehr Georg Klein befohlen worden war. Über 100 Zivilisten wurden dabei getötet. Mit Popal sprach für »nd« Harald Neuber.


nd: Vor knapp einem Jahr haben Sie in Vertretung mehrerer Opfer des Kundus-Bombardements Zivilklagen in Deutschland eingereicht. Wie ist der aktuelle Stand?

Popal: Das Verfahren ist vor dem Landgericht Köln anhängig. Vor kurzem erst haben wir eine Verfügung erhalten, in der das Gericht signalisiert hat, dass Ende Oktober oder Anfang November konkrete Termine für eine Verhandlung festgelegt werden sollen.

Was fordern Sie für die Opfer des Luftangriffs?

Wir haben uns zur Festlegung der Forderungen zunächst die jeweilige Lage der Familien angesehen. Tatsächlich befinden sich die Familien der Opfer in sehr unterschiedlichen Situationen. Zum Teil sind es Frauen mit mehreren Kindern. Sie alle sind Waisen und Witwen. Unsere Forderung ist, dass die Regierung ihnen eine lebenslange Opferrente nach den lokalen Bedürfnissen zahlt. Für die Waisen soll ein Waisenheim und eine Schule eingerichtet werden.

Die Bundesregierung stellt sich auf den Standpunkt, dass das deutsche Haftungsrecht nicht angewendet werden kann.

Diese Argumentation ist nicht richtig. In der Erwiderung der Klage hat sich die Bundesregierung zunächst sehr zurückgehalten. Dann hat sie fast ausschließlich alte Schriftstücke eingereicht, mit denen die Unzulässigkeit der Klage belegt werden sollte. Richtig ist, dass Herr Klein während des Bombenangriffs gelogen hat. Und mit dieser Lüge hat er gegen internationales Recht verstoßen, das den Schutz der Zivilbevölkerung zwingend vorschreibt.

Sie beziehen sich auf den Funkverkehr während des Angriffs?

Die Piloten der Kampfflugzeuge haben Zivilisten am Boden ausgemacht und wollten abdrehen. Herr Klein hat wider besseres Wissens auf den Angriff bestanden, bei dem zwei Tankfahrzeuge getroffen wurden und mehr als 100 Menschen verbrannten. Er hat im Kontakt mit den Piloten gesagt, dass er angegriffen worden sei. Dabei ist sogar schon weniger strafbar, nämlich nur die Inkaufnahme ziviler Opfer. Und nach Artikel 34 des Grundgesetzes übernimmt der Staat die Schuld, wenn jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm obliegende Amtspflicht verletzt. Unsere Forderung ist also rechtlich begründet.

Wie geht es den Familien?

Sehr schlecht, und auch das ist in der Politik der Bundesregierung begründet. Denn die deutsche Regierung hat sich mit der korrupten Regierung Afghanistans zusammengetan, mit Großgrundbesitzern und Unterdrückern der Frauen und Kinder, damit sie ein Konto bei der Kabul-Bank eröffnen. Diese Leute haben die einmalige Entschädigungszahlung von 5000 Euro pro Opfer eingestrichen. Die Witwen und Waisen haben bis heute nichts erhalten.

Oberst Klein wird General, das Strafverfahren gegen ihn ist eingestellt. Wie bewerten Sie das?

Mit Rechtsstaat hat all dies nichts zu tun, aber mit Kriegspolitik. Wer im Krieg viele Menschen tötet, der muss anscheinend als Held geehrt werden.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 04. September 2012


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