Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Chronik Afghanistan

April 2009


Mittwoch, 1. April bis Sonntag, 12. April
  • In Den Haag fand bis zum 1. April eine von der UN ausgerichtete internationale Afghanistan-Konferenz statt, an der Delegationen aus 73 Staaten teilnahmen und die auf Drängen von US-Außenministerin Hilary Clinton zustande gekommen war. Die Konferenz zeigte den Strategiewechsel der USA auf, deren neue Afghanistan-Politik die Stärkung des „regionalen Ansatzes“ zum Ziel hat. Die Nachbarländer Afghanistans sollen der neuen Strategie folgend eine deutlich aktivere Rolle bei der Stabilisierung Afghanistans spielen, wobei insbesondere die Sicherheitslage in Pakistan als zentrale Bedrohung für die Situation in Afghanistan gesehen wird. Ein erster bedeutender Schritt waren die Gespräche zwischen den USA und dem Iran am Rande der Konferenz. Die USA kündigten an, den zivilen Aufbau in Afghanistan mit 17000 zusätzlichen Soldaten und 4000 Militärausbildern abzusichern und besonders den Aufbau der afghanischen Armee zu unterstützen, damit diese selbst die Verantwortung für die Sicherheit in Afghanistan übernehmen könne. Die neue Strategie der USA wurde von den Teilnehmern der Konferenz weitgehend positiv bewertet. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier kündigte eine Verstärkung des deutschen Engagements an. Zur Sicherung der Präsidentschaftswahl am 20. August würden 600 zusätzliche Bundeswehrsoldaten nach Afghanistan entsandt werden, außerdem werde Deutschland 50 Millionen Euro für den Aufbau der afghanischen Armee zur Verfügung stellen, den Flughafen Masar-i-Scharif ausbauen und die Polizeiausbildung unterstützen.
  • Der afghanische Präsident Hamid Karsai, der pakistanische Präsident Asif Ali Zardari und der türkische Staatschef Abdullah Gül trafen sich in Ankara, um sich auf eine bessere Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus und den Drogenschmuggel zu einigen.
  • Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung am 3. April haben die Taliban eine Smaragd-Mine im pakistanischen Swat-Tal unter ihre Kontrolle gebracht und nutzen diese zur Finanzierung ihres Kampfes in Afghanistan. Ein Sicherheitsexperte in Peschawar beurteilt den Vorfall als Bankrott-Erklärung des pakistanischen Staates, der das Swat-Tal vollends an die Taliban übergeben habe. Im Februar hatte die pakistanische Regierung einen Waffenstillstand mit den Aufständischen in der Region geschlossen und die Einführung der Scharia im Swat-Tal geduldet. Das Tal dient als Rückzugsgebiet für Taliban und al-Qaida, die aus der pakistanischen Grenzregion nach Afghanistan einfallen.
  • Der afghanische Präsident Hamid Karsai wird immer stärker ein umstrittene Gesetz für die schiitische Minderheit in Afghanistan kritisiert. Das Gesetz verpflichtet schiitische Frauen zum Geschlechtsverkehr mit ihrem Mann und grenzt ihre Bewegungsfreiheit ein. Nato-Generalsekretät Jaap de Hoop Scheffer und die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Navi Pillay verurteilten das Gesetz ins scharfen Worten und forderten Karsai auf, das Gesetz zurückzunehmen, da es gegen die afghanische Verfassung verstoße.
  • Bundeskanzlerin Merkel traf am 6. April zu einem Kurzbesuch in Afghanistan ein und traf begleitet von Verteidigungsminister Franz Josef Jung deutsche Bundeswehrsoldaten in Mazar-i-Sharif und Kunduz. Vor dem geheim gehaltenen Besuch wurden deutsche Soldaten in Kundus am 5. April zweimal von Aufständischen angegegriffen, beides Mal ohne Tote oder Verletzte. Deutschland stellt momentan 3500 Soldaten für die internationale ISAF-Mission, eine Zahl, die dieses Jahr auf 4500 erhöht werden soll.
  • Der polnische Präsident Lech Kaczynski kündigte bei einem Besuch in Kabul an, die polnischen Truppen in Afghanistan bis Mitte April um 20 Prozent zu verstärken. Momentan sind 1600 polnische Soldaten in Afghanistan im Einsatz.
  • Am 9. April starben bei einem Selbstmordanschlag in Lashkar Gah in der Provinz Helmand 5 Polizisten, 17 wurden verwundet. Die Polizisten gehörten zu einer Einheit, die den Drogenanbau bekämpfte und waren auf dem Weg zu einem Einsatz.
  • Wie das Weiße Haus am 10. April bekannt gab, wird Präsident Obama den Kongress um die Billigung von zusätzlichen 84,4 Billion USD für die Finanzierung der Kriege in Afghanistan und Irak bitten. Ein Teil des Geldes ist für Hilfsmittel an Pakistan eingeplant.
  • Australien wird seine Truppen in Afghanistan um voraussichtlich 120 Soldaten verstärken. Die zusätzlichen Einsatzkräfte sollen die Präsidentschaftswahlen im August absichern. England hat die Entsendung von 900 zusätzlichen Soldaten zugesagt, Deutschland und Spanien die von 600.
  • 10 von Afghanistans 364 Distrikten sind nach Informationen der New York Times fest in der Hand der Taliban, 156 der Distrikte sind gefährdet. Nach dem Bericht vom 11. April sind insbesondere die südlichen Provinzen Helmand, Kandahar, Oruzgan und Zabul hart umkämpft und stellen die Organisatoren der Präsidentenwahl am 20. August vor ein Problem, da sie die Sicherheit der Wähler voraussichtlich trotz der zusätzlichen Truppen nicht garantieren werden können.
  • Polizeiberichten zufolge haben die Taliban den Distrikt Buner unter ihre Kontrolle gebracht, das nur 100 Kilometer von der pakistanischen Hauptstadt Islamabad entfernt liegt. Die Taliban-Kämpfer seien aus dem benachbarten Swat-Tal eingefallen, in dem die pakistanischen Behörden im Februar ein umstrittenes Waffenstillstandsabkommen mit den Taliban geschlossen hatten, und dem Abkommen folgend die Einführung der Scharia geduldet hatten.
Montag, 13. April, bis Donnerstag, 30. April
  • Die Weltbank gab am 15. April bekannt, dass sie Afghanistan ein Darlehen von 44 Millionen USD für die Verbesserung der Bildung gewährt habe. Ein Teil des Geldes sei für den Aufbau eines nationalen Institutes für Management und Verwaltung bestimmt.
  • Die USA und Japan haben Pakistan auf einer Geberkonferenz am 17. April jeweils 1 Billion USD an Hilfsgeldern für die Bekämpfung des Terrorismus und die Stabilisierung der Wirtschaft zugesagt, Saudi Arabien 700 Millionen USD und die EU 640 Millionen. Die Gelder sollen über die nächsten zwei Jahre verteilt zugewiesen werden und dienen der Stabilisierung Pakistans.
  • Der afghanische Präsident Hamid Karzai warnte die US-Regierung am 19. April, jegliche Verhandlungsversuche mit den Taliban seien auf die Zustimmung der afghanischen Regierung angewiesen. In einem Interview mit CNN lehnte Karzai die US-Stragie ab, US-Kommandanten direkt mit Taliban-Führern verhandeln zu lassen.
  • Die USA und Tadschikistan schlossen am 21. April ein Abkommen über den Transit von nicht-militärischen Nachschubgütern für die internationalen Truppen in Afghanistan. Die sich verschlechternde Sicherheitslage in Pakistan und die Ankündigung Kirgisistans, eine US-Basis auf kirgisischem Gebiet zu schließen hatten neue Nachschubrouten zu einer Priorität der USA und der NATO gemacht.
  • Die USA haben begonnen, sensible Informationen mit der afghanischen Regierung zu teilen, um die Zahl getöteter afghanischer Zivilisten bei Militäroperationen zu verringern. Die gestiegene zahl ziviler Opfer bei US-Luftangriffen hatte zu Verstimmungen zwischen Afghanistan und den USA geführt.
  • US-Außenministerin Hilary Clinton warnte am 22. April eindringlich vor der sich verschlechternden Sicherheitslage in Pakistan. Pakistan sei dabei, die Macht im Land an die Taliban abzugeben und würde damit zu einer Bedrohung für die internationale Gemeinschaft.
  • Der afghanische Präsident Hamid Karzai sagte am 27. April, er werde bei den Präsidentschaftswahlen am 20. August kandidieren. Karzai ist seit 2004 im Amt und verlor seitdem wegen Korruption und andauernder Gewalt an Zustimmung in der Bevölkerung. Karzai bestätigte außerdem, das Justizministerium werde ein umstrittenes Gesetz überprüfen, das von der internationalen Gemeinschaft stark kritisiert worden war, da es die Rechte von Frauen beschränkte und daher unter Anderem gegen den Gleichberechtigungsgrundsatz der afghanischen Verfassung verstieß.
  • Der britische Premierminister Gordon Brown kündigte am 29. April an, die britischen Truppen in Afghanistan von derzeit 8000 auf 9000 Soldaten zu erhöhen. Die zusätzlichen Truppen sollen die Präsidentschaftswahlen im August absichern.
  • Ein deutscher Soldat starb und neun wurden verletzt, als die Bundeswehr am 29. April in Kundus in zwei separaten Attacken von Taliban angegriffen wurde. Zum Zeitpunkt der Angriffe befand sich Außenminister Frank-Walter Steinmeier in Kabul, um dort Präsident Karzai zu treffen.


Zurück zur Kriegschronik

Zu weiteren Beiträgen über Afghanistan

Zurück zur Homepage