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Chronik Afghanistan

Februar 2006

Mittwoch, 1. Februar, bis Sonntag, 5. Februar
  • Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Armee-Kontrollpunkt im Osten Afghanistans sind sechs Menschen getötet worden, unter ihnen drei afghanische Soldaten. Der Täter zündete den Sprengsatz am 1. Feb. bei der Kontrolle seines Fahrzeugs, wie die Polizei am 2. Feb. mitteilte. Er war als Frau verkleidet und trug die Bombe unter der Burka, einem den ganzen Körper verhüllenden Schleier. Der regionale Polizeichef Mohammed Ajub machte die islamische Taliban-Miliz für den Anschlag in der Provinz Chost verantwortlich. «Der Täter wollte den Selbstmordanschlag wahrscheinlich in der Stadt Chost verüben, geriet aber in Panik und zündete die Bombe bei der Kontrolle durch die Soldaten», sagte Ajub. Ob der ebenfalls getötete Fahrer ein Komplize des Selbstmordattentäters war, blieb unklar.
  • US-Präsident George W. Bush plant für die militärischen Einsätze im Irak und in Afghanistan in diesem Jahr zusätzliche Ausgaben in Höhe von etwa 70 Milliarden Dollar (rund 58 Milliarden Euro). Es handele sich um eine Schätzung, die Endsumme "kann etwas höher oder niedriger sein", sagte der Vizechef der Budgetabteilung im Weißen Haus, Joel Kaplan, am 2. Feb. in Washington. Der Kongress müsse dem Ausgabeposten, der dem laufenden Haushalt für 2006 zugeschlagen wird, noch zustimmen.
  • Anschläge und Gefechte in Afghanistan haben am 3. und 4. Feb. fast 40 Menschen das Leben gekostet. Bei den meisten Opfern handelte es sich um mutmaßliche Taliban-Rebellen, die bei einem Großeinsatz der afghanischen und amerikanischen Streitkräfte in der südlichen Provinz Helmand getötet wurden. Überfälle der Rebellen auf Regierungseinrichtungen und einen Polizeikonvoi kosteten am 4. Feb. jedoch auch mehrere Zivilisten und Sicherheitskräfte das Leben. Bei der Militäroperation, an der nach Regierungsangaben 250 afghanische Soldaten und Polizisten beteiligt waren, wurden bereits am 3. Feb. 16 Aufständische und sechs Polizisten getötet. In der Nacht zum 4. Feb. bombardierten amerikanische und britische Kampfflugzeuge mutmaßliche Rebellen und töteten acht, wie der örtliche Polizeisprecher Chan Mohammed mitteilte. Stunden später griffen Aufständische zwei Regierungseinrichtungen in Helmand an, dabei kamen ein Bezirksverwaltungschef, ein Polizist und drei Angreifer ums Leben.
    In der benachbarten Provinz Kandahar explodierte eine Bombe neben einem Polizeikonvoi und riss eine Frau und ihr Kind in den Tod. Afghanische Grenztruppen töteten in Kandahar einen mutmaßlichen Taliban-Kommandeur, Abdul Samad.
Montag, 6. Februar, bis Sonntag, 11. Februar
  • Vor dem US-Luftwaffenstützpunkt im afghanischen Bagram wurden am 6. Feb. nach Angaben der örtlichen Behörden zwei Demonstranten erschossen, als Polizisten rund 2.000 Protestierende mit Schüssen am Vordringen auf das Gelände hindern wollten. In Mehtarlam erschoss die Polizei mindestens einen Demonstranten, nachdem ein Mann aus der Menge heraus Schüsse auf die Beamten abgegeben hatte.
  • Bei neuen Protesten gegen die umstrittenen Mohammed-Karikaturen in der europäischen Presse ist es am 6. Feb. in Afghanistan den zweiten Tag in Folge zu Zusammenstößen gekommen. In der nordwestafghanischen Stadt Majmana kam ein Demonstrant ums Leben, als die afghanische Polizei das Feuer auf demonstrierende Moslems eröffnete. Eine aufgebrachte Menschenmenge bewarf den dortigen Stützpunkt norwegischer Soldaten mit Steinen. Etwa 200 bis 300 Personen drangen durch das Haupttor ins Innere ein. Dabei sei es auch zur Brandstiftung gekommen. Die Soldaten setzten Tränengas und Gummigeschosse ein, wie eine Sprecherin der Nato-Truppe, Annie Gibson-Sexton, mitteilte. Zwei Passanten wurden von Steinen verletzt, mehrere Demonstranten mussten wegen Augenreizungen behandelt werden. Auch einige norwegische Soldaten wurden leicht verletzt. Vor der dänischen Vertretung in der Hauptstadt Kabul ging die Polizei mit Schlagstöcken gegen Demonstranten vor. Auch dort warf die Menge mit Steinen. Proteste gab es auch vor dem Büro der Weltbank.
  • Am 7. Feb. starben drei Demonstranten beim Ansturm auf ein norwegisches Soldatenlager. Damit erhöhte sich die Zahl der getöteten Demonstranten auf sieben. In der afghanischen Stadt Maymana hatten etwa 300 Demonstranten das norwegische Lager der Internationalen Schutztruppe Isaf gestürmt.
  • In der südafghanischen Stadt Kalat erschossen am 8. Feb. Sicherheitskräfte vier Demonstranten, die auf einen US-Stützpunkt zumarschierten. Elf Demonstranten erlitten Schussverletzungen, acht Polizisten und ein Soldat wurden von Steinen getroffen.
    Der afghanische Ulama-Rat, die höchste Vereinigung der muslimischen Geistlichen des Landes, rief im Rundfunk dazu auf, die Proteste zu beenden. "Wir verurteilen die Zeichnungen, aber dies rechtfertigt keine Gewalt", sagte der Geistliche Mohammed Usman.
  • In Afghanistan drohte ein Sprecher der radikal-islamischen Taliban den Dänen mit Heiligem Krieg. Alle "ausländischen Invasoren" seien ein Ziel, wegen der "Beleidigungen" werde man aber vor allem dänische Soldaten angreifen. Sechs Militärbeobachter in Nordafghanistan, wo die Taliban ihre Hochburgen haben, wurden am 8. Feb. bis auf weiteres ins britische Hauptquartier zurückgezogen. Dennoch soll laut dem dänischen Verteidigungsminister Søren GadeGade das dänische Kontingent plangemäß von 100 auf 300 bis 400 Soldaten aufgestockt werden. Diese würden im Mai oder Juni in Kandahar und Lashkar Gah im Süden des Landes stationiert. Bis dahin werde sich die Lage beruhigt, wenn auch nicht normalisiert haben, glaubt Gade.
Montag, 13. Februar, bis Sonntag, 19. Februar
  • Berichterstatter der Vereinten Nationen (UN) werfen den USA Folter und Völkerrechtsverletzung im Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba vor. Die Vorwürfe sind im Entwurf eines Berichts für die UN-Menschenrechtskommission aufgelistet, der diese Woche in Genf veröffentlicht werden soll. Die US-Regierung wies die Vorwürfe zurück. "Was wir bislang gesehen haben, sind Behauptungen ohne Grundlage", sagte der Sprecher des Außenministeriums, Sean McCormack am 14. Feb. Die UN seien nicht in Guantánamo gewesen und hätten Aussagen von Ex- Häftlingen und Anwälten für bare Münze genommen. Der UN-Berichterstatter zu Folter, der Österreicher Manfred Nowak, sagte , der Bericht könne noch verändert werden. "Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass die Situation in mehreren Bereichen das Völkerrecht und die Menschenrechts- und Folter-Konvention verletzt", ergänzte Nowak. (Siehe: "Die USA verstoßen gegen die Menschenrechts- und Anti-Folter-Konvention".)
  • Bei einem weiteren Schlag gegen den Drogenhandel hat die afghanische Polizei am 15. Feb. in der südafghanischen Provinz Sabul 250 Kilogramm Heroin sichergestellt. Das teilte das Innenministerium in Kabul mit. Am 12. Feb. hatte die Polizei in der Hauptstadt Kabul 133 Kilo Heroin beschlagnahmt, was laut Innenministerium eine der bis dahin größten von afghanischen Behörden sichergestellten Mengen Heroin war.
  • Die ersten 150 britischen Soldaten der erweiterten Nato-Mission trafen am 15. Feb. in Afghanistan ein. Sie sind in der südlichen Provinz Helmand stationiert.
  • Mutmaßliche radikal-islamische Rebellen haben in der westafghanischen Provinz Farah nach offiziellen Angaben zwei Angehörige des afghanischen Geheimdienstes enthauptet. Ein Sprecher der Provinzregierung sagte am 15. Feb., die beiden Männer seien am 13. Feb. verschleppt worden. Ihre enthaupteten Leichen seien am 14. Feb. entdeckt worden. Der Sprecher machte "Feinde Afghanistans" für die Tat verantwortlich. Mit dieser Formulierung umschreiben offizielle afghanische Stellen Rebellen wie die Taliban.
  • Etwa 50 mutmaßliche Taliban-Rebellen haben einen abgelegenen Polizeiposten in Afghanistan überfallen. Ein Polizist wurde getötet und vier weitere verletzt, wie die Behörden am 16. Feb. mitteilten. Die Aufständischen seien schließlich zurückgeschlagen worden, sagte der Gouverneur der südwestlichen Provinz Nimros, Ghulam Dusthakir Assad. Unter den Angreifern habe es am 15. Feb. ebenfalls Tote oder Verletzte gegeben.
  • Der UN-Sicherheitsrat verabschiedete am 15. Februar 2006 eine Resolution, in der die Fortschritte des Landes auf dem Weg zur Stabilisierung und Demokratie gewürdigt werden. Begrüßt werden die Ergebnisse der Londoner Geberkonferenz. Die NATO wird außerdem gelobt wegen ihres Beitrags zu ISAF und dafür, dass sie "einen revidierten Einsatzplan verabschiedet hat, der die weitere Ausweitung des Einsatzes der ISAF in Afghanistan, eine engere operative Synergie mit der Operation 'Dauerhafte Freiheit' ... ermöglicht". ( Siehe: UN-Sicherheitsrats-Resolution 1659 (2006) vom 15. Februar 2006 (Wortlaut).)
  • Die UN-Menschenrechtskommission forderte die USA auf, das Gefangenenlager für Terror-Verdächtige in Guantánamo aufzulösen. Die Zwangsernährung von Gefangenen und einige Verhörmethoden kämen Folter gleich, heißt es in einem am 16. Feb. vorgelegten Bericht der Kommission. (Siehe: "Die USA verstoßen gegen die Menschenrechts- und Anti-Folter-Konvention".)
  • Zwei italienische Entwicklungshelfer sind tot in der afghanischen Hauptstadt Kabul aufgefunden worden, wie das Außenministerium in Rom am 16. Feb. mitteilte. Die Todesursache sei unklar, Zeichen von Gewalteinwirkung seien nicht erkennbar. Genauere Untersuchungen sollten in Italien vorgenommen werden, erklärte das Ministerium. Die beiden Leichen wurden in einem bewachten Komplex der afghanischen Hauptstadt gefunden. Die Nachrichtenagentur ANSA berichtete, möglicherweise seien die beiden an Kohlenmonoxidvergiftung gestorben. Ein Heizofen sei defekt gewesen.
  • Bei einem Angriff mutmaßlicher radikal-islamischer Taliban-Kämpfer in der südafghanischen Provinz Helmand sind mindestens drei Polizisten getötet worden. Der Sprecher des afghanischen Innenministeriums, Yousif Stanikzai, sagte am 19. Feb., zu dem Angriff sei es am Vorabend gekommen.
  • In der afghanischen Hauptstadt Kabul feuerten mutmaßliche Taliban-Kämpfer am 19. Feb. eine Rakete offenbar auf das Hotel Intercontinental ab, die ihr Ziel aber verfehlte. Stanikzai sagte, niemand sei verletzt oder getötet worden. Das Hotel wird auch von Ausländern besucht.
Montag, 20. Februar, bis Sonntag, 26. Februar
  • Australien will 200 zusätzliche Soldaten nach Afghanistan schicken, die ein von den Niederlanden geführtes Wiederaufbauteam verstärken sollen. Im Juli sollen die Soldaten die auf zwei Jahre befristete Mission am Wiederaufbauteam in der südafghanischen Provinz Urusgan antreten, kündigte Premierminister John Howard am 21. Feb. an. Die Zahl der australischen Soldaten in Afghanistan erhöhe sich damit von 300 auf 500. Mit dem Truppenengagement wolle Australien zur Stabilisierung der Demokratie beitragen und eine Rückkehr der radikalislamischen Taliban an die Macht verhindern.
  • Bei einem Anschlag auf Fahrzeuge der Bundeswehr im nordafghanischen Kundus sind am 22. Feb. ein deutscher Soldat verletzt und mindestens ein Afghane getötet worden. Dies teilte ein Sprecher des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr in Potsdam mit. Nach afghanischen Angaben wurden neben dem Deutschen elf Afghaner verletzt. Zum Zeitpunkt der Detonation seien drei Fahrzeuge der Bundeswehr, von denen zwei eindeutig als Militärfahrzeuge zu erkennen gewesen seien, auf dem so genannten Nordkreisel in Kundus abgestellt gewesen, erklärte das Bundeswehr-Einsatzführungskommando. Soldaten hätten die Fahrzeuge gesichert. Bei der Explosion sei ein deutscher Soldat leicht verletzt und ein Fahrzeug erheblich beschädigt worden, sagte Sprecher Carsten Spiering. Der Nordkreisel sei ein sehr belebter Platz. Ein starker Sprengsatz sei an einem Fahrrad angebracht gewesen und zur Explosion gebracht worden, erklärte der Polizeichef der Provinz, Mutalib Beg. Spiering betonte, der Anschlag verdeutliche, dass die Sicherheitslage in Kundus weiter nicht stabil sei. Konsequenzen - etwa der Abzug oder die Verstärkung der deutschen Einheiten - seien aber nicht geplant.
  • Die NATO wird nach den Worten eines kanadischen Kommandeurs noch jahrelang in Afghanistan unverzichtbar bleiben. Das Land habe "riesige Probleme" sagte der kanadische Generalmajor Michel Gauthier, dessen Soldaten im Süden des Landes im Einsatz sind, der britischen Tageszeitung "The Guardian" vom 23. Feb. Die Aufstockung der ISAF-Truppen um 6.000 auf 16.000 in den nächsten Monaten sei eine der größten Herausforderungen für die nordatlantische Allianz "seit Jahren oder Jahrzehnten". Afghanistan sei eine "gnadenlose Umgebung" für die Truppen.
  • Nach jahrelangem Streit und auf Anordnung eines Gerichts wird das US-Verteidigungsministerium erstmals die Namen von mehreren hundert Häftlingen im Militärlager Guantánamo Bay veröffentlichen. Das Pentagon wolle bis kommenden Freitag (3. März) aber nur die Identität von etwa 390 Häftlingen bekannt geben, die in den Protokollen der Militärkommissionen aufgeführt seien, berichtete die Washington Post am 25. Feb. Einige der 490 inhaftierten mutmaßlichen Mitglieder des Terrornetzwerkes Al Qaeda oder der afghanischen Taliban-Milizen hätten an den Anhörungen zur Überprüfung ihres Status nicht teilgenommen.
    Mittlerweile sei ein neues Lager für etwa 500 Terrorverdächtige in Afghanistan eingerichtet worden, meldete die New York Times am 26. Feb. Die Bedingungen in diesem Lager seien noch primitiver als in Guantánamo Bay. Die Häftlinge würden dort ohne jede Anklage und auf unbefristete Zeit festgehalten. Die meisten Gefangenen seien Afghanen.
Montag, 27. Februar, bis Dienstag, 28. Februar
  • Hunderte Sicherheitskräfte haben am 27. Feb. ein Gefängnis in der afghanischen Hauptstadt Kabul umstellt, in dem ein Teil der Insassen am Wochenende (25./26. Feb.) die Kontrolle übernommen hatte. Die teils mit schwerem Geschütz ausgerüsteten Polizisten und Soldaten - darunter auch Angehörige der US-Armee - warteten auf ihre Einsatzbefehle, so ein Armee-Vertreter. Nach Angaben von Insassen des Pul-i-Charchi-Gefängnisses am östlichen Stadtrand töteten die mehr als 1.000 Aufständischen in dem Gebäude vier Menschen und verletzten 38 weitere. Den Behörden zufolge hatten die Aufständischen, zu denen hochrangige Taliban-Kämpfer zählen sollen, einen Gebäudeflügel in ihrer Gewalt, in dem rund 70 Frauen und ihre Kinder untergebracht sind. Noch gebe es Hoffnung, den Konflikt durch Verhandlungen zu lösen, da die Aufständischen offenbar keine Schusswaffen hätten, hieß es am 27. Feb. Der Aufstand war nach offiziellen Angaben in der Nacht zum 25. Feb. losgebrochen, nachdem Insassen zwei Wächterinnen überwältigt hatte. Die beiden Frauen seien kurz danach aber wieder befreit worden, teilte Gefängnis-Gouverneur Salaam Bachschi am 27. Feb. mit.
  • Auf einer internationalen Konferenz im Golfemirat Katar hat Afghanistan am 28. Feb. Sicherheitsabkommen mit seinen drei größten Nachbarländern China, Iran und Pakistan unterzeichnet. Ziel der Abkommen sei es, "den Handel zu erleichtern sowie Schmuggel von Waren und illegale Grenzübertritte zu verhindern", sagte der Afghanistan-Beauftragte der UNO, Tom Koenigs, am 28. Feb. der Nachrichtenagentur AFP in Doha. Die internationale Gemeinschaft habe Afghanistan Hilfe bei der besseren Überwachung der Grenzen zugesagt. Mit den beiden anderen Nachbarstaaten, Turkmenistan und Tadschikistan, seien ähnliche Abkommen in Vorbereitung, sagte der frühere Grünen-Politiker Koenigs. Die Abkommen wurden am Rande einer internationalen Konferenz zur Stabilisierung Afghanistans unterzeichnet.


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