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Chronik Afghanistan

Oktober 2005

Samstag, 1. Oktober, bis Sonntag, 9. Oktober
  • Bundespräsident Horst Köhler wird am 5. Okt. als erster deutscher Bundespräsident eine Rede vor der Generalkonferenz der UNESCO halten. Die UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation feiert an diesem Tag ihr 60. Jubiläum. Neben Köhler wird auch der afghanische Staatspräsident Hamid Karsai vor der UNESCO sprechen.
  • Afghanische Soldaten haben bei Kämpfen im Südosten des Landes mindestens 31 mutmaßliche Taliban-Anhänger getötet. Wie ein Sprecher des Innenministeriums am 3. Okt. in Kabul mitteilte, erschossen die Soldaten am Abend des 2.Okt. 28 Rebellen nach einem Angriff auf einen Militärposten in der Provinz Paktika nahe der Grenze zu Pakistan. Vier Soldaten seien bei den Gefechten verletzt worden. Drei weitere Taliban-Kämpfer wurden demnach getötet, nachdem sie einen Nachschub-Transporter für die US-geführten Truppen angegriffen und den Fahrer erschossen hatten. Zwei bewaffnete Aufständische seien festgenommen worden.
  • Der selbst ernannte Sprecher des gestürzten afghanischen Taliban-Regimes, Abdul Latif Hakimi, ist in Pakistan festgenommen worden. Einzelheiten dazu würden später bekannt gegeben, sagte der pakistanische Innenminister Aftab Sherpao der Nachrichtenagentur AFP am 4. Okt. Im privaten Fernsehsender GEO sprach der Minister von einer "wichtigen Festnahme". Sie sei "ein großer Erfolg für die Strafverfolgungsbehörden". Hakimi hatte sich in der Vergangenheit oft bei den Medien gemeldet, um die Verantwortung für Attentate der radikalislamischen Taliban zu übernehmen.
  • Die NATO will ihre Truppenstärke in Afghanistan mehr als verdoppeln: Die Militärallianz werde mehr als 10.000 zusätzliche Soldaten in das Land entsenden, sagte NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer am 6. Okt. in Kabul. Die Ausweitung der NATO-Mission auf den unruhigen Süden des Landes, in dem nach wie vor Warlords aktiv sind, werde zu einer bedeutenden Aufstockung der Truppenstärke führen. Genaue Zahlen könne er zwar noch nicht nennen, aber es seien mehr als 10.000 zusätzliche Soldaten. Möglich sei sogar eine Zahl von bis zu 15.000 Soldaten. Derzeit hat die NATO etwa 8500 Soldaten der Afghanistan-Schutztruppe ISAF in Afghanistan stationiert, darunter etwa 2.250 Bundeswehrsoldaten (Aufstockung auf bis zu 3.000 Soldaten ist beschlossen). Im kommenden Jahr soll der ISAF-Einsatz auf den Süden des Landes ausgeweitet werden.
  • Zweieinhalb Wochen nach der Parlamentswahl in Afghanistan ist die Stimmenauszählung abgeschlossen. Ergebnisse wollte der Chef der afghanischen Wahlkommission, Peter Erben, bis zu ihrer offiziellen Bestätigung jedoch nicht vorlegen, wie er am 6. Okt. in Kabul sagte. Die Überprüfung einzelner Unregelmäßigkeiten bei der Wahl dauerten noch an. Die vorläufigen Wahlergebnisse aller afghanischen Provinzen will die Wahlkommission nach Auskunft ihres Sprechers Alim Siddik möglichst bis zum 22. Oktober beglaubigen, anschließend könne Präsident Hamid Karsai dann das Parlament einberufen.
  • Bei den Kriegen in Afghanistan und im Irak hat US-Präsident George W. Bush angeblich im Auftrag Gottes gehandelt. Entsprechende Äußerungen habe Bush im Juni 2003 bei seinem ersten Treffen mit dem damaligen palästinensischen Ministerpräsidenten Mahmud Abbas und dem damaligen palästinensischen Außenminister Nabil Schaath gemacht, berichtete der britische Fernsehsender BBC am 6. Okt. vorab aus einer neuen dreiteiligen Fernsehserie über den Nahen Osten.
    Das Weiße Haus hat Angaben zurückgewiesen, wonach US-Präsident George W. Bush bei den Kriegen in Afghanistan und im Irak nach eigenen Worten im Auftrag Gottes handelte. Bush habe nie solche Äußerungen gemacht, sagte US-Regierungssprecher Scott McClellan am 7. Okt. Das sei "absurd".
  • Der US-Senat hat zusätzliche 50 Milliarden Dollar (41,2 Milliarden Euro) für die Militäreinsätze im Irak und in Afghanistan genehmigt. Diese Gelder sind in einen Gesetzentwurf zum Verteidigungshaushalt 2006 vorgesehen, der am 7. Okt. vom Oberhaus des Kongresses in Washington einstimmig verabschiedet wurde. Insgesamt soll der Verteidigungsetat in dem bereits am 1. Oktober begonnenen Haushaltsjahr nach diesem Entwurf ein Volumen von 440,2 Milliarden Dollar haben.
  • In Afghanistan ist ein US-Soldat durch eine Minen-Explosion ums Leben gekommen. Wie die US-Streitkräfte am 8. Okt. bekannt gaben, ereignete sich der Zwischenfall am Vortag in der Provinz Helmand. Damit erhöhte sich die Zahl der US-Soldaten, die seit dem Beginn des US-Einsatzes in Afghanistan getötet wurden, auf 200.
  • Bei einem Anschlag im Süden Afghanistans sind am 9. Okt. vier Briten verletzt worden. Wie der Gouverneur der Provinz Kandahar, Asadullah Chalid, mitteilte, rammte ein Selbstmordattentäter seinen mit Sprengstoff beladenen Wagen in das Fahrzeug der vier britischen Beamten. "Das war das Werk der Feinde Afghanistans", sagte Chalid. "Es war ein Selbstmordanschlag."
Montag, 10. Oktober, bis Sonntag, 16. Oktober
  • Bei einem mutmaßlichen Bombenanschlag in der südafghanischen Stadt Kandahar sind am 10. Okt. ein Mudschahedin-Anführer und drei weitere Menschen getötet worden. Die Explosion ereignete sich vor einem Haus des in der Region bekannten Mudschahedin-Anführers Schah Agha, wie ein AFP-Reporter berichtete. Agha leitete Bauarbeiten an dem Gebäude. Er und drei Bauarbeiter wurden getötet, drei weitere Menschen wurden verletzt. Die Ursache für die Explosion war vermutlich ein Sprengsatz, was aber von Seiten der Polizei zunächst nicht bestätigt wurde.
  • Aufständische im Süden Afghanistans haben eine Polizeipatrouille in einen Hinterhalt gelockt und 18 Polizisten getötet. Wie das Innenministerium am 11. Okt. in Kabul mitteilte, war die Patrouille am Montag in der Provinz Helmand unterwegs, als sie von mutmaßlichen Taliban-Rebellen angegriffen wurde. Unter den 18 Toten sei auch der Polizeichef der Provinz, Amanullah Chan.
  • Fast vier Jahre nach seinem Amtsantritt hat der afghanische Präsident Hamid Karsai seine US-Leibwächter durch Afghanen ersetzt. Mehr als 300 US-Bodyguards der privaten Sicherheitsfirma DynCorp hätten Afghanistan Ende September verlassen, sagte Präsidentensprecher Chalik Ahmad am 11. Okt. in Kabul. Jetzt seien sämtliche Leibwächter des Staatschefs Afghanen. Gut ein Dutzend US-Bodyguards seien allerdings weiterhin im Präsidentenpalast, um die neuen afghanischen Sicherheitskräfte auszubilden, vor allem im Umgang mit Wachhunden, sagte ein anderer Palastvertreter der Nachrichtenagentur AFP.
  • Nur wenige Stunden vor dem Besuch von US-Außenministerin Condoleezza Rice in der afghanischen Hauptstadt Kabul haben Unbekannte eine Rakete auf eine kanadische Botschaftsresidenz abgefeuert. Dabei wurde ein Wächter verletzt, wie Augenzeugen am 12. Okt. berichteten. Auf dem Gelände in einem Vorort von Kabul entstand geringer Schaden, wie Sicherheitsvertreter der Nachrichtenagentur AFP sagten.
  • Bei einer Explosion vor einem Stützpunkt der US-geführten Truppen im Süden Afghanistans sind am 14. Okt. zwei Menschen verletzt und acht Tanklaster zerstört worden. Die Fahrzeuge warteten vor dem Gelände der internationalen Streitkräfte nahe der Stadt Kandahar auf Einlass, als sie bei einer Explosion Feuer fingen und ausbrannten, wie Augenzeugen berichteten.
Montag, 17. Oktober, bis Sonntag, 23. Oktober
  • Bei einem Schusswechsel mit US-Soldaten sind in der südafghanischen Provinz Kandahar vier afghanische Polizisten getötet worden. Nach einem "Missverständnis" zwischen den Soldaten und den Polizisten sei es in der Nacht zum 18. Okt. zu einem Schusswechsel gekommen, sagte Provinzgouverneur Asadullah Chalid am 18. Okt. Zwei Polizisten seien verletzt worden. Die US-geführten Koalitionstruppen konnten den Vorfall zunächst nicht bestätigen.
  • Bei der Explosion einer Bombe in Afghanistan sind am 19. Okt. zwei französische Soldaten verletzt worden. Wie die von der NATO geführte Internationale Afghanistan-Schutztruppe (ISAF) in Kabul mitteilte, waren die beiden Franzosen auf einer Patrouille in einem nur leicht geschützten Fahrzeug in der Schomali-Ebene unterwegs, als dort ein Sprengsatz hochging. Ein Opfer wurde per Hubschrauber in ein Krankenhaus geflogen. Seine Verletzungen seien nicht lebensgefährlich, sagte ISAF-Sprecher Michele Cortese. Der andere Soldat erlitt demnach leichte Verletzungen.
  • US-Soldaten haben einem Fernsehbericht zufolge in Afghanistan die Leichen mutmaßlicher Taliban-Kämpfer verbrannt und die Tat später zur Einschüchterung von Dorfbewohnern missbraucht. Der australische TV-Sender SBS zeigte am 19. Okt. Bilder, auf denen die Verbrennung zweier Leichen zu sehen war. Dabei habe es sich um mutmaßliche Taliban-Kämpfer gehandelt, die bei einem Gefecht vor wenigen Wochen getötet worden seien.
    Der afghanische Präsident Hamid Karsai hat die Verbrennung der Leichen von Taliban-Kämpfern durch US-Soldaten verurteilt. Er sei "bestürzt und traurig" über die Informationen, die ihm US-Kommandeur Karl Eikenberry zu dem Fall gegeben habe, sagte Karsai am 21. Okt. in Kabul. Die US-Streitkräfte müssten den Vorgang prüfen. "Wir mögen solche Vorfälle nicht und hoffen, dass so etwas nicht wieder vorkommt", sagte Karsai. Die Vorgänge müssten "sehr schnell und sehr effizient" aufgeklärt werden. Die afghanischen Behörden hätten eine eigene Untersuchung eingeleitet.
  • Neun Polizisten sind in einem Hinterhalt im Südosten Afghanistans ums Leben gekommen. Radikalislamische Taliban-Kämpfer griffen den Konvoi in der Provinz Helmand an, als die Polizei dort eine Gruppe Aufständischer ausheben wollte, wie der stellvertretende Verwaltungschef der Provinz, Ghulam Moheedin, am 22. Okt. sagte. Bei den Kämpfen am Vortag seien auch vier Taliban getötet worden. Die Polizei habe am 20. Okt. zwei Taliban gefangengenommen, die das Versteck verraten hätten. Die Polizei habe daraufhin etwa zweihundert Einsatzkräfte in das Gebiet geschickt. Helmand ist eine der Provinzen im Süden und Osten von Afghanistan, in die sich besonders viele Aufständische zurückgezogen haben, nachdem die US-geführte Koalition das Land Ende 2001 angegriffen und die Taliban gestürzt hatte.
  • Bei einem Erdbeben im Osten Afghanistans sind am 23. Okt. mindestens fünf Menschen ums Leben gekommen. Wie das Verteidigungsministerium in Kabul mitteilte, ereignete sich das Beben in der Provinz Paktika in den frühen Morgenstunden. Sechs Menschen seien verletzt worden und mindestens sechs Häuser seien eingestürzt, sagte ein Sprecher. Einheiten der Armee seien bereits vor Ort, um den Betroffenen zu helfen. Das Ausmaß des Schadens sei noch unklar.
Montag, 24. Oktober, bis Montag, 31. Oktober
  • Erstmals ist ein afghanischer Drogenbaron an die USA ausgeliefert worden. Bas Mohammed sei bereits in der vergangenen Woche nach New York gebracht worden, teilte die US-Justiz am 24. Okt. mit. Er sei angeklagt, als Kopf einer internationalen Drogenbande seit 1990 Heroin im Wert von mehr als 25 Millionen Dollar (rund 21 Millionen Euro) in die USA geschmuggelt zu haben. Laut Anklageschrift stellte Mohammed den Mitgliedern seiner Organisation den Drogenschmuggel in die USA als Akt des islamischen Heiligen Kriegs dar. Ihm werden Verbindungen zum 2001 gestürzten Taliban-Regime nachgesagt, dem er laut Anklage einen Teil der Drogenerlöse zukommen ließ.
  • Bei einem Angriff Aufständischer auf einen Konvoi der US-Armee in Afghanistan sind am späten Abend des 24. Okt. mindestens sechs Zivilisten getötet worden. Der Angriff ereignete sich nach Angaben des Innenministeriums vom Dienstag auf einer Straße nahe der Hauptstadt Kabul. Die Aufständischen wollten den Angaben zufolge den US-Konvoi mit Raketen und Maschinengewehren beschießen, verfehlten aber ihr Ziel und trafen stattdessen die Zivilisten. Drei weitere Menschen seien verletzt worden.
  • Vier Jahre nach dem Sturz der radikalislamischen Taliban stuft die UNO die Menschenrechtslage in Afghanistan weiterhin als Besorgnis erregend ein. So genannte Ehrenmord, Zwangsheiraten, illegale Gefangennahmen und die Ausbeutung von Frauen und Kindern seien weiterhin weit verbreitet, hieß es in einem am 28. Okt. veröffentlichten Bericht von UN-Menscherechtskommissarin Louise Arbour. Die Bevölkerung leide gleichermaßen unter der Gewalt der Taliban wie auch unter lokalen Milizenführer und Kriegsherren.
  • Zwei US-Soldaten sind wegen der Misshandlung von afghanischen Gefangenen angeklagt worden. Die beiden Soldaten hätten zwei Gefangenen auf einem Stützpunkt in der südlichen Provinz Orusgan auf Brust, Schultern und Bauch geschlagen, teilte die US-Armee am 30. Okt. in einer Erklärung mit. Die beiden Opfer seien dabei aber nicht ernsthaft verletzt worden. Die Anklage laute unter anderem auf Misshandlung und Vernachlässigung der Dienstpflichten. Die US-Armee in Afghanistan muss sich immer wieder wegen Vorwürfen zu Fehlverhalten von Soldaten in Afghanistan verantworten; die Fälle waren teils durch an die Öffentlichkeit gelangte interne Berichte bekannt geworden. Oft ging es um wesentlich schwerere Vergehen als das nun geahndete, unter anderem um willkürliche Verhaftungen, Folter oder Massenhinrichtungen.


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