Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Chronik des Krieges gegen Afghanistan

August 2004

Sonntag, 1. August, bis Sonntag, 15. August
  • Bei Gefechten im Osten Afghanistans haben die afghanische Armee und US-geführte Truppen bis zu 50 mutmaßliche Taliban-Kämpfer getötet. Ein afghanischer Soldat sei ebenfalls getötet worden. Die stundenlangen Kämpfe gehörten nach Angaben der US-Armee vom 3. August zu den schwersten seit dem Sturz des Taliban-Regimes Ende 2001. Die Taliban seien von Pakistan aus in die Provinz Chost eingedrungen.
  • Ab Mitte August sollen rund 80 Bundeswehrsoldaten in der Stadt Feisabad im Nordosten Afghganistans ein weiteres Provincial Reconstruction Team (PRT) neben Kundus bilden. Ein Vorauskommando von 19 Soldaten ist bereits dort und bereitet die Unterkünfte vor. Während in Kundus 17 Soldaten anderer Streitkräfte (Ungarn, Belgien, Schweiz und Frankreich) der Bundeswehr helfen, hat sich für das PRT in Feisabad bisher kein anderes Land gefunden, das mitmachen möchte. Aus dem Verteidigungsministerium gibt es aber die Versicherung, dass Gespräche (mit wem?) kurz vor dem Abschluss seien. Feisabad liegt mitten in einem Mohnanbaugebiet. Die Bundesregierung hat offenbar gerade noch erreichen können, dass eine von den USA und den afghanischen Streitkräften vorgesehene Antidrogen-Militäroperation in der Provinz abgeblasen wurde. Ein anderes Problem, so schreibt die Süddeutsche Zeitung am 4. August, tut sich im Bundeskabinett auf. Die Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul will keine zivilen Helfer nach Feisabad schicken. Es seien keine zusätzlichen Mittel im Haushalt vorhanden, also müsste bei anderen Projekten in Afghanistan gespart werden. Das wäre aber ein "falsches Signal", sagte sie.
  • Drei frühere britische Gefangene auf dem Militärstützpunkt Guantánamo Bay haben dem US-Militär systematische Misshandlung von Gefangenen vorgeworfen. Dies geht aus einem 115-seitigen Bericht hervor, den die drei Briten am 4. Juli in New York offiziell vorstellten und anschließend einem Senatsausschuss übergeben wollten. Die drei waren 2002 in Afghanistan gefangen genommen worden und eineinhalb Jahre ohne Rechtsbeistand und offizielle Anklage inhaftiert gewesen, bevor sie im März 2004 den englischen Behörden überstellt wurden. Die Vorwürfe ähneln den im Frühjahr 2004 publik gewordenen Foltervorgängen im Irak.
  • Erstmals fanden am 5. August auf Guantánamo Anhörungen von Gefangenen unter Anwesenheit von Journalisten statt. Zwei afghanische Gefangene sagten vor einem der Sondertribunale aus, welche die US-Armee eigens für die Prüfung der Gefangenen eingerichtet hatte. Seit einigen Tagen laufen solche Anhörungen. Bisher wurden zehn Fälle verhandelt.
  • Am 9. August übernahm das Eurokorps das Oberkommando über die Internationale Schutztruppe Isaf (Internationale Security Assistance Force). Es ist der erste Einsatz dieses vor zwölf Jahren auf Basis der deutsch-französischen Brigade gegründeten Korps außerhalb Europas. Die Mission ist auf sechs Monate angelegt. Befehlshaber ist der Franzose Jean-Louis Py. Py sieht in der Mission "einen äußerst wichtigen Schritt für das Korps, das dabei das Zusammenwirken mit der Nato zeigen wird". Er betrachtet sich selbst als "Dirigent", der Nato-Entscheidungen "in Musik umsetzt". (Zit. nach Süddeutsche Zeitung vom 7./8. August 2004.) Beteiligt sind Soldaten aus fünf Staaten: Deutschland, Frankreich, Belgien, Spanien und Luxemburg. Das Eurokorps ist seit 2002 eine der Schnellen Eingreiftruppen der NATO und gilt als Keimzelle der künftigen europäischen Armee.
    Der bisherige Isaf-Chef, der Kanadier Rick Hillier, versprach bei der Übergabe: "Die Nato und die Internationale Gemeinschaft werden Afghanistan nicht verlassen, bevor unsere Aufgabe nicht erledigt und die afghanische Nation stark genug ist, um auf eigenen Füßen zu stehen."
  • Zur Präsidentenwahl in Afghanistan im Oktober treten 18 Kandidaten an. Auf der Liste, die die Wahlkommission am 10. August vorstellte, stehen auch eine Reihe von Milizenführern wie der Usbeke Raschid Dostum. Die Kriegsherren seien zugelassen worden, obwohl zum Teil erhebliche Vorwürfe gegen sie eingereicht worden seien, sagte der Leiter der Kommission, Sakim Schah.
  • Die USA wollen den Drogenanbau in Afghanistan stärker bekämpfen. "Die Planungen für einen koordinierten Schlag gegen den Rauschgifthandel stehen kurz vor dem Abschluss", sagte US-Verteidigungsminster Donald Rumsfeld vor seinem Abflug aus Oman nach Kabul am 11. August. Nach seiner Ankunft in Afghanistan wolle er das Problem mit afghanischen Politikern und UN-Vertretern erörtern. Rumsfeld sagte weiter, seine Regierung wolle verhindern, dass die Milliarden Dollar an Einnahmjen aus Rauschgiftgeschäften in die Hände jener gerieten, die "gleichzeitig die Demokratie zerstören, die Taliban-Regierung wieder einsetzen oder Al Qaida finanziell unterstützen". Rumsfeld nannte keine Einzelheiten des Plans, verwies aber auf die Rauschgiftbekämpfung in Kolumbien.
  • Ein US-Soldat ist am 12. August beim Absturz eines Militärhubschraubers im Osten Afghanistans getötet worden. 14 weitere Soldaten wurden zum Teil schwer verletzt, wie die US-Armee mitteilte. Der Absturz sei nicht die Folge eines feindlichen Angriffs, hieß es weiter. Eine Untersuchung solle die Unfallursache aufklären. Der Unfall ereignete sich in der Provinz Chost im Südosten des Landes.
  • Amerikanische und afghanische Soldaten haben an einem Straßenkontrollpunkt 26 einheimische Sicherheitskräfte festgenommen, weil diese mit den Taliban kooperiert haben sollen. Die Männer wurden schon am Abend des 12. August in der südlichen Provinz Sabul verhaftet, wie ein Regierungsbeamter am 13. August mitteilte. Der Kommandeur der Sicherheitskräfte konnte fliehen. Wie der Regierungssprecher weiter sagte, stehen die Festgenommenen auch unter dem Verdacht, Reisende an der Hauptverbindungsstraße zwischen Kandahar und Kabul ausgeraubt zu haben.
  • Am 14. August kam es zwischen Angehörigen verschiedener Milizen in der Provinz Herat wieder zu Kämpfen, bei denen nach Angaben eines Kommandeurs 21 Menschen ums Leben kamen. In Herat kämpfen Truppen von Provinzgouverneur Ismail Chan gegen eine Reihe von Stammesführern, die sich gegen Chans Herrschaft auflehnen.
  • Bei einem Überfall auf einen Kontrollposten in der südlichen Provinz Kandahar wurden in der Nacht zum 15. August sechs Soldaten getötet, wie Polizeichef Chan Mohammed am 15. August mitteilte.
  • Für die im Oktober geplante Präsidentschaftswahl in Afghanistan haben sich fast zehn Millionen Stimmberechtigte registriert. Bis zum Ablauf der Anmeldefrist am 15. August wurden 9,9 Millionen Wählerausweise ausgegeben, wie ein UN-Sprecher in Kabul mitteilte. Zuvor seien Schätzungen davon ausgegangen, dass es in Afghanistan nur 9,8 Millionen Wahlberechtigte gebe. Die Anzahl der Registrierungen zeige "den enormen Willen der Afghanen, sich zu beteiligen", sagte UN-Sprecher Manuel de Almeida e Silva. Die Abstimmung im Oktober ist die erste Präsidentschaftswahl in Afghanistan überhaupt.
    Ob die ursprünglich geschätzte Zahl der Wahlberechtigten falsch war oder ob sich einige Personen mehrfach registrieren ließen, sei unklar, räumten die UN ein. Die letzte Volkszählung in Afghanistan wurde 1979 durchgeführt, seitdem wurden in über 20 Jahren Krieg Millionen von Menschen getötet oder vertrieben. Bei der Wahl am 9. Oktober sollen Unregelmäßigkeiten dadurch verhindert werden, dass jedem Wähler nach der Stimmabgabe der linke Daumen eingefärbt wird.
  • US-Truppen und afghanische Regierungssoldaten haben am 15. August mit Unterstützung von Hubschraubern mutmaßliche Taliban-Kämpfer in der Nähe der pakistanischen Grenze angegriffen. Dabei wurden nach Angaben der afghanischen Behörden sieben Taliban-Kämpfer getötet und elf gefangen genommen. Der Angriff erfolgte in den Bergen bei Maruf, 130 Kilometer von der Stadt Kandahar entfernt, wie ein Sprecher der Provinzregierung mitteilte. Einige weitere Kämpfer seien geflohen.
  • In der nordostafghanischen Stadt Faizabad, dem Standort des zweiten deutschen Wiederaufbauteams, ist eine Bombe explodiert. Niemand sei zu Schaden gekommen, teilte die Bundeswehr am 15. August in Kundus mit. Nach ersten Ermittlungen sei die Detonation des Sprengsatzes an einer neuen Brücke in Faizabad mit einem Zeitzünder ausgelöst worden. Derzeit sind rund 25 Bundeswehr-Soldaten in der Hauptstadt der Provinz Badakhshan. Das zweite deutsche militärisch- zivile Wiederaufbauteam soll Ende des Monats voll einsatzfähig sein.
Montag, 16. August, bis Sonntag, 22. August
  • Vor einem Militärgericht in Kabul ist am 16. August der Prozess gegen drei selbst ernannte Terroristenjäger weitergegangen. Die drei US-Bürger Jonathan Idema, Brent Bennet und Edward Caraballo und vier afghanische Komplizen sind angeklagt, in Afghanistan einen privaten Anti-Terror-Feldzug ohne Wissen der Behörden geführt zu haben. Unter anderem hatten sie angebliche Verdächtige in einem Haus der afghanischen Hauptstadt festgehalten und gefoltert. Ihnen drohen bei einer Verurteilung Haftstrafen zwischen 16 und 20 Jahren.
  • Die Registrierung für die erste Präsidentschaftswahl in Afghanistan ist in einigen Provinzen um eine Woche verlängert worden. In fünf südlichen Provinzen und Teilen des Südwestens könnten sich die Menschen bis kommenden Freitag in die Listen eintragen lassen, sagte UN-Sprecher Fred Eckhard am 16. August in New York.
  • Beobachter der Europäischen Union sollen die anstehende Präsidentschaftswahl in Afghanistan bereits im Vorfeld begleiten. Ein 25-köpfiges Expertenteam werde "Schlüsselaspekte" der für Oktober geplanten Wahl bewerten und Empfehlungen abgeben, teilte die EU-Kommission in Brüssel am 17. August mit. Die Fachleute sollten nicht nur in der afghanischen Hauptstadt Kabul, sondern auch in anderen Landesteilen stationiert werden und bis zu drei Monate lang dort bleiben.
  • In der westafghanischen Provinz Herat haben sich am 17. August erneut Anhänger des Provinzgouverneurs und Milizen des Kriegsherrn Amanullah Chan heftige Gefechte geliefert. Die paschtunischen Milizen nahmen den Bezirk Adraskan rund 85 Kilometer südlich der Provinzhauptstadt Herat vorübergehend ein, wie ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Kabul mitteilte. Kurze Zeit später hätten jedoch die Kämpfer des Gouverneurs Ismail Chan die Kontrolle über das Gebiet wiedererlangt. Über die Zahl der Opfer wurde zunächst nichts bekannt.
  • Die 17 Mitbewerber um das Präsidentenamt in Afghanistan haben am 18. August damit gedroht, ihre Kandidatur zurückzuziehen, falls Präsident Hamid Karsai nicht vor der Wahl im Oktober zurücktritt. Zur Begründung sagte der Kandidat Abdul Satar Sirat bei einer Pressekonferenz in Kabul, Karsai missbrauche Regierungseinrichtungen für seinen Wahlkampf. Der Staatschef müsse deshalb innerhalb einer Woche zurücktreten.
  • Zum ersten deutsch-afghanischen Schüleraustausch sind am 18. August 19 Schüler aus Afghanistan in Deutschland eingetroffen. Die Jugendlichen kamen am Nachmittag am Flughafen Frankfurt am Main an, von wo aus sie weiter nach Sachsen reisten. Sie seien nach einer etwa elfstündigen Reise "sehr müde", aber auch "sehr fröhlich und guter Laune", sagte Gottfried Böttger vom Pädagogischen Austauschdienst der Kultusministerkonferenz (KMK). Die Schüler im Alter zwischen 17 und 19 Jahren werden drei Wochen in Deutschland bleiben. Finanziert wird das Projekt mit rund 50.000 Euro vom Auswärtigen Amt und dem Land Sachsen.
  • Afghanistans Präsident Hamid Karsai hat den von seinen politischen Konkurrenten verlangten Rücktritt vor der Wahl am 9. Oktober abgelehnt. Diese Forderung widerspreche der Verfassung, sagte Karsais Sprecher Dschawad Ludin am 19. August. Laut Wahlgesetz darf der Übergangspräsident bis zur Wahl eines neuen Präsidenten im Amt bleiben.
  • Bei einem Anschlag auf ein Gebäude der afghanischen Wahlkommission sind mindestens sieben Polizisten verletzt worden. Zwei von ihnen hätten bei den Explosionen in der westafghanischen Stadt Farah schwere Verletzungen erlitten, sagte ein Sprecher der Vereinten Nationen am 20. August. Bei dem Vorfall am späten Abend des 19. August habe es binnen kurzer Zeit sechs Explosionen gegeben.
  • Zwei Meldungen - ein Vorfall?
    (1) Bei Gefechten in der südafghanischen Unruheprovinz Kandahar sind drei Soldaten und zwei Taliban-Kämpfer getötet worden. Wie die afghanische Nachrichtenagentur AIP berichtete, hatten die Taliban-Rebellen in der Nacht zum 21. August einen Militärposten angegriffen und vorübergehend besetzt, bevor sie wieder vertrieben wurden. (dpa)
    (2) Bei einem Angriff dutzender schwer bewaffneter Taliban-Kämpfer auf ein Regierungsbüro im Süden Afghanistans sind am 21. August drei Menschen getötet worden. Rund 80 Kämpfer stürmten am frühen Morgen ein Gebäude der Bezirksverwaltung in Miana Schien, rund 90 Kilometer nördlich von Kandahar, wie ein Behördensprecher mitteilte. Auf Regierungsseite wurde Sprecher Schadi Chan zufolge ein Soldat getötet, zwei weitere erlitten Verletzungen. Zudem seien zwei Taliban-Kämpfer getötet und drei verwundet worden. (AP)
  • Pakistanische Truppen haben am 21. August mutmaßliche ausländische Terroristen nahe der Grenze zu Afghanistan angegriffen. Die Soldaten hätten einige von ihnen in Shakai in der Region Süd-Waziristan getötet und verwundet, sagte der Sprecher der pakistanischen Streitkräfte, Generalmajor Shaukat Sultan, im staatlichen Fernsehen. Es handele sich aber nicht um eine neue Großoffensive. Ein Geheimdienst-Mitarbeiter in Islamabad sagte, die Soldaten hätten zwei Stellungen ausländischer Terroristen und ihrer einheimischen Verbündeten umzingelt. Diese hätten mit leichten Waffen das Feuer erwidert. Augenzeugen berichteten, drei pakistanische Jets hätten 45 Minuten lang Angriffe geflogen.
  • Ein von der UNO ernannter Menschenrechtsexperte hat die USA aufgefordert, ihre Gefangenenlager in Afghanistan für unabhängige Beobachter zu öffnen. Er habe wegen des Mangels an Offenheit "ernsthafte Bedenken" bezüglich der Rechtmäßigkeit vieler Inhaftierungen, sagte Scherif Bassiuni am 21. August in Kabul. Er forderte Washington auf, Menschenrechtsexperten Zugang zu den etwa 300 bis 400 Gefangenen in den beiden Hauptgefängnissen auf dem Luftwaffenstützpunkt Bagram bei Kabul sowie in Kandahar zu gewähren. Darüber hinaus unterhalte die US-Armee eine Vielzahl von kleineren Gefangenenlagern, zu denen nicht einmal Mitarbeiter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz Zugang hätten, kritisierte Bassiuni.
  • US-Soldaten in Afghanistan haben nach eigenen Angaben drei afghanische Zivilpersonen erschossen, deren Fahrzeug an einem Kontrollpunkt nicht stehen geblieben war. Bei den Toten handelte es sich um einen Mann und zwei Frauen, wie die Militärbehörden am 22. August mitteilten. Zwei weitere Personen seien schwer verletzt worden. Der Vorfall ereignete sich den Angaben zufolge in der zentralen Provinz Ghasni. Der Pritschenwagen mit den Opfern sei mit hoher Geschwindigkeit auf den Kontrollpunkt zu gefahren, ohne anzuhalten. Beobachter befürchteten, dass der Zwischenfall die örtliche Bevölkerung weiter verärgern könnte. Diese hat den amerikanischen Truppen schon oft vorgeworfen, zu schnell von der Schusswaffe Gebrauch zu machen.
  • Über zehn Millionen Afghanen haben sich für die Präsidentschaftswahl im Oktober registrieren lassen. Der Frauenanteil betrage knapp 42 Prozent, teilte die UNO am 22. August in Kabul mit. Die UNO hatte mit deutlich weniger Registrierungen gerechnet. Die Wählerregistrierung war am 20. August in ganz Afghanistan zu Ende gegangen. Zuvor war die Frist in einigen Teilen des Landes um fünf Tage verlängert worden. Die UNO organisiert die Wahlen am 9. Oktober gemeinsam mit der afghanischen Regierung.
Montag, 23. August, bis Sonntag, 29. August
  • Der Prozess gegen den angeblichen US-Kopfgeldjäger Jonathan Keith Idema alias "Tora-Bora-Jack" ist in Kabul nach einem Verhandlungstag am 23. August erneut vertagt worden. Ein Anwalt des mit angeklagten US-Journalisten Edward Caraballo zeigte dem Gericht ein Video, dass Idemas Aussage, im Auftrag der US- und afghanischen Behörden gehandelt zu haben, untermauern sollte. Zu sehen war auf dem Band Idema im Gespräch mit dem früheren afghanischen Bildungsminister Junis Kanuni, der auch bei der Präsidentschaftswahl im Oktober kandidiert. Die Männer besprachen dabei die Festnahme eines mutmaßlichen Drahtziehers eines Attentats auf Kanuni.
  • Bei einer Offensive der pakistanischen Armee im Nordwesten des Landes sind vier mutmaßliche Aktivisten der Terrororganisation El Kaida getötet worden. Zwei weitere Verdächtige seien gefasst worden, als Soldaten ein Versteck nahe der Stadt Miranshah in Nord-Waziristan ausgehoben hätten, erklärte ein Militärsprecher am 23. August. Nach seinen Angaben handelte es sich bei den Getöteten um Ausländer. Ihre Nationalität gab er jedoch ebenso wenig an wie die der Gefangenen. In der Stammesregion an der Grenze zu Afghanistan sucht die pakistanische Armee seit mehr als zwei Jahren nach El-Kaida-Kämpfern.
  • Der pakistanische Präsident Pervez Musharraf hat seinem afghanischen Kollegen Hamid Karsai zugesagt, gegen Taliban-Kämpfer im Grenzgebiet zwischen beiden Ländern vorzugehen, die die anstehenden Wahlen in Afganistan stören könnten. Islamabad werde von den Grenzgebieten ausgehende "terroristische Aktivitäten" verhindern, sagte Musharraf am späten Abend des 23. August nach Gesprächen mit Karsai in Islamabad. Die pakistanische Armee gehe zudem "mit aller Härte" gegen Mitglieder der Terrororganisation El Kaida vor.
    Der afghanische Präsident Hamid Karsai hat die Freilassung aller pakistanischen Gefangenen in seinem Land zugesagt. Sie sollten bereits in den nächsten Tagen an Pakistan übergeben werden, hieß es in einer Mitteilung des pakistanischen Außenministeriums. Nach Ministeriumsangaben handelt es sich um rund 400 Pakistaner, die sich den radikalislamischen Taliban anschließen wollten. Pakistan will im Gegenzug knapp 250 Afghanen aus der Haft entlassen.
  • Mit einer Terroranklage gegen einen Fahrer von Osama bin Laden hat am 24. August das erste Militärtribunal der USA seit dem Zweiten Weltkrieg begonnen. Der 34-jährige Salim Ahmed Hamdan aus dem Jemen erschien ohne Handschellen vor den fünf Offizieren der Militärkommission in Guantanamo, dem US-Stützpunkt auf Kuba. Seine Verteidiger haben die Anklage gegen Hamdan entschieden zurückgewiesen. Sein Mandant sei nur als Pilger unterwegs gewesen und habe auf dem Anwesen von Osama bin Laden eine Gelegenheitsarbeit aufgenommen, erklärte Major Charlie Swift. Die Ankläger werfen Hamdan aber vor, auch dem Al-Kaida-Führer auch als Leibwächter gedient und Waffen transportiert zu haben.
  • Die Bundeswehr wird ab Anfang September mit einem Wiederaufbauteam (PRT) in der nordafghanischen Stadt Faisabad vertreten sein. Die Soldaten würden ab September einsatzbereit sein, sagte die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Kerstin Müller (Grüne), am 24. August in Berlin. Wünschenswert sei es, dass in Faisabad ebenso wie in Kundus zivile Programme in die Arbeit der PRT integriert würden, sagte Müller, die am Vortag von einer fünftägigen Afghanistan-Reise zurückgekehrt war. Der in Kundus verwirklichte integrierte Ansatz, den Militäreinsatz mit zivilen Aufbauprogrammen zu verbinden, sei erfolgreich und habe "Pilotcharakter". "Das PRT hat den Teufelskreis aus mangelnder Sicherheit und fehlendem Aufbaufortschritt durchbrochen", sagte Müller. Bei der Bevölkerung gebe es eine hohe Akzeptanz.
    Nach Angaben von Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD) beginnt die Bundeswehr ihren Einsatz in Faisabad zunächst ohne ausländische Hilfe. "Wir machen das zunächst allein und hoffen, dass andere Staaten sich später auch noch mit einigen kleineren Kontingenten beteiligen", sagte er der "Leipziger Volkszeitung" vom 24. August. "Fest steht: Wir beginnen auch im Alleingang." Die Bundesregierung hatte zunächst auf die Unterstützung der Niederlande gehofft, die jedoch in Baghlan südlich von Kundus alleine ein PRT aufbauen wollen. Das Verteidigungsministerium nahm daraufhin mit anderen Staaten Verhandlungen auf.
  • Ein wegen Misshandlung afghanischer Gefangener vor Gericht stehender Amerikaner hat nach Militärangaben keine Verbindungen zu den US-Streitkräften unterhalten. Jonathan Idema habe offenbar an Größenwahn gelitten und sich als alleiniger Rächer im Kampf gegen Al Kaida gesehen, sagte Major Scott Nelson am 25. August vor einem Militärgericht in Kabul. Idema und zwei weitere Amerikaner werden beschuldigt, rund ein Dutzend Afghanen in einem privaten Gefängnis schwer misshandelt zu haben. Der Anklage zufolge wurden die Häftlinge unter anderem mit kochendem Wasser übergossen. Idema, dem eine Haftstrafe bis zu 20 Jahren droht, machte vor Gericht geltend, er habe seinerzeit mit dem Pentagon in Verbindung gestanden, um den US-Behörden einen ranghohen Taliban-Kämpfer zu übergeben. Das Büro von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld sei über seine Aktivitäten informiert gewesen, erklärte Idema. Dagegen hieß es aus Militärkreisen, der überstellte Häftling habe sich nicht als hochrangig erwiesen und sei nach zwei Monaten freigelassen worden. Idema habe sich die geschilderten Kontakte zu US-Regierung und Militär lediglich eingebildet, sagte Armeesprecher Nelson. "Er war ein Einzelkämpfer mit der Illusion, etwas Großartiges für die Welt zu tun." Beobachter haben wiederholt mangelnde Klarheit im Fall des von Idema übernommenen Häftlings angeprangert.
  • In der Provinz Chost beschossen mutmaßliche Taliban am 27. August einen Konvoi, der Lebensmittel zu einem US-Stützpunkt bringen sollte. Dabei wurden nach Angaben eines afghanischen Militärsprechers ein LKW-Fahrer getötet und ein weiterer Mann verwundet.
  • Regierungstruppen in Afghanistan haben im Westen des Landes einen aufständischen Stammesführer festgenommen. Amanullah sei am 27. August in die Hauptstadt Kabul gebracht worden, sagte der Sprecher von Präsident Hamid Karsai, Dschawid Ludin. Kämpfe zwischen Amanullahs Milizen und den Gefolgsleuten von Gouverneur Ismail Chan hatten Anfang August in der Provinz Herat Dutzende Menschen das Leben gekostet. Nach Gefechten in der südlichen Provinz Sabul griffen afghanische und US-Truppen nach Militärangaben unterdessen 22 mutmaßliche Taliban-Kämpfer auf. Obwohl sich Amanullah und Chan als Anhänger Karsais bezeichnen, haben es beide bislang abgelehnt, ihre privaten Milizen zu entwaffnen. Zur Entschärfung der Lage hatte Karsai mehrere hundert Soldaten in einer Pufferzone zwischen den beiden verfeindeten Lagern stationieren lassen. Erst nachdem die US-Streitkräfte Kampfflugzeuge nach Herat entsandten, einigten sich die beiden Kriegsherren auf einen Waffenstillstand.
  • In der Provinz Ghasni eröffneten afghanische Truppen nach Behördenangaben vom 28. August das Feuer auf ein Auto, das offenbar nicht an einem Kontrollposten angehalten hatte. Ein Milizionär sei erschossen worden, zwei weitere hätten Verletzungen erlitten.
  • Bei einer Bombenexplosion in einer Koranschule im Südosten Afghanistans sind neun Kinder und Jugendliche getötet worden. Auch ein Erwachsener starb bei der Detonation am 28. August, wie die US-Armee einen Tag später mitteilte. 14 weitere Menschen wurden nach Angaben der Polizei bei der Explosion am Samstag in Tatnak in der Provinz Paktia verletzt. Einige der Verletzten wurden zu US-Stützpunkten gebracht, um dort versorgt zu werden. Zunächst hatte es geheißen, 30 Kinder und zwei Erwachsene seien verletzt worden.
  • Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbands, Bernhard Gertz, hat die geplante Entsendung von Bundeswehrsoldaten nach Faisabad im Nordosten Afghanistans scharf kritisiert. "Leib und Leben unserer Soldaten in Afghanistan ist immer und überall gefährdet - ob in Kabul oder in Faisabad", schreibt Gertz in einem Gastbeitrag für die "Bild am Sonntag" (29. August) mit Blick auf die für September geplante Entsendung eines Wiederaufbauteams (PRT). "Einsätze in einem solch unsicheren Land sind deshalb nur zu verantworten, wenn sie wirklich Sinn machen und von der Bundesregierung ausreichend begründet werden. Dies ist aber bisher nicht geschehen."
  • Bei einem vermutlich von El-Kaida-Kämpfern verübten Raketenangriff ist im Osten Afghanistans ein pakistanischer Soldat getötet worden, sechs weitere wurden verletzt. Drei Raketen seien in der Nacht zum 29. August im Lager der Truppen in der Stadt Wana nahe der pakistanischen Grenze eingeschlagen, wie Beamte in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad mitteilten.
  • US-Spezialkräfte und afghanische Soldaten haben in der südafghanischen Provinz Zabul bei einem Feuergefecht einen Rebellenführer getötet. Rozi Khan sei unter anderem für Entführungen von Mitarbeitern von Hilfsorganisationen und für zahlreiche Angriffe auf Koalitionstruppen verantwortlich, teilten die US-Streitkräfte am 29. August mit.
  • Bei einem von den radikalislamischen Taliban verübten Anschlag in der Innenstadt von Kabul sind am 29. August nach Angaben der afghanischen Polizei bis zu 15 Menschen ums Leben gekommen, die meisten von ihnen Ausländer. Bei der Explosion seien "zwischen zehn und 15 Menschen" getötet worden, erklärte ein Polizeivertreter in Kabul. Die meisten der Opfer seien Ausländer. Nach Angaben der US-Armee ist unter den Opfern mindestens ein US-Bürger. Zu dem Anschlag bekannten sich die radikalislamischen Taliban. Zwei Taliban-Sprecher hätten in Telefonanrufen die Verantwortung für das Attentat übernommen, berichtete der arabische Fernsehsender El Dschasira. Sie hätten ihr Bedauern darüber ausgedrückt, dass Afghanen Opfer des Anschlags geworden seien. Das Attentat habe der US-Armee gegolten. Nach Angaben der Internationalen Afghanistan-Schutztruppe wurde die Stadt gegen 18.00 Uhr Ortszeit von zwei Explosionen erschüttert. Eine der beiden Detonationen ereignete sich in der Nähe der US-Sicherheitsfirma Dyncorp, die auch Leibwächter für Präsident Hamid Karsai stellt.
Montag, 30. August, bis Dienstag, 31. August
  • Die für des 30. August vorgesehene Fortsetzung des Prozesses gegen den mutmaßlichen US-Kopfgeldjäger Jonathan Keith Idema in der afghanischen Hauptstadt Kabul ist erneut um zehn Tage verschoben worden. Wie Chefankläger Mohammed Nahim Daiwari der Nachrichtenagentur AFP sagte, gab das Gericht einer entsprechenden Bitte von zwei neuen Verteidigern in dem Verfahren gegen Idema und seine beiden Landsleute, Edward Caraballo und Brent Bennett, statt. Das afghanische Sondertribunal hatte den Prozess bereits am 16. und 23. August um jeweils eine Woche vertagt.
  • Nach den jüngsten Anschlägen mit zahlreichen Toten in Afghanistan hat UN-Generalsekretär Kofi Annan die Regierung in Kabul, die ISAF-Truppe und die US-geführte Koalition zu verstärktem Schutz der kommenden Präsidentschaftswahlen gemahnt. Die Verantwortlichen müssten die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen ergreifen, um die an der Vorbereitung der Wahlen Beteiligten zu schützen, hieß es am 30. August in einer vom UN-Generalsekretariat veröffentlichten Erklärung. Annan sei tief beunruhigt über die Anschläge in Kabul und in der Provinz Paktia im Südosten des Landes. Er sei "besonders bestürzt über die große Zahl der Opfer, unter denen auch Kinder sind".
  • Bei einem Bombenangriff der US-Luftwaffe auf ein Dorf im Osten Afghanistans sind in der Nacht zum 31. August mindestens acht Menschen ums Leben gekommen. Bei den Toten handelte es sich nach Angaben der dänischen Hilfsorganisation DACAAR um Bewohner von Weradesch in der Provinz Kunar. Zuvor hatten Rebellen am Montagabend rund 25 Raketen auf das Bürgermeisteramt der nahe gelegenen Ortschaft Mano Gai abgeschossen. Polizisten erwiderten das Feuer, wie der Gouverneur von Kunar, Sajed Fasel Akbar, mitteilte. Anschließend bombardierten US-Kampfflugzeuge das Dorf Weradesch, von wo aus die Raketen abgeschossen worden sein sollen. Auch das Camp der Hilfsorganisation DACAAR wurde von einer Bombe getroffen. Die 14 Mitarbeiter hatten nur Sekunden zuvor die Flucht ergriffen, wie DACAAR-Direktor Gorm Pederson mitteilte. Ein Mitarbeiter sei verletzt worden. Die US-Streitkräfte erklärten, die unter amerikanischem Kommando stehenden Soldaten in der Gegend seien mit Mörsergranaten und Raketen angegriffen worden. Dies habe ein Gefecht ausgelöst, in dessen Verlauf "Aufständische wahllos auf Dorfbewohner schossen". Bei den Kämpfen seien mehrere Extremisten getötet worden. Zehn Verletzte, darunter sieben Kinder, seien zur Behandlung auf den Stützpunkt Bagram nördlich von Kabul geflogen worden. (Siehe dazu auch die Meldung vom 1. September.)
  • Der afghanische Übergangspräsident Hamid Karsai hat den einflussreichen Kriegsherrn Mohammed Daud von seinem wichtigen militärischen Posten abgezogen und zum stellvertretenden Innenminister ernannt. Daud sei nicht mehr Kommandeur des 7. Armeecorps in der nordöstlichen Provinz Kundus und wechsele nun in die Regierung, sagte ein Sprecher Karsais der Nachrichtenagentur AFP am 31. August. "Die Regierung hielt ihn für geeignet für diesen Posten."


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