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Kein Herz für Kinder

Vorwürfe gegen Interventionstruppen in Afghanistan / ISAF weist Schuld den Taliban zu

Von Marcus Bensmann, Bischkek *

Die Führung der internationalen Einsatztruppe ISAF räumt ein, dass ihre Operationen erneut Zivilisten das Leben gekostet haben könnten. Nach afghanischen Quellen sollen Kinder unter den Opfern sein. Präsident Karzai beschwerte sich bei der NATO.

Wieder sind im Afghanistankrieg ganz offensichtlich Kinder getötet worden. »Es könnte während einer Partneroperation von US- und afghanischen Streitkräften zivile Opfer bei der Operation in der Provinz Kunar gegeben haben«, räumte ein ISAF-Sprecher auf dapd-Anfrage am Freitag zumindest ein. Zuvor hatten afghanische Behörden berichtet, dass am Mittwoch zehn Zivilisten, unter ihnen auch Kinder, einem US-Luftangriff in der nordöstlichen afghanischen Provinz zum Opfer gefallen seien. Die Attacke habe Taliban-Kämpfern gegolten.

»Solche Vorfälle müssen in Zukunft strikt vermieden werden«, verlangte der afghanische Präsident Hamid Karzai laut unabhängigen Rundfunkberichten. Der US-Oberbefehlshaber in Afghanistan, General Joseph Dunford, versprach dem afghanischen Präsidenten eine »vollständige Untersuchung« des Vorfalles.

Anfang Februar hatte ein Bericht der Vereinten Nationen für Aufregung gesorgt, der den US-amerikanischen Streitkräften »unverhältnismäßiges« und »rücksichtsloses« Vorgehen bei den Militäraktionen in Afghanistan vorwarf. Allein die Zahl der getöteten Kinder habe sich von 2010 zu 2011 verdoppelt, beklagte das Dossier des in Genf beheimateten UN-Ausschusses für Kinderrechte. US-Militärangehörige seien für derartige Einsätze nicht zur Rechenschaft gezogen worden. Zudem werde die Trauer der Hinterbliebenen nicht ausreichend gewürdigt. »Die US-Militärs ließen über den Zeitraum ein ausreichendes Warnsystem bei Angriffen vermissen«, wird in dem Papier weiter beklagt. Nach UN-Erkenntnissen sollen allein 2011 bei US-Militäroperationen in Afghanistan 110 Kinder gestorben sein.

US-Militärs in Afghanistan und die ISAF wehrten sich gegen den Vorwurf, Militärangriffe in Afghanistan ohne Rücksicht auf Kinder und die übrige Zivilbevölkerung auszuführen. Die UN-Angaben über den Tod Hunderter Kinder in Folge von US-Militäraktionen und Luftangriffen entbehrten jeder Grundlage, behauptete die ISAF. »Die Zahl der Kinder, die aufgrund von Flugangriffen 2012 starben, ist im Vergleich zu 2011 um 40 Prozent gefallen«, so die ISAF. Die internationalen Streitkräfte setzten alles daran, Tote unter der Zivilbevölkerung zu vermeiden.

Nach Darstellung der NATO sind vor allem die Taliban für die Verluste an Menschenleben in der Zivilbevölkerung verantwortlich. Über 80 Prozent der zivilen Opfer in Afghanistan seien von den Aufständischen umgebracht worden. »Die schlimmsten Waffen, die wahllos Opfer unter den Zivilisten verursachen, sind die Straßenminen, welche die Taliban legen«, zitierte die US-Militärzeitung »Stars and Stripes« am Freitag einen Sprecher des Pentagons. Die UN-Vorwürfe seien absurd.

Nach vorsichtigen Schätzungen der Webseite costofwars hat es zwischen 2001 bis 2011 bis zu 17 500 zivile Opfern in Afghanistan gegeben, darunter auch viele Kinder.

In diesem Jahr beginnt der Abzug der NATO-Truppen aus Afghanistan und auch die Bundeswehr plant, sich vom Hindukusch zurückzuziehen. Die USA begannen in der vergangenen Woche bereits mit dem Rückzug.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 16. Februar 2013


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