Um Afghanistans Präsidenten wird es einsam
Abgeordnete fordern die Entlassung prowestlicher Regierungsmitglieder
Von Irina Wolkowa, Moskau *
In Westeuropa und den USA ist der Mittfünfziger mit dem silberweißen Haar gut gelitten, das
afghanische Parlament dagegen fordert seine Entlassung: Die Rede ist von Afghanistans
Außenminister Rangin Dadfar Spanta. Die Volksvertreter werfen ihm Mangel an
Durchsetzungsvermögen auf internationalem Parkett vor, wodurch nationale Interessen auf der Strecke blieben.
Anlass für das Misstrauensvotum gegen den afghanischen Chefdiplomaten Anfang Mai war der
Konflikt mit Iran. Der Nachbarstaat hatte nach westlichen Sanktionen wegen seines
Kernforschungsprogramms mit Destabilisierung in Afghanistan gedroht. Worten folgten Taten: Als
Afghanistan einen Grenzfluss aufstaute, wies die Islamische Republik 90 000 afghanische
Kriegsflüchtlinge aus. Für deren Wiedereingliederung fehlen Kabul natürlich die Mittel – trotz
Milliardenspritzen der »internationalen Gemeinschaft« seit dem Sturz der Taliban Ende 2001. Ein
Gutteil davon versickert in den Taschen korrupter Beamter.
Vor allem das Gerangel um die Kontrolle der Aufbauhilfe bringt den Machtkampf am Hindukusch auf
Touren. Eben darin ist die eigentliche Ursache für das Hickhack um Spanta und andere prowestliche
Minister zu suchen. Die meisten von ihnen haben den Einmarsch sowjetischer Truppen, den
Bürgerkrieg und die Taliban-Herrschaft aus westeuropäischem Exil beobachtet. Spanta und sein für
Wirtschaft zuständiger Kollege Amin Farhang lebten in Deutschland. Mehr Akademiker als Politiker,
brachten sie die politische Kultur ihres Gastlandes mit nach Hause, zu der sie Demokratie, soziale
Gerechtigkeit und Gleichheit der Geschlechter zählen – Werte, mit denen eine Bevölkerung, die seit
30 Jahren Gewehrläufe als einzige Quelle der Macht erlebt und zu 90 Prozent aus Analphabeten
besteht, wenig anfangen kann. Sogar das Parlament besteht zu 70 Prozent aus Mudschaheddin, die
nur mit Mühe lesen und schreiben können. Bei kontroversen Debatten fliegen schon mal
Gegenstände oder Kies durch den Plenarsaal.
Das Kesseltreiben gegen Spanta ist zudem die Retourkutsche für Regierungsumbildungen im
vergangenen Jahr. Damals entließ Präsident Hamid Karsai sämtliche Minister der von der
tadshikischen Minderheit dominierten Nordallianz, die einst die Taliban entmachtet hatte. Geschasst
wurde auch der bis dahin amtierende Außenamtschef Abdullah Abdullah. Die einstigen
Nordallianzler bilden inzwischen den harten Kern der Opposition, die in beiden Kammern des
Parlaments über satte Mehrheiten verfügt. Sie sind auch die Architekten eines Bündnisses mit
ehemaligen Mitgliedern der Demokratischen Volkspartei, die während der sowjetischen Besatzung
regiert hatte, und mit Königstreuen. Dieses Bündnis formierte sich Ende April, um Präsident Karsai
zu entmachten.
Unmittelbar nach diesem Zusammenschluss verlangte das Parlament die Entlassung von
Außenminister Spanta und Flüchtlingsminister Akbar Akbar. Letzteren ließ Karsai inzwischen fallen,
Spanta dagegen, über dessen Fall das Oberste Gericht verhandelt, will er unbedingt retten. Denn
die Reihen der Verbündeten des Präsidenten haben sich bereits stark gelichtet. Eben deshalb hatte
Karsai im vergangenen Herbst die Flucht nach vorn angetreten: Mit den Taliban, die wie er selbst
und Spanta zur Mehrheit der Paschtunen gehören, ließ er Möglichkeiten für eine
Regierungsbeteiligung der Islamisten sondieren. Die indes spielen auf Zeit. Denn damit steigen ihre
Chancen, Karsai und dessen Reformer in die Rolle des Juniorpartners zu zwingen.
* Aus: Neues Deutschland, 4. Juni 2007
Noch eine Offensive gegen die Taliban
2007 starben bisher 75 ausländische Soldaten
Afghanische Sicherheitskräfte unternehmen mit Unterstützung
ausländischer Streitkräfte eine neue Offensive gegen die radikalislamischen Taliban im Süden des
Landes. In der vergangenen Woche hätten in den Provinzen Ghasni, Helmand und Kandahar
Einsätze begonnen, sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums in Kabul, Mohammed Sahir
Asimi, am Sonntag vor Journalisten. Bei einem Einsatz in Helmand am Freitag seien rund 60 Taliban-
Kämpfer bei dem Versuch gestorben, über einen Fluss zu flüchten. Ihr Schiff sei untergegangen, die
Aufständischen seien ertrunken.
Ein Sprecher der Taliban, Sabihulla Mudschahed, kündigte indessen eine neue Offensive mit
Bombenanschlägen und Selbstmordattentaten an. Die örtliche Bevölkerung solle sich daher von
ausländischen Truppen fern halten. »Wenn Zivilisten verletzt werden, liegt es in ihrer eigenen
Verantwortung«, warnte Mudschahed. Ein weiterer Sprecher der radikalislamischen Bewegung
drohte mit der Ermordung von vier afghanischen Geiseln. Der Arzt und die drei Krankenschwestern
würden hingerichtet, wenn die Regierung den Taliban nicht die sterblichen Überreste ihres
Militärchefs Mullah Dadullah übergebe, sagte Taliban-Sprecher Schohabudin Atal am Sonntag. Ein
Ultimatum für die Übergabe laufe am Dienstag ab. Afghanische und NATO-Truppen hatten Dadullah
Anfang Mai bei einem Gefecht in Helmand getötet.
Bei einem Angriff aus dem Hinterhalt kamen ein NATO-Soldat und ein Übersetzer ums Leben.
Zudem seien sieben Soldaten verletzt worden, teilte die Internationale Schutztruppe ISAF am
Sonntag mit. Ein ISAF-Konvoi sei mit Gewehren und Panzerabwehrraketen angegriffen worden. Aus
afghanischen Kreisen hieß es, der Angriff habe sich in der Provinz Nuristan an der Grenze zu
Pakistan ereignet.
Die Zahl der getöteten ausländischen Soldaten durch Angriffe mutmaßlicher Taliban hat in den
vergangenen Wochen zugenommen. In diesem Jahr sind bislang 75 Soldaten ums Leben
gekommen. Auch drei Bundeswehr-Soldaten starben Ende Mai bei einem Selbstmordanschlag in
Kundus.
Quelle: ND, 4. Juni 2007
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