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Jammern statt Abzug

Von Micaela Taroni, Rom *

Italien debattiert seit Donnerstag abend (17. Sept.) einen Ausstieg aus dem Afghanistan-Krieg. Unmittelbar, nachdem selben Tags sechs italienische Besatzungssoldaten bei einem schweren Anschlag im Zentrum Kabuls gestorben waren, geriet die Forderung nach einem Truppenabzug auf die politische Agenda des Mittelmeerlandes. Am Freitag sah sich Medienmogul Silvio Berlusconi, der rechte Ministerpräsident, dazu gezwungen, die Anwesenheit seiner 3250 Mann am Hindukusch in Frage zu stellen. Notwendig sei nunmehr eine »Strategie des Übergangs«. Unter dem Eindruck des schwersten Anschlags, von dem Italiens Truppe bisher betroffen war, hatte er sich zuvor sogar für einen völligen Abzug der NATO aus Afghanistan ausgesprochen. Das wäre »für alle das Beste«, so Berlusconi.

Dem schlossen sich Mitglieder seiner Regierung an. Reformminister Umberto Bossi, Chef der reaktionären Lega Nord und bekannt als Rechtspopulist, meinte: »Bis Weihnachten sollen alle italienischen Soldaten abgezogen werden.« Außenminister Franco Frattini zeigte sich zurückhaltender: Zumindest die 500 Soldaten, die für die Wahlen in Afghanistan zusätzlich entsandt worden sind, sollten bis zum 24. Dezember »nach Hause zurückkehren«. Er forderte im Interview mit der Mailänder Tageszeitung Corriere della Sera am Freitag eine große internationale Konferenz über die Zukunft Afghanistans in Kabul.

Beachten Sie auch die Meldungen vom 17. bis 20. September in unserer tagesaktuellen Afghanistan-Chronik



Grundsätzlich allerdings sprach sich Frattini für eine Fortsetzung der westlichen Kriegspolitik in Afghanistan aus: »Die italienischen Soldaten haben einen hohen Preis für ihren Einsatz gezahlt, doch wir müssen im Land bleiben.« Das scheint letztlich, trotz aller Bekundungen, Regierungslinie zu sein, denn auch Berlusconi ruderte am Freitag zurück: Er sei zwar davon überzeugt, daß die Truppe zurückgeholt werden müsse, doch handele es sich »um ein internationales Problem«. Wörtlich erklärte er: »Der Rückzug ist kein Beschluß, den ein Land allein fassen kann, weil es damit das Vertrauen der anderen an der Mission beteiligten Länder enttäuschen würde.«

Die Leichen der in Kabul gestorbenen Soldaten werden am Sonntag nach Italien überführt. Für das Wochenende sind Aktionen der Friedensbewegung angekündigt. Doch fielen die Reaktionen aus dem linken, pazifistischen und sozialdemokratischen Spektrum des Landes widersprüchlich aus. Während die kommunistischen Parteien die Forderungen nach einem Truppenabzug unterstützten, sprach sich mit der sozialdemokratisch-christlichen PD (Demokratische Partei) die stärkste Oppositionskraft im Parlament dagegen aus. »Der Rückzug wäre jetzt eine Katastrophe für das Land. Wir dürfen nicht erlauben, daß die radikal-islamischen Taliban immer mehr an Raum gewinnen«, äußerte sich deren Spitzenpolitiker, Expremierminister Massimo D'Alema, ein früherer Kommunist.

»Der einzige vernünftige Beschluß ist der Abzug unserer Soldaten und der Beginn eines Friedensprozesses in Afghanistan, der die Probleme des Landes auf politischer Ebene lösen könnte«, sagte dagegen Vincenzo Chieppa, Sprecher der italienischen Kommunisten (PDCI). Der Sekretär der kommunistischen Wiedergründung PRC (Rifondazione Comunista), Paolo Ferrero, betonte, daß die Anwesenheit und die Handlungen der NATO-Truppen die Taliban gestärkt hätten: »Die Kriegsaktionen haben das Problem nicht gelöst, sondern nur eine Annäherung der afghanischen Bevölkerung an die Taliban gefördert.«

* Aus: junge Welt, 19. September 2009


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