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Ein Rückschritt für die Demokratie

Die neue afghanische Verfassung

Von Eine Analyse der neuen afghanischen Verfassung

In dem folgenden Artikel beschäftigt sich James Ingalls mit der Verabschiedung der neuen Verfassung in Afghanistan. Siehe hierzu auch den Beitrag von Matin Baraki: "Karsais Machtpoker".


Von James Ingalls

Am 4. Jänner 2004 kamen 502 Delegierte über eine Verfassung für Afghanistan überein, ein Akt den viele als positiven Schritt in Richtung Demokratie beschrieben haben. Der US Botschafter in Afghanistan, Zlmay Khalizad, schrieb: „Die Afghanen haben die Möglichkeit wahrgenommen, die ihnen von den Vereinigten Staaten und deren internationalen Partnern gegeben worden ist[; nämlich] ein Fundament für demokratische Institutionen zu legen und einen Rahmen für nationale Wahlen zu schaffen.“ [1] Wenn man danach urteilt, wer sich beteiligen durfte, die Art ihrer Beteiligung, und nach dem Dokument selbst, ist das Fundament, das von den Delegierten und ihren ausländischen Aufsehern gebaut worden ist, vollkommen antidemokratisch.

Die Legitimation afghanischer Warlords

Die konstitutionelle Loya Jirga (große Versammlung), war das dritte Ereignis in einem Ablauf, der im Dezember 2001 bei den Treffen in Bonn festgelegt worden ist; dort ist der Aufbau des Afghanistans für die Zeit nach den Taliban geplant worden, eines Afghanistans, welches mit den Interessen der Vereinigten Staaten verträglich ist. Das erste Ereignis war das Treffen in Bonn selbst, das zweite die außerordentliche Loya Jirga im Juni 2002, und das vierte wird die Präsidentenwahl sein, welche für den Juni 2004 vorgesehen ist.

Wie die ersten beiden Meilensteine im Bonner Prozess, war die konstitutionelle Versammlung schon deswegen äußerst zweifelhaft, weil es afghanischen Warlords der Nordallianz, auch als Vereinigte [islamische] Front bekannt, und Gruppierungen anderer Jihadi (heiliger Krieger), gestattet wurde, als legitime Vertreter der Bevölkerung teilzunehmen. [2] Bei den Treffen in Bonn und der außerordentlichen Loya Jirga, wurden Warlords hohe Positionen in der Regierung Präsidents Hamid Karzais zugesprochen, im Austausch dafür, dass den Wünschen der USA gehorsam geleistet wird. Nachdem ihre, gut dokumentierte, terroristische Vergangenheit vergessen war, wurden die afghanischen Warlords, nicht die afghanische Bevölkerung, durch die Intervention der USA befreit, und es wurde ihnen die Macht gegeben, sich am neuen politischen Prozess zu beteiligen. [3]

Die konstitutionellen Versammlungen diesen Winter haben diesen Trend nicht umgekehrt. Laut John Sifton, von Human Rights Watch, war der Prozess in welchem die Vertreter für die Versammlung ausgewählt worden sind, durch „Stimmenkauf, Todesdrohungen und eine nackte Machtpolitik“ gekennzeichnet.

„Human Rights Watch dokumentierte mehrere Fälle in welchen örtliche Militär- oder Geheimdienst-Kommandeure KandidatInnen einschüchterten und Stimmen kauften. In Kabul, welches von internationalen Sicherheitskräften bewacht worden ist, haben sich bei einer Wahlversammlung offen Beamte des Geheimdienstes und des Militärs unter die KandidatInnen gemischt. Viele Kandidaten beschwerten sich über eine Atmosphäre der Furcht und Korruption. In Gegenden außerhalb Kabuls waren viele unabhängige KandidatInnen sogar zu eingeschüchtert, um überhaupt anzutreten. In einigen wenigen Fällen sind Faktionsführer selbst gewählt worden – trotz Regeln, welche es verbieten, dass Regierungsbeamte Delegierte werden. Die Mehrheit der 502 Delegierten waren Mitglieder von Wahlblöcken, die von militärischen Faktionsführern oder Warlords kontrolliert worden sind. Einige gute Leute wurden gewählt, aber diese waren in einer Minderheit – und verängstigt.“

Die Warlords können nicht deswegen teilnehmen weil eine Mehrheit der AfghanInnen sie dort haben will, sondern weil Washington sich dafür entschieden hat, sie zuerst als Lieferant von Bodentruppen einzusetzen um die Taliban zu verjagen, und dann als Gouverneure, um dabei zu helfen, die Bevölkerung zu kontrollieren, sobald die Talibanführer weg waren. In der außerordentlichen Loya Jirga im Juni 2002 gingen die USA und die UNO sicher, dass Führer der Nordallianz als Minister der Übergangsregierung an die Macht kommen, gemäß den Regeln von Bonn ein illegales Ergebnis. Im Austausch für höchste Ministerposten stellten die Warlords ihre Unterstützung hinter Hamid Karzai, die Präsidentenwahl welche die USA getroffen hatte. Washingtons Gesandter Khalizad versicherte, dass der populäre frühere König Zahir Shah nicht antreten durfte, und so wurde kein ernsthafter Herausforderer für Karzai zugelassen. [5] Khalizad rationalisierte diese Wahl folgendermaßen: “Die eigentliche Frage ist, wie man die Notwendigkeiten des Friedens, welcher manchmal schwierige Kompromisse erfordert, mit den Notwendigkeiten der Gerechtigkeit, welche Strafbarkeit verlangen, ausbalanciert“. Da Strafbarkeit auf der Liste von Washingtons Prioritäten ganz unten steht, war es die Absicht des Gesandten, dass die AfghanInnen weiterhin Unrecht erleiden müssen, aber zumindest würden sie in „Frieden“ leben, in einem Land, das von Warlords geführt wird.

Der Verteidigungsminister Donald Rumsfeld stimmt mit der Ansicht überein, dass Warlords für Afghanistan gut sind. „Im Großteil des Landes tragen die Armeen, die Milizen, die Streitkräfte die es dort gibt zur Stabilität bei, bei fast allen diesen sind US Spezialeinheiten involviert und beraten sie und machen mit.“ Die Art von „Stabilität“ die Mr. Rumsfeld schätzt, kann man in der Stadt Herat, welche von Ismail Khan geführt wird, erleben, der vom Verteidigungsminister als „angenehme Person“ betrachtet wird. Ein Bericht von Human Rights Watch vom November 2002 fand, dass Herat „ziemlich genau so geblieben ist, wie es noch unter den Taliban war: eine geschlossene Gesellschaft, in der es keinen Widerspruch gibt, keine Kritik an der Regierung, keine unabhängigen Zeitungen, keine Freiheit öffentliche Treffen zu veranstalten, und keinen Respekt für die Herrschaft des Gesetzes.“ Der Bericht dokumentiert weiters „ein Muster von weit verbreiteter politischer Einschüchterung, Verhaftungen, Schlägen und Folter von Polizei- und Sicherheits-Kräften, unter dem Kommando von Ismail Khan.“ [6]

US Führer zeigen große Sensibilität gegenüber ihren Alliierten, deren Truppen die Bevölkerung in Afghanistan kontrollieren. „BeamtInnen des Pentagons vermeiden es die Bezeichnung ‚Warlord’ zu verwenden“, teilt uns die New York Times mit. [7] Stellvertretender Verteidigungsminister Paul Wolfowitz sagte 2002 dem US Senat: „Ich glaube die grundsätzliche Strategie hier ist es, zuallererst mit diesen Warlords oder regionalen Führern, wie auch immer man sie nennen will, zu arbeiten, und sie zu gutem Verhalten zu ermutigen“. US Kongressmitglied Dana Rohrabacher, seit über einem Jahrzehnt eine eingefleischte Unterstützerin der Nordallianz, kam verärgert zur Unterstützung von „angeblichen Warlords“, die bei einer Anhörung des Ausschusses für Außenbeziehungen des Kongresses im Juni 2003 kritisiert worden sind:

„Ich habe viel negative Haltungen über…diese Leute gehört, welche genau die Typen waren, die sich auf die Seite der Vereinigten Staaten gestellt haben…Dostam, Atta, Khan…das waren die Leute, die die Taliban besiegt haben… Man behalte das im Kopf, wenn man Amerikaner ist. Sie kamen um uns dabei zu helfen die Leute zu besiegen welche [am 11. September 2001] unsere eigenen Leute abgeschlachtet haben. Und ich bin dankbar dafür. Und ich werde sie nicht mit solchen abwertenden Ausdrücken bezeichnen [wie Warlords], besonders wenn die Taliban noch immer an der Grenze sind… Ich würde [sie] ermahnen, nicht so schnell Leute loszuwerden, die uns halfen die Taliban zu besiegen.“

Rohrabachers Ansicht klärt uns über die Motive von US BeamtInnen auf. Kriminelle die „sich auf die Seite der Vereinigten Staaten stellten“ sollen verteidigt werden und sie sollen Macht bekommen, während die anderen ausgeschlossen, verfolgt, und als Kriminelle oder Terroristen bezeichnet werden. Die Konsistenz dieser Vorgangsweise ist bemerkenswert, und, wenn man sie versteht, erklärt sie das, was gewöhnlich für Wankelmütigkeit des Verhaltens der USA gehalten wird; nämlich, der Wandel von Unterstützung zu Verurteilung von Verbrechern, wie Osama bin Laden, Gulbuddin Hekmatyar und Saddam Hussein.

In die andere Richtung funktioniert das auch. Ausgeschlossene können wieder in die Herde zurückgeholt werden, vorausgesetzt, dass sie gehorchen. Die Washington Post berichtete im Dezember eine „neue Strategie“ welche es beinhaltetet „einige Talibanmitglieder zu umwerben“. Der Führer der US Militäroperationen in Afghanistan, Lt. Gen. David Barno, ist folgender Ansicht: „Jene, welche Kriminelle sind, müssen zur Verantwortung gezogen werden, aber für die gewöhnlichen Mitglieder, die nicht kriminellen, wird es Möglichkeiten zur Widerversöhnung und Wiedereingliederung geben.“ [8] In der Praxis sind aber nur jene Taliban kriminell, welche Washington nicht gehorchen. Wer gehorcht, egal wie hoch er postiert war, dem wird die „Wiedereingliederung“ gestattet, das bedeutet, Macht. Zum Beispiel ist der frühere Verteidigungsminister der Taliban, Mullah Abdul Razzak, Jaishul Muslim beigetreten, einem Ableger der Taliban der in Peshawar, in Pakistan, angesiedelt ist. Laut Asia Times Online hat sich diese Gruppierung als Ergebnis eines Versuchs von „den pakistanischen und US- Geheimdiensten“ entwickelt, eine „Organisation vor Ort zu schaffen“, welche „die Taliban spalten und die Stärke ihrer Widerstandsbewegung vermindern“ würde. Das Ziel ist es, Jaishul Muslim dazu zu nutzen, „Taliban Kommandeure mit dem Angebot einer Regierungsstelle anzuwerben“. Die Organisation „hat wenig, wenn überhaupt, Unterstützung innerhalb Afghanistans selbst“, aber soweit Washington betroffen ist, war die Zustimmung der Bevölkerung noch nie eine notwendige Bedingung für die Regierung eines Landes.

Ein alternativer und ebenso gangbarer Weg wäre es gewesen, alle bewaffneten Gruppierungen zu entwaffnen und zu schwächen und die Zusammenarbeit mit Gruppierungen welche Menschenrechtsverletzungen begangen haben zu verweigern, was auch die Nordallianz und die Taliban betrifft. Dieser Weg hätte auf Prinzipien, und nicht auf Macht, basiert, und ist so den Machthändlern in Washington fremd, aber es gebe viel, das für ihn spricht. Ein kürzlich erschienener Bericht der Afghanistan Research and Evaluation Unit, einem in Kabul ansässigen Think-Tank, fand, dass der zur Zeit durchgeführte Prozess, welcher „auf Straffreiheit basiert“, „inhärent instabil und nicht aufrechterhaltbar“ ist. Laut dem Bericht sind es Personen, bzw. Gruppierungen, „die in der Vergangenheit Gewaltverbrechen begangen haben, welche der Grund für die heutige Unsicherheit sind, und [diese sind] die größte Gefahr für die Zukunft Afghanistans. [… Wenn] Gesetzesbrecher nicht für ihre Gewalttaten bestraft werden, werden sie ihre Taten wiederholen, und der Kreislauf von Straffreiheit und Unsicherheit wird für immer fortbestehen.“ [10] Die Revolutionäre Vereinigung der Frauen Afghanistans (Revolutionary Association of the Women of Afghanistan, RAWA), eine politische Menschenrechtsorganisation, welche offen die fundamentalistischen Gruppierungen, wie Nordallianz und Taliban, scharf angegriffen hat, geht noch weiter: „Wenn der Westen nicht damit aufhört die Fundamentalisten der Nordallianz zu unterstützen und [anstelle dessen] damit beginnt die Kräfte zu unterstützen, welche die Unabhängigkeit und die Freiheit lieben, wird […] er von der Bedrohung von unmenschlichen Ereignissen wie am 11. September verfolgt werden“ [11]

Die mächtigsten Warlords

Während ihre afghanischen Alliierten die KandidatInnen der konstitutionelle Loya Jirga eingeschüchtert haben, haben sich die Warlords in Washington ihrer eigenen Einschüchterungsmethode bedient, welche sich gegen die afghanische Bevölkerung wandte, die an der weitläufigen Grenze mit Pakistan lebt. Eine Woche bevor afghanische Warlords und Bürokraten sich unter einem Zelt in Kabuls Fußballstadium versammelten um die Verfassung zu besprechen (ein Ort wo unter den Taliban öffentliche Hinrichtungen stattgefunden haben), begann das Pentagon die Operation Lawine (Operation Avalanche), ihre größte militärische Kampagne seit dem Fall der Taliban. Die Operation war Teil eines Sicherheitsplanes um die Loya Jirga vor Terrorangriffen zu schützen, deren Häufigkeit im ganzen Land dramatisch angestiegen ist. [12] „Wir wollen diese Offensive unternehmen [… ], damit sie damit beschäftigt sind, sich selbst zu verteidigen“, sagte der US Botschafter Khalizad. Hier waren mit „sie“ Terroristen gemeint, aber es war unwahrscheinlich von der Operation Lawine verschont zu bleiben, wenn sie über einen hinwegrollte.

Die Bezeichnung war überraschend offen (obwohl das vielleicht unabsichtlich war), indem sie für das US Militär das Bild einer unaufhaltsamen Naturkatastrophe aufbringt, welche ohne Unterschiede zu machen alles zerstört was auf ihrem Weg liegt. In der ersten Angriffswoche zeigte sich diese Einschätzung als korrekt; in zwei verschiedenen Luftangriffen, welche auf einzelne Personen angesetzt waren, wurden 15 Kinder getötet. Lt. Col. Bryan Hilferty nahm jede Schuld von den US SoldatInnen, indem er die Kinder dafür beschuldigte, im Weg der Lawine gestanden zu haben: „Wenn Nicht-Kämpfer sich mit tausenden Waffen umgeben […,] in einem Gebiet, welches dafür bekannt ist von Terroristen genutzt zu werden, sind wir nicht ganz verantwortlich für die Konsequenzen.“ Hilferty äußerte Bedauern für die Massaker, aber nicht weil sie Kriegsverbrechen waren, sondern weil „solche Fehler die Menschen in Afghanistan dazu veranlassen könnten, schlecht von der Koalition zu denken“. Nachdem der erste Luftangriff neun Kinder getötet hatte, sagte der UNO Botschafter Afghanistans, Lakhdar Brahimi, dass „[dies] zu einem Gefühl der Unsicherheit und Angst im Land beiträgt.“ Die Washington Post berichtete, dass die Luftangriffe der USA, zusammen mit gegen die Regierung gerichteten Terroranschlägen, „ein Leichentuch der Angst über die Vorbereitungen“ der konstitutionellen Versammlung geworfen haben. [13]

Der leitende US Kommandeur in Afghanistan, Lt. Gen. David Barno, behauptet, dass das Pentagon in den Grenzgebieten zu Pakistan sich vermehrt „einer traditionelleren Aufstandsbekämpfungstaktik bedient“, was in der Praxis bedeutet, dass die afghanische Bevölkerung selbst als potentieller Feind betrachtet wird. Barno erklärt, dass im Moment „Bataillons, Kompanien und manchmal sogar ganze Züge, gewisse große Brocken des ländlichen Gebiets besitzen; sie bleiben in diesen Gebieten, operieren andauernd von diesen Gebieten aus; halten und entwickeln Beziehungen mit örtlichen Stammesälteren, mit den Mullahs, mit den örtlichen Regierungsbeamten.“ Ein Älterer, dessen Name nicht genannt wird und der mit den Mullahs zu tun hat, sagte der New York Times, „Es gibt eine größer werdende Kluft zwischen den Menschen in Afghanistan und den AmerikanerInnen“, was eine höfliche Art zu sagen ist, dass die AfghanInnen mit der Anwesenheit der USA nicht glücklich sind. Reuters beschreibt „Verwirrung und Misstrauen“, welches sich wegen den „aggressiven Suchtaktiken und einer allgemeinen Auffassung der Muslime unter einer Belagerung zu sein“, oft „in Hass gewandelt hat“. Ein Auszug aus einem offenen Brief der Bewohner von Lejay an die Vereinten Nationen lautet: „Die AmerikanerInnen haben unsere Provinz durchsucht. Sie haben Mullah Omar nicht gefunden, sie haben Osama bin Laden nicht gefunden, und sie haben auch keine anderen Taliban gefunden. Sie haben alte Männer, Fahrer, VerkäuferInnen verhaftet, und Frauen und Kinder verletzt.“ Ein Bewohner von Sher-o-Aba, Haji Allah Dad, teilte Reuters mit: „Beim geringsten Verdacht inhaftieren sie uns und behandeln uns wie Tiere. Ihr Vorgehen ist so unmenschlich, dass wir manchmal sogar darüber nachdenken uns dem ‚Jihad“ (dem Heiligen Krieg) der Taliban gegen sie anzuschließen“. [14]

Inzwischen vermehrt das pakistanische Militär auf der anderen Seite der Grenze offenbar auch seine Einschüchterungen von Bewohnern der Grenzgebiete. In Barnos Worten, ist dies ein Teil des „Hammer und Amboss – Vorgehens“, um „die al-Kaida Elemente zwischen Pakistan und den Koalitionskräften zu zerschlagen“. Es gibt keinen Kommentar über die unschuldigen Menschen die zusammen mit diesen zerschlagen werden. Der Boston Globe berichtet, dass dies „bis heute“ das „größte gemeinsame Unternehmen“ zwischen den USA und Pakistan ist, wobei „tausende Truppen“ an der „gesetzlosen nordwestlichen Grenze [stationiert werden], Stammesältere unter Druck gesetzt werden und es amerikanischen SoldatInnen erlaubt wird, Streifzüge über die Grenze zu machen.“ [15] Barno lobte die Ergebnisse: „Ich habe in Pakistan einige positive Entwicklungen gesehen, und ich werde sie weiterhin ermutigen in diesen Gebieten mehr zu machen.“ Zum Beispiel „Häuser zerstören und Dinge dieser Art […] wir beobachten das mit großem Interesse.“ [16]

Die DorfbewohnerInnen zu belästigen und ihre Heime zu stürmen mag kurzfristige Achtung vor Washingtons Macht in der „gesetzlosen“ Grenzregion versichern, aber solche Überfälle sind teuer, und können keine anhaltende Wirkung haben. Deswegen ist die neue afghanische Verfassung für die Planer in Washington wichtig. Abgesehen von ihrem Propaganda-Wert als „Beweis“ dafür, dass die Handlungen der USA zu Demokratie führen, zementiert die Verfassung eine politische Machtstruktur, welche die langfristigen Absichten Washingtons für Afghanistan festzementiert. Trotz der Tatsache, dass es eine nationale Versammlung mit der Autorität Gesetze zu erlassen geben wird, befindet sich die politische Macht zum Großteil beim Präsidenten. Eine starke Präsidentschaft ist für eine eine Demokratie sicher nicht notwendig, aber es ist für ein ausländisches Imperium viel einfacher Kontrolle auszuüben, wenn eine Person den Großteil der Macht innehat. In einem Artikel der Gulf-News heißt es: „Eine zentralisierte Präsidentschaft in Kabul ist wohl der sicherste Weg, die Unterstützung der afghanischen Regierung für US-Programme beizubehalten […], eine Verwässerung der Macht würde ohne Zweifel widersprechende Meinungen bei Themen zulassen, welche die Interessen Washingtons [betreffen].“ [17]

Eine Publikation der International Crisis Group (ICG), einem Mainstream-Thinktank der in Brüssel ansässig ist (Vorstandsmitglieder sind unter anderem Zbigniew Brzezinski, Wesley Clark und George Soros), analysierte den Verfassungsentwurf den Karzai den Delegierten präsentiert hat. (Dieser Entwurf ist mit geringfügigen Änderungen akzeptiert worden). [18] Laut dem Bericht, hätte diese Version der Verfassung „keine ernsthafte demokratische Regierungsform geboten, was die Machtverteilung, ein System von Checks and Balances, oder Mechanismen betrifft, die für verstärkte Repräsentation von ethnischen, regionalen oder anderen Minderheiten [sorgen würden]“. Die ICG kritisierte „die Art, in welcher der Entwurf vorbereitet und veröffentlicht worden ist, und auch seinen Inhalt,“ was alles „ernste Fragen aufwirft, ob dies die erste Verfassung in Afghanistans Geschichte werden kann, welche echte, tiefe Unterstützung der Bevölkerung bekommt.“ Ein früherer Entwurf schrieb einen Premierministerposten als Gegengewicht zur Macht des Präsidenten vor. Aber, laut der ICG, änderte Präsident Karzai den Entwurf aufgrund eines „starken Wunsches […] nach einem rein präsidialen System.“ Offensichtlich war das nicht nur Karzais Idee. Es ist „die Auffassung von vielen AfghanInnen“, dass die Betonung einer starken Präsidentschaft aus einem „Verlangen der USA“ entsprungen ist, „zu versichern, dass Karzai die Kontrolle fest in seiner Hand hat, oder zumindest nicht herausgefordert wird, solange er darum kämpft seine Autorität gegenüber jener anderer mächtiger Spieler zu behaupten“.

Auch viele AfghanInnen fanden an Karzais Entwurf Mängel. Kontroversen über die präsidiale Macht drohten sogar die konstitutionelle Loya Jirga zu kippen, als 48% der Delegierten die Abstimmung boykottierten. Karzai war aufgebracht, und erklärte: „Es wird keine Geschäfte mit dem Regierungssystem Afghanistans geben, weder mit Führern des Jihads noch mit sonst jemandem.“ [19] Das ist eine interessante Wortwahl, da es schließlich eine Übereinkunft, die von Beamten der USA und der UNO in einem Hinterzimmer arrangiert worden ist, war, welche den Rückzug des Widerstandes gegen eine starke Präsidentschaft veranlassten. [20]

Karzai und seine Unterstützer in den USA und der UNO portraitieren die Befürworter eines repräsentativeren Systems als „Gegner Karzais, hauptsächlich aus der Nordallianz.“ [21] In andren Worten, das sind Warlords mit unabhängigen Lehensgütern, welche gierig darauf sind ihre Macht auf Kosten Karzais zu legitimieren. Obwohl es wahr ist, dass die Warlords von einer dezentralisierten Regierung profitieren würden, gibt es viele Probleme mit der Ansicht, dass eine starke Präsidentschaft der einzige Weg ist, die Macht der Warlords zu schwächen. Zuerst ignoriert dies die stillschweigende Legalisierung und Stärkung der Macht der Warlords, welche durch strategische Entscheidungen der USA (welche bis heute weitergehen) zustande kamen, und es hievt das Problem die regionalen Warlords zu entmachten auf die Schultern der AfghanInnen. Zweitens wird eine Präsidentschaft mit wenigen Checks and Balances, obwohl sie zurzeit wohl keinem Warlord ermöglichen wird, sich die Macht mit Karzai zu teilen, Afghanistan für eine zukünftige Übernahme durch so eine Person prädestinieren, zum Beispiel durch einen Coup nach der Art Musharrafs oder es wird ein autoritäres System, wie in anderen Ländern Zentralasiens. Und drittens wurde das Boykott von vielen AfghanInnen angetrieben und unterstützt, welche weder Mitglieder der Nordallianz noch der Gruppierungen um die Warlords sind. Zum Beispiel, Mustafa Etemadi, ein Mitglied der hazara-schiitischen Minderheit, der sagte: „Wir haben uns nicht an der Abstimmung beteiligt, weil die Wünsche unseres Volkes nicht respektiert worden sind. Wir wollen weitreichende Demokratie in diesem Land, wir wollen, dass unser Parlament mehr Macht hat.” Habiba, ein Lehrer in Kabul, hat eine ähnliche Einstellung: „Wir wollen ein starkes Parlament neben dem Präsidenten, gleiche Rechte für Männer und Frauen, Demokratie unter den ethnischen Gruppen und Anerkennung aller Sprachen der Nation. Die Verfassung ist nicht für einen Stamm oder eine Volksgruppe gedacht; sie ist für alle Menschen des Landes da.” [22]

Obwohl die Verfassung von Karzai, und seiner von der USA gestützten Elite, auf der einen Seite, und der Nordallianz und den Warlords auf der anderen, dominiert worden ist, gab es auch „weniger mächtige Gruppen: weibliche Delegierte, ethnische Hazaras, ehemalige KommunistInnen, und ethnische UsbekInnen”, welche ein parlamentarisches System anstrebten. Sie kämpften auch für die paar Zeilen in der Verfassung welche Frauen etwas berücksichtigt – die Rechte von Frauen werden jenen von Männern gleichgestellt und mehr als 25% der Sitze im niederen Haus des Parlaments sind für Frauen reserviert. Im Kontrast dazu waren die Prioritäten der USA bei der konstitutionellen Loya Jirga lediglich auf reine Machtfragen begrenzt, und hatten in ihrem Zentrum die Notwendigkeit, die Bevölkerung durch einen starken Präsidenten zu kontrollieren. Andere Themen, wie Menschenrechte und Verfahren gegen Warlords wurden nicht als wichtig genug betrachtet, um sie zu befürworten. Der Christian Science Monitor stellte hierzu fest: „Weder Karzai noch seine amerikanischen Unterstützer haben öffentlich die Förderung der Frauenrechte erwähnt.” [23]

Wahlen in Afghanistan und in den Vereinigten Staaten

Obwohl nicht so beabsichtigt, hatte Zalmay Khalizad recht, als er sagte, dass die konstitutionellen Versammlungen „einen Rahmen für die landesweiten Wahlen” welche im Sommer stattfinden sollen, bieten werden. Wie der Rahmen in welchem die ersten drei Etappen des Bonner Prozesses stattfanden, wird dieses abschließende Ereignis wohl in einer schon vorher verfügten Entscheidung bestehen, welche der Bevölkerung durch die Vereinigten Staaten und die Vereinten Nationen (durch ihre Vermittler Karzai und die Warlords) präsentiert werden wird. Der Bevölkerung wird kaum eine Wahl gelassen werden, wenn überhaupt eine, und der vorgesehene Präsidentschaftskandidat, Hamid Karzai, wird ratifiziert werden. Und dies wird der Welt dann als ein Triumph der Demokratie präsentiert werden.

Doch obwohl die Einsammlung von Stimmen stattfinden könnte, wird dieser Akt keine Demokratie darstellen. Die Abhaltung von Wahlen unter den derzeitigen Umständen in Afghanistan wird bestenfalls einfach eine Beleidigung für die Demokratie sein, und im schlimmsten einen Bürgerkrieg auslösen. Die meisten glaubhaften AnalystInnen sind der Meinung, dass der vorgesehene Ablauf nicht genug Zeit dafür erlaubt, die notwendigen Bedingungen für freie und faire Wahlen zu schaffen. Im Moment sind nur 10% der stimmberechtigten AfghanInnen für die Wahl registriert, und es ist keine politische Partei erkennbar. Außerdem hindern die quälende Armut und die Unsicherheit in großen Teilen des Landes viele AfghanInnen daran, sich für die Wahl anzumelden. UNO Sprecher Manual de Almeida e Silva meint, dass „es in der derzeitigen Sicherheitslage beinahe unmöglich wird, den [vorgesehenen Wahltermin] im Juni einzuhalten, da nicht im ganzen Land eine Registrierung [der WählerInnen] stattfinden kann.” Talibanführer haben angekündigt jene AfghanInnen anzugreifen, die sich an der Wahl beteiligen, und die Vorherrschaft der Warlords in vielen Regionen wird sicherlich zu Einschüchterungen und dem Kauf von Stimmen führen, wie es bei der Wahl von Delegierten für die außerordentliche und für die konstitutionelle Loya Jirga geschehen ist.

Ein kürzlich erschienener Bericht der Afghanistan Research and Evaluation Unit (AREU) bemerkt, dass „die Wahlen wohl jene Individuen legitimieren werden, welche von der Mehrheit der AfghanInnen als die illegitimsten betrachtet werden.” Der Bericht erwähnt Lektionen von anderen Ländern, welche „friedliche Wahlen in Zeiten nach einem Konflikt abhielten”, wie Südafrika, El Salvador und Mozambique. Den Wahlen in diesen Ländern „gingen starke internationale Friedensabkommen, Entwaffnungen, vernünftige Verfassungen und stabile politische Graswurzelbewegungen vor”, nichts von dem gibt es in Afghanistan. Andererseits „legitimierten Wahlen, die in Ländern abgehalten worden waren, bevor dort ein sicherer Frieden herrschte, wie in Libyen, Angola und Bosnien, gerade jene Kräfte, welche von der Macht hätten entfernt werden sollen, und säten so die Saat für weitere Konflikte.” [24] Die Aussichten für Afghanistan sind ebenso düster, obwohl die Bush-Verwaltung dies leugnet. Zalmay Khalizad besteht darauf: „Ich bin nicht der Meinung, dass im Juni, oder in diesem Sommer, keine Wahlen stattfinden können ... Es gibt einen Weg wie sie möglich gemacht werden können”.

Laut dem Direktor von AREU wird der Druck in Richtung frühe Wahlen hauptsächlich von „inländischen politischen Gründen innerhalb der USA” motiviert.[25] Der Bericht von AREU stellt fest, dass Washingtons „Enthusiasmus für [afghanische] Wahlen im Jahr 2004 eine Konsequenz aus der Notwendigkeit für die Bush-Verwaltung ist, schon vor der Präsidentenwahl im November 2004 einen außenpolitischen Erfolg und einen Erfolg im 'Krieg gegen den Terror' zu haben, besonders weil der Irak jeden Tag weniger wahrscheinlich wird, ein Erfolg zu sein [oder zu werden].“ Die New York Times bestätigte dies, „es gibt wenig Zweifel daran, dass Präsident Bush gerne einen Wahlerfolg in Afghanistan für sich reklamieren würde, wenn er selbst für seine Wiederwahl antritt.” Laut einem Artikel in der Washington Post ist „der größte einzelne Bestandteil” von Mr. Bushs Wahlprogramm die Außenpolitik. Mark Snyder, der Vizepräsident der International Crisis Group, glaubt, dass „dies die erste Präsidentschaftswahl seit Vietnam sein wird, welche davon abhängt, ob die Bevölkerung die Außenpolitik für einen Erfolg oder für einen Fehlschlag hält”. Erfolg in Afghanistan ist eine Meßlatte, an welcher die Wählerschaft der USA Bushs Aktionen bewerten kann, und die Wahlen in Afghanistan wären die sichtbarsten Zeichen des US-Engagements in dem Land. [26]

Botschafter Khalizad meint, dass Karzai, und nicht Bush, derjenige wäre, dem eine Verzögerung der Wahlen in Afghanistan schaden würde. „Khalizad sagte, dass Karzai [...] eine Verzögerung der Wahlen schaden würde, da eine solche, so sagte er, zu einer 'Legitimitätskrise' führen könnte, wenn [Karzais] Übergangsmandat endet, bevor eine Wahl stattfindet.” [27] Mit anderen Worten, wenn man nicht darauf achtet, dass Mr. Karzai von der Mehrheit der AfghanInnen gewählt wird, wird seine Illegitimität offensichtlich werden. Es ist auch klar, dass die Gültigkeit der Wahl vermindert wäre, wenn Karzai die Wahl ohne Herausforderer antritt und nur sehr wenige Stimmen abgegeben werden. Aber es scheint, dass die Bush Verwaltung daran interessiert ist, dass Karzai gewinnt - unabhängig vom Kontext – um die Wählerschaft der USA noch vor November zu beeindrucken.

In einem Versuch seine Glaubwürdigkeit zu retten, schien Mr. Karzai endlich die Macht der Warlords zum Schweigen zu bringen, zumindest bei jenen, die sich ihm widersetzen. Zalmay Khalizad wurde in der Washington Post folgendermaßen zitiert: „Die afghanischen Warlords, welche Washington bisher als Alliierte gegen die Taliban toleriert hatte, werden 'marginalisiert' werden, wenn sie weiterhin ihre Waffen verwenden, um ihren Willen durchzusetzen.” [28] Im Oktober erließ Karzai das Gesetz für politische Parteien, welches „es politischen Parteien verbietet ihre eigenen Milizen oder Beziehungen zu bewaffneten Kräften zu haben.” Das Gesetz verbietet es „RichterInnen, StrafverfolgerInnen, BeamtInnen, und anderem militärischem Personal, der Polizei und den Mitgliedern der Nationalengarde” einer Partei beizutreten, während sie noch im Amt sind. Das verengt die mögliche Bandbreite an Herausforderern für Karzais Kandidatur. [29] Technisch gesehen darf Karzai selbst an der Wahl nicht teilnehmen, da das Gesetz Parteien die „Gelder von ausländischen Quellen erhalten” verbietet. Aber offensichtlich gilt das mächtigste globale Imperium nicht als „ausländischer Einfluss”.

Während die Bush-Verwaltung mit den von ihnen auserwählten Führern in Kabul zusammenarbeitet um sicherzustellen, dass weder die Taliban noch die Warlords die Fortführung der Präsidentschaft Karzais gefährden, haben alle bewaffneten Parteien (die USA, die afghanische Regierung, die Warlords, und die Taliban), das gemeinsame Ziel, die Wahlen von einem anderen, unvorhersehbaren Einfluss frei zu halten: der Bevölkerung von Afghanistan. Wenn sie keine Waffen haben, werden jene die in Afghanistan für ihre Rechte kämpfen entweder nicht beachtet oder angegriffen. Auf Studentenproteste antwortete die Polizei in Kabul mit Schüssen. Frauen die sich selbst zu behaupten versuchen werden ausgeschlossen, so wie Malalai Joya, eine Delegierte bei der konstitutionellen Versammlung, welche vielen anderen Delegierten Kriegsverbrechen vorwarf. Mitten in ihrer Rede wurde ihr Mikrophon ausgeschalten und sie wurde „ihrer Sicherheit wegen” von der Konferenz entfernt. In ihrer Heimatstadt als Heldin gefeiert, wurden ihre Rufe nach Gerechtigkeit von den „RepräsentantInnen” des Landes, und deren ausländischen VorsteherInnen, ignoriert.

Obwohl Afghanistans neue Verfassung das Recht auf Freiheit der Presse bestätigt, werden JournalistInnen welche die derzeitige Ordnung hinterfragen verhaftet oder eingeschüchtert. „Dich zu töten ist uns ein leichtes”, ist der Titel eines Berichtes von Human Rights Watch, der sich auf eine Drohung bezieht, die ein Herausgeber eines politischen Cartoons erhielt, das sich über den Verteidigungsminister Fahim lächerlich machte. [30] Ein Fall der auch in den US Medien etwas erwähnt worden ist, involvierte die Herausgeber der wöchentlichen Zeitung Aftab, Mir Hussein Mahdawi und seinen Assistenten Ali Reza. Die beiden wurden letzten Juni wegen „Blasphemie” verhaftet, nachdem sie ein Editorial mit dem Titel „Heiliger Faschismus” veröffentlicht hatten, welches afghanische Warlords und einige Mullahs für „Verbrechen, die im Namen des Islams begangen worden sind”, kritisiert hat. Der Artikel beschuldigte viele von den USA gestützte Führer der Nordallianz, auch den derzeitigen afghanischen Vizepräsidenten Abdul Karim Khalili. Die Journalisten wurden auf Befehl von Präsident Karzai freigelassen, aber die Anklage für Blasphemie bleibt bestehen. Karzai sagte, dass er für die Freiheit der Presse sei, aber er erklärte: „Unser Job ist es, den religiösen Glauben der afghanischen Bevölkerung zu schützen. Wir werden natürlich Maßnahmen ergreifen, wann immer wir sehen, dass die Grundlagen für den Glauben der afghanischen Bevölkerung angegriffen werden. Das ist keine Missachtung der Pressefreiheit, das ist eher Respekt für die Pressefreiheit.” [31]

Die Angst vor der Zukunft

Ganz im Gegenteil, sind die Operationen der USA in Afghanistan nicht die Legung „von Grundsteinen für demokratische Institutionen”, sondern ein Angriff auf die Demokratie, der die Lebensgrundlagen der Menschen vernichtet und die Unsicherheit vermehrt. Mit jeder weiteren Gewalt die diesen Menschen angetan wird, wird eine Rückkehr der Taliban wahrscheinlicher. Die folgende Feststellung Mullah Omars, dem früheren höchsten Anführer der Taliban, hat sicher großen Widerhall gefunden: „Die wacklige amerikanische Übergangsregierung Afghanistans hat ihre ersten zwei Jahre hinter sich, aber bis jetzt hat sie nichts erreicht. Wo ist die Demokratie, welche den Frieden begleiten hätte sollen? Wo die Freiheit, die Menschenrechte, der Wiederaufbau? Für Muslime bringt diese vorgebliche Demokratie nur Geschenke folgender Art: Ermordungen, Bombardierungen, Zerstörung von Häusern.” [32] Washingtons Antwort auf solche Kritik ist nur noch mehr Gewalt und eine weitgehendere Untergrabung der Demokratie. Die Hauptinteressen welche bei der konstitutionellen Loya Jirga in diesem Winter verfolgt worden sind, waren jene der Bush-Verwaltung und ihrer Puppe Hamid Karzai, wie auch jene der afghanischen Warlords, die zum dritten Mal offiziell legitimiert worden sind. Inzwischen warten die AfghanInnen noch immer auf Wiederaufbau, Gerechtigkeit und anhaltenden Frieden.

Seit Bush seinen „Krieg gegen den Terrorismus” begonnen hat, ist den AfghanInnen nur erlaubt gewesen zwischen US-gestützten Puppen und einer Bande von fundamentalistischen Barbaren zu wählen. Eine unabhängige, gewaltlose Graswurzelbewegung welche für echte Demokratie steht, steht nicht zur Auswahl. Es ist ironisch, aber wird erwartet, dass das Pentagon die Dörfer entlang der Grenzen mit Pakistan in einem Versuch den „Terrorismus zu bekämpfen” terrorisiert, während es Warlords unterstützt, von denen viele selbst Tyrannen, Drogenkönige und Terroristen sind. Ein erster Schritt zur Stärkung der Demokratie und Schwächung des Terrorismus in Afghanistan wäre es, die Unterstützung der Nordallianz und anderer afghanischer Warlords einzustellen. Ein zweiter, schwierigerer, Schritt wäre es die Ursachen des Terrorismus zu behandeln; nämlich, den Mangel an fundamentalen Rechten und den Ärger über eine arrogante, imperialistische Macht.

Fußnoten
  1. Zalmay Khalilzad, “Afghanistan's Milestone,” Washington Post, January 6, 2004.
  2. “Guerrilla Chiefs to Undercut Karzai,” Christian Science Monitor, December 12, 2003.
  3. Sonali Kolhatkar, “In Afghanistan, U.S. Replaces One Terrorist Regime with Another” (Silver City, NM & Washington: Foreign Policy In Focus, October 3, 2003 ).
  4. John Sifton, “Flawed Charter for a Land Ruled by Fear,” International Herald Tribune, January 6, 2004.
  5. J. Ingalls, “The U.S. and the Afghan Loya Jirga: A Victory for the Puppet Masters,” Z Magazine, September 2002.
  6. “All Our Hopes Are Crushed: Violence and Repression in Western Afghanistan,” Human Rights Watch vol. 14, no. 7, November 2002.
  7. T. Shanker, “Rumsfeld Meets Warlords in Afghanistan,” New York Times, December 4, 2003.
  8. P. Constable, “New Strategy Calls for Wooing Some in Taliban,” Washington Post, December 21, 2003.
  9. S. Saleem Shahzad, “ U.S. Revives Taliban Tryst in Afghanistan,” Asia Times Online, September 23, 2003.
  10. Rama Mani, “Ending Impunity and Building Justice in Afghanistan” (Kabul: AREU), December 2003, http://www.areu.org.pk/publications/justice/ Ending%20Impunity%20and%20Building%20Justice.pdf
  11. RAWA, “Establishing Human Rights and Democracy Is Possible Only with the Destruction of Fundamentalism Domination,” December 10, 2003, http://rawa.fancymarketing.net/dec10-03e.htm
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* James Ingalls ist ein Gründungsdirektor der Afghan Womens Mission, einer in den USA ansässigen non-profit Organisation, welche in Solidarität mit der Revolutionary Association of the Women of Afghanistan (RAWA) arbeitet. Er ist auch als Wissenschaftler beim Spitzer Space Telescope Science Center des California Institute of Technology angestellt. Dieser Sonderbericht ist eine überarbeitete Version einer Präsentation, welche ursprünglich im Jänner 2004 am Weltsozialforum in Mumbai gegeben gehalten worden ist.

Übersetzung: Matthias
Quelle:Foreign Policy in Focus / ZNet 13.03.2004
http://www.zmag.de/



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