ISAF-Chef stellte »Anaconda-Strategie« vor
US-General Petraeus bei zu Guttenberg und im Bundestag / NATO verhandelte mit Hochstapler
Von René Heilig *
Der oberste NATO-Kommandeur in Afghanistan, US-General David Petraeus, war gestern beim
deutschen Verteidigungsminister und schaute im Bundestag vorbei. Dabei erläuterte er seine
»Anaconda-Strategie« für Frieden in Afghanistan.
Man hat sich hoffentlich General Petraeus' Soldbuch zeigen lassen, bevor man ihn in den Bendler-
Block eingelassen hat. Denn es treiben offenbar falsche Afghanistan-Friedensstifter ihr Unwesen.
Die »New York Times« berichtet, dass die NATO in Afghanistan auf einen falschen Unterhändler der
Taliban hereingefallen ist. Dreimal habe man sich mit dem Mann, den man für Mullah Akhtar
Mohammed Mansour, einen der ranghöchsten Taliban-Kommandeure, gehalten hat, getroffen. Er
sei sogar mit einer NATO-Maschine aus Pakistan abgeholt worden und man habe ihm für seine
Bemühungen um Friedensgespräche »viel Geld« gegeben.
Die »Washington Post« will wissen, dass es sich bei dem Unterhändler um einen einfachen Händler
aus der pakistanischen Stadt Quetta gehandelt habe. Afghanistans Präsident Karsai betonte, seine
Beamten hätten kein Wort mit ihm gewechselt. Bei den meisten Berichten über Treffen mit Führern
der Taliban handele es sich um »Propaganda und Lügen«. Seine Regierung habe nur »indirekte«
Kontakte zu Taliban gehabt.
ISAF-Chef Petraeus wählte gestern im vertraulichen Gespräch eine bildhafte Sprache. Man müsse
die Aufständischen nach Art einer Anaconda-Schlange zerquetschen. Zugleich warnte er vor zu
großen Erwartungen an einen schnellen Frieden. Es bleibe dabei, dass im kommenden Jahr die
Sicherheitsverantwortung in einigen Regionen Afghanistans an einheimische Kräfte übergeben
werde. Auf einen Abzugstermin legte er sich nicht fest, denn die frei werdenden Kräfte müssten
zunächst in anderen Gebieten die internationalen Truppen verstärken.
Verteidigungsminister Theodor zu Guttenberg (CSU) konnte seinem Gast gestern versichern, dass
Deutschland mit rund 5000 Soldaten weiter einer der größter ISAF-Truppensteller bleibe. Nach dem
nun erfolgten Rückruf der Tornado-Aufklärer wandle man das Kontingent der Luftwaffen-Soldaten in
bodenständige Einheiten um. Zudem, so war aus dem Verteidigungsministerium zu erfahren,
bessere man die Ausrüstungen nach. Zu den fünf Schützenpanzer »Marder« kommen weitere hinzu,
es gibt Nachschub bei geschützten Fahrzeugen »Dingo« und »Eagle«, neue Sanitätspanzer werden
nach Afghanistan ebenso geliefert wie moderne Infanterie-Ausrüstungen sowie Minenräumgerät.
Auch bei künftigen Auslandseinsätzen können die USA auf Deutschland zählen. Bei der
Kommandeurtagung in Dresden, die gestern zu Ende ging, hatte zu Guttenberg die sogenannten
Levels of Ambition vorgestellt. Für künftige Einsätze soll die reformierte Bundeswehr mindestens 10
000 Soldaten für zwei räumlich voneinander getrennte »Stabilisierungsoperationen« bereitstellen.
Dazu wären kleinere Missionen von Luftwaffe und Marine möglich.
Künftige Operationsräume wurden öffentlich nicht besprochen. Jüngst war Deutschland erstmals
beim Treffen von Verteidigungsministern aus Nordeuropa und dem Baltikum vertreten. Es wurde
eine gemeinsame Kriegsübung im Hohen Norden beschlossen. Ursache für das Interesse ist die
Arktis-Eisschmelze, die den Zugriff auf Rohstofflager ermöglicht sowie einen Seeweg in die
ostasiatischen Boomregionen auftun wird.
* Aus: Neues Deutschland, 24. November 2010
Hochstapler des Tages: Mister Unbekannt **
Als angebliche Nummer Zwei der Taliban hat ein noch nicht namentlich
identifizierter Afghane monatelang Geheimverhandlungen mit dem Kabuler
Regime und den NATO-Besatzern geführt. Selbst Hamid Karsai gehörte zu seinen
Gesprächspartnern. Das US-Militär kümmerte sich um den sicheren Transport
des Mannes zum Präsidentenpalast. Eine »beträchtliche Summe Geld« soll der
Unbekannte für seine Auftritte kassiert haben, berichtete die New York Times
am Dienstag – zusammen mit der traurigen Mitteilung, daß es sich lediglich
um einen Hochstapler gehandelt habe.
Die moderne Version des Hauptmanns von Köpenick hatte sich als Akhtar
Muhammad Mansur ausgegeben, der als zweithöchster Talibanführer hinter
Mullah Mohammed Omar gilt. Der Schwindel sei nun durch jemand aufgeflogen,
der Mansur gut gekannt und eindeutig festgestellt habe, daß der Unbekannte
diesem überhaupt nicht ähnlich sei.
Zuvor hatten sich weder Karsais Leute noch die Amerikaner von Mullah Omars
mehrfach wiederholten Klarstellungen beeindrucken lassen, daß die Taliban
niemanden zu Gesprächskontakten ermächtigt hätten und vor dem Abzug der
NATO-Truppen grundsätzlich keine Verhandlungen führen würden. »Der Feind,
der unser Land besetzt hält (…), will dem Volk Sand in die Augen streuen,
indem er Gerüchte über Verhandungen verbreitet«, hieß es jüngst in einer
Stellungnahme des Taliban-Chefs. Tatsächlich schlachtet die NATO die
angeblichen Geheimverhandlungen als Beweis aus, daß die Aufständischen unter
dem Druck der Angriffe schlapp zu machen beginnen. Deshalb steht die Frage,
ob Karsai und seine ausländischen Beschützer wirklich auf einen Betrüger
hereingefallen sind – oder ob sie bei dem Schwindel absichtlich mitgespielt
haben.
(kt)
** Aus: junge Welt, 24. November 2010
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