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Hekmatjars Friedensplan

Afghanistan: Karsai sprach mit einer der drei Hauptgruppen des Widerstands

Von Knut Mellenthin *

Ein Sprecher der Hezb-e-Islami teilte mit, daß sich eine fünfköpfige Delegation seiner Organisation schon seit zehn Tagen in der Hauptstadt befinde. Sie werde von Qutbuddin Helal, einem ehemaligen Premierminister, geleitet und habe einen aus 15 Punkten bestehenden Friedensplan mitgebracht. Hauptpunkte seien der Abzug der ausländischen Truppen und die Bildung einer Übergangsregierung. Der Rückzug der Interventen soll im Juli beginnen und innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen sein. Das jetzige, 2005 gewählte Parlament soll nach den Vorstellungen von Hezb-e-Islami noch bis Dezember im Amt bleiben und dann durch eine Schura (beratende Versammlung) abgelöst werden, deren Hauptaufgabe darin bestehen soll, innerhalb eines Jahres örtliche und nationale Wahlen durchzuführen. Es soll eine neue afghanische Verfassung geschrieben und verabschiedet werden, bei deren Ausarbeitung sowohl die jetzt gültige als auch frühere berücksichtigt werden sollen.

Die nach wie vor von Gulbuddin Hekmatjar geführte Hezb-e-Islami war in den 1980er Jahren eine der führenden Organisationen im Kampf gegen die sowjetische Intervention. Verschiedenen Berichten zufolge erhielt sie von der US-Regierung mehr Waffen- und Finanzhilfe als irgendeine andere Gruppierung der Mudschaheddin. Auch der Geheimdienst und die Streitkräfte Pakistan favorisierten Hekmatjar.

Nach der NATO-Intervention 2001 arrangierte sich ein Teil der Hezb-e-Islami mit den neuen Verhältnissen, ließ sich als politische Partei legalisieren und stellt heute eine bedeutende Fraktion im Kabuler Parlament. Ein anderer Flügel um Hekmatjar setzte den bewaffneten Kampf fort und verbündete sich zeitweise mit den Taliban. Er ließ aber schon seit einiger Zeit Verhandlungsbereitschaft erkennen. Im März soll es in der nordafghanischen Provinz Baghlan sogar zu Kämpfen zwischen Taliban und Hezb-e-Islami gekommen sein.

Anläßlich der Verhandlungen in Kabul bekräftigte ein Taliban-Sprecher am Dienstag, daß seine Organisation sich nicht an Friedensgesprächen beteiligen werde, »solange sich ausländische Truppen auf afghanischem Boden befinden, die Tag für Tag unschuldige Afghanen töten«.

Am Freitag (19. März) hatte der frühere UN-Beauftragte in Afghanistan, Kai Eide, erstmals über seine angeblichen Geheimkontakte zu hochrangigen Taliban-Vertretern berichtet. Diese Treffen hätten im Frühjahr 2009 begonnen und zum Teil in Dubai stattgefunden. Die Gespräche seien aber in jüngster Zeit durch die Festnahme von einem Dutzend Taliban-Führer in Pakistan schwer beeinträchtigt worden. Eide warf in diesem Zusammenhang der pakistanischen Führung vor, die Kontakte bewußt zu torpedieren, da sie sich ihrer Kontrolle entzogen hätten.

Wenige Stunden später trat der Sonderbeauftragte Washingtons für Pakistan und Afghanistan, Richard Holbrooke, vor die Mikrofone und erklärte demonstrativ, die US-Regierung sei für diese Verhaftungen »extrem dankbar«. Sie seien »gut für die militärischen Operationen« in Afghanistan. Im Gegensatz dazu schloß sich ein Sprecher Karsais am Sonnabend der Kritik von Eide an, daß die Verhaftungen »negative Auswirkungen« auf eventuelle Friedensverhandlungen hätten. Die Taliban dementierten indessen, daß es Kontakte zu Eide gegeben habe.

* Aus: junge Welt, 24. März 2010


Heilsbringer?

Man sei nach Kabul gekommen, um Afghanistan Frieden zu bringen, ließ Gulbuddin Hekmatyar einen Sprecher seiner Abordnung verkünden, die sich derzeit zu Gesprächen mit der Regierung Hamid Karsais in der afghanischen Hauptstadt aufhält. Sogar einen detaillierten Plan haben die Vertreter von Hekmatyars Hesbi-Islami (Islamische Partei) im Gepäck. Dessen wichtigste Forderung soll der Abzug aller ausländischen Truppen bis Juli 2010 sein.

Dennoch ist schwer zu glauben, dass der inzwischen 62-jährige Hekmatyar, der seit mehr als drei Jahrzehnten Krieg führt, zum Heilsbringer wird. Der sunnitische Paschtune wird bisweilen auch »Ingenieur« genannt, obwohl er sein Studium an der Kabuler Universität nicht abgeschlossen hat.

Bevor er als frommer Muslim seine Islamische Partei gründete, soll Hekmatyar vier Jahre lang Mitglied der Demokratischen Volkspartei gewesen sein, die 1978 die Regierung in Afghanistan übernahm. Da war Hekmatyar jedoch schon im gegnerischen Lager: Ausgerüstet und unterstützt von Pakistan und den USA, bekämpften seine Anhänger die neue Regierung ebenso wie die 1979 zu deren Rettung entsandten sowjetischen Truppen.

Dem Abzug der Sowjetarmee 1989 und dem Sieg der Mudschaheddin 1992 folgten heftige Kämpfe zwischen rivalisierenden Gruppierungen. Hekmatyar verbündete und verfeindete sich mit nahezu jedem. Als machthungrig, listig und unbarmherzig beschrieben ihn seine pakistanischen Paten. Zweimal – 1993/94 und 1996 – war er für kurze Zeit Ministerpräsident in Kabul, das er in der Zwischenzeit durch Raketenangriffe fast vollständig zerstören lassen hatte.

1996 vor den Taliban nach Iran geflohen, rief Hekmatyar nach der USA-Invasion in Afghanistan zum Heiligen Krieg gegen die neuen Besatzer auf. Seine Truppen hätten Osama bin Laden Ende 2001 zur Flucht aus den Höhlen von Tora Bora verholfen, brüstete sich der Kriegsherr, der bis heute auf der Terrorfahndungsliste der UNO steht. Derweil verhandeln Präsident Hamid Karsai und seine westlichen Verbündeten hinter den Kulissen bereits seit Längerem mit Hekmatyars Vertretern – in der Hoffnung, den Widerstand gegen die Besatzer und ihre Schützlinge zu spalten und zu schwächen.

Detlef D. Pries

** Aus: Neues Deutschland, 24. März 2010


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