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Aufrüstung gegen Afghanistan

Fliegende Feuerleitstelle: NATO verlegt AWACS-Flugzeuge mit Bundeswehrsoldaten an den Hindukusch

Von Rüdiger Göbel *

Die NATO rüstet für den Krieg in Afghanistan auf und schickt AWACS-Aufklärungsflugzeuge zur Verstärkung der Kampftruppen. Mit an Bord der »fliegenden Feuerleitstellen« sind rund 100 deutsche Soldaten. Drei bis vier Maschinen würden eingesetzt, sagte NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer am Freitag zum Abschluß eines Verteidigungsministertreffens der Allianz in Brüssel. Kostenpunkt: 80 bis 100 Millionen Euro pro Jahr. Davon soll Deutschland 16 Prozent zahlen.

AWACS steht für »Airborne Warning And Control System« (luftgestütztes Warnungs- und Kontrollsystem). Die in Geilenkirchen bei Aachen stationierten Aufklärer, bekannt durch ihre großen Radarteller, können digitale Bilder in Echtzeit übertragen und Luftangriffe koordinieren. Die Bundesregierung versucht, ihren Offensivkriegscharakter zu verschleiern. Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) begrüßte am Rande des NATO-Rats den »zusätzlichen Beitrag … für die Flugsicherheit in Afghanistan«. Ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums verwies darauf, daß es ab kommender Woche mit Safi-Airways erstmals eine regelmäßige direkte Linienflugverbindung zwischen Deutschland und Afghanistan geben werde – wohlwissend, daß der reguläre zivile Luftverkehr nicht über die AWACS-Maschinen abgewickelt werden wird.

Noch muß der Bundestag der Aufrüstung gegen Afghanistan zustimmen. Als Fraktion will einzig Die Linke den AWACS-Einsatz ablehnen und den Abzug der Bundeswehr fordern. Laut Bundeswehrangaben wurde die NATO erstmals in diesem Jahr mehr als 300mal in einer Woche angegriffen. Das berichtete Bild am Freitag. Danach zählte die NATO in der ersten Juni-Woche landesweit 313 sogenannte Sicherheitsvorfälle, darunter 172 Schußwechsel und Gefechte, 84 Sprengstoffanschläge und 53 Fälle von Beschuß mit Mörsern und Raketen.

* Aus: junge Welt, 13. Juni 2009

Offizielles - Stellungnahmen - Kommentare

NATO gibt grünes Licht für AWACS-Einsatz **

Brüssel, 12.06.2009.

Bis zu vier AWACS-Luftfahrzeuge will die NATO zur Überwachung des zivilen Luftverkehrs in Afghanistan einsetzen, das entschieden die Verteidigungsminister der NATO-Mitgliedsstaaten am 12. Juni bei ihrem Treffen in Brüssel. Verteidigungsminister Dr. Franz Josef Jung begrüßte die Einigung.

Die Bundeswehr bewältige die Hälfte des Lufttransports für ISAF, sagte Jung bei den Konsultationen in Brüssel. "Von daher haben wir ein Interesse an zusätzlicher Flugsicherheit". Die im nordrhein-westfälischen Geilenkirchen bei Aachen stationierten AWACS-Flugzeuge gehören der NATO, Deutschland stellt aber ein Drittel der Besatzungen.

Die Abkürzung steht für „Airborne Warning And Control System“, dabei handelt es sich um ein luftgestütztes Warn- und Kontrollsystem.

Steigerung des Luftverkehrsaufkommens

Darüber hinaus gebe es auch Pläne für eine direkte Flugverbindung zwischen Frankfurt und Kabul: „"Und deswegen ist es sinnvoll, dass wir uns hier zusätzlich engagieren – auch mit AWACS-Maschinen der NATO"“, unterstrich der deutsche Verteidigungsminister.

Insgesamt wird für Afghanistan mit einer drei- bis fünffachen Steigerung des Luftverkehrsaufkommens gerechnet. Eine endgültige Entscheidung über eine mögliche Stationierung ist noch nicht gefallen. Als Übergangslösung werde Konya in der Türkei derzeit geprüft.

Luftlagebild erstellen

Das fliegende Radarsystem soll ein Luftlagebild erstellen. Das bedeutet, dass es bemannte und unbemannte Fahrzeuge, die sich im Luftraum befinden, erfasst und identifiziert und Flugaktivitäten entsprechend koordiniert.

** Website des Bundesverteidigungsministeriums, www.bmvg.de


Eskalation der Gewalt

Von Olaf Standke ***

Manchmal sind auch nackte Zahlen eine Bankrotterklärung. Noch nie seit Beginn der US-amerikanischen Invasion in Afghanistan im Jahr 2001 gab es so viele Angriffe von Aufständischen wie in diesen Tagen. Im vergangenen Halbjahr wurden offiziell mehr als 4500 »Sicherheitszwischenfälle« am Hindukusch registriert. Allein in der Vorwoche lieferten sich die Taliban über 400 Gefechte mit Soldaten der NATO-geführten Internationalen Schutztruppen. Noch vor einem Jahr waren es weniger als 250 in der Woche, im Januar 2004 gerade mal 50.

Diese Kurve in den Abgrund hat keineswegs nur militärische Ursachen. Im Gegenteil. Doch fallen die Antworten der westlichen Welt vornehmlich militärisch aus und führen zur Eskalation der Gewalt. Dafür steht auch Stanley McChrystal, der neue Oberkommandierende für die US-amerikanischen und NATO-Truppen in Afghanistan. Der Generalleutnant ist Spezialist für verdeckte Operationen mit großer Irak-Erfahrung, er soll »das Problem mit neuen Augen betrachten«, so Pentagon-Chef Gates. Und mit Zehntausenden zusätzlichen Soldaten angehen. Bis zum Herbst dieses Jahres werden sich Washingtons Truppen auf 68 000 Mann mehr als verdoppeln, dann stehen am Hindukusch 100 000 ISAF-Soldaten Gewehr bei Fuß. Mit der nicht zuletzt von Berlin forcierten und jetzt vom Nordatlantik-Pakt beschlossenen Entsendung von Aufklärungsflugzeugen bekommen sie auch Verstärkung aus der Luft, zumal die AWACS-Maschinen Kampfeinsätze gegen Bodenziele dirigieren können. Der Krieg in Afghanistan wird intensiviert, die Zahl der Gewaltopfer weiter steigen, auch durch die Bundeswehr.

*** Aus: Neues Deutschland, 13. Juni 2009 (Kommentar)


Eskalationsspirale in Afghanistan dreht sich immer schneller ****

„In Washington und Brüssel haben die USA und ihre NATO-Verbündeten nun den Offenbarungseid geleistet. Die Eskalationsspirale in Afghanistan dreht sich immer schneller“, kommentiert Paul Schäfer die Ernennung von General Stanley McChrystal zum neuen NATO-Oberfehlshaber in Afghanistan und die Beschlüsse der NATO-Verteidigungsminister in Brüssel, weitere Aufklärungsflugzeuge zur Überwachung des zivilen Luftverkehrs in Afghanistan einzusetzen. Der verteidigungspolitische Sprecher der Fraktion DIE LINKE weiter:

„Ungeachtet der katastrophalen Sicherheitslage in Afghanistan - in den ersten fünf Monaten dieses Jahres wurden mehr als 4.500 Sicherheitsvorfälle registriert – bereitet sich die NATO unter dem Kommando des neuen Oberbefehlshabers Stanley McChrystal, einem Experten für Spezialoperationen, auf eine Intensivierung ihrer Offensiven vor. Wohin die Reise für die NATO gehen wird, ist also klar: mehr verdeckte Operationen, mehr Aufstandsbekämpfung à la OEF. Auch Pakistan wird stärker ins Visier genommen. Bis Herbst sollen knapp 70.000 US-Soldaten in Afghanistan stationiert werden. Damit werden mehr als 100.000 ISAF-Soldaten in Afghanistan kämpfen – darunter mehr als 4.000 Bundeswehrsoldaten.

Innerhalb der NATO hat sich Minister Jung nun erfolgreich dafür eingesetzt, dass die NATO ihre AWACS Flugzeuge nach Afghanistan schickt. Auch wenn dies gewohnt schönfärberisch als Beitrag zur zivilen Luftsicherheit dargestellt wird: die AWACS werden als fliegende Koordinationsleitstellen für die Flugrouten der Kampfflieger benötigt und können auch die Koordinaten von Bodenzielen weitergeben. Diese neue Qualität macht es erforderlich, dass dem Bundestag ein neues Mandat für den Einsatz der AWACS vorgelegt werden muss. DIE LINKE wird Nein dazu sagen. Wir fordern die Bundesregierung auf, endlich die Reißleine zu ziehen und mit dem Abzug der Bundeswehr zu beginnen.“

**** www.linksfraktion.de



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