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Ungezogene afghanische Kinder

Ein zweiter Frontbericht von den Mühen deutscher Bürger in Uniform

Von Kurt Pätzold *

Als den Schwaben in der Redaktion der Stuttgarter Zeitung der im benachbarten Bayernland gedruckte Frontbericht aus Afghanistan in der Süddeutschen Zeitung (siehe junge Welt vom 1. Juli: Ein Frontbericht.) vor Augen kam, mag ihnen die Furcht gekommen sein, des mangelnden oder gar fehlenden Patriotismus geziehen zu werden, unternähmen sie nicht Ähnliches. Jedenfalls schickten sie einen eigenen Reporter ins ferne Land und druckten die Niederschrift seiner Erlebnisse am vergangenen Dienstag. Ausgewählt wurde ein Redakteur, der vor allem für Gewerkschaften und Tarifpolitik zuständig ist - ein Fachgebiet, das ihm am Hindukusch schwerlich nutzen konnte. Aber er hat sich daneben auch auf die Bundeswehr spezialisiert, und auf Wissen auf diesem Felde kam es an. Das wurde vermehrt durch einen Reisegefährten, einen Fotografen, seinerseits Reserveoffizier der Bundeswehr, der sich während seines Dienstes und nach seinem Ausscheiden aus der »Truppe« ihr mehrfach schon mit der Kamera nützlich gemacht hat. Auch diesmal reiste er nicht nur im Auftrag der Zeitungsredaktion, vielmehr waren Bilder gefragt, die sich als Beweise für Verdienste der deutschen Aufbauhelfer verwenden ließen. Seine Ausbeute, dies vorweg zu sagen, war reich, in Zahlen: 6.000 Fotografien. Was bei einem zweiwöchigen Aufenthalt eine durchschnittliche Tagesquote von mehr als 425 ergibt.

Kampfmaschinen

Das Ziel der Reise des Tandems war der äußerste Nordosten Afghanistans und dort die Stadt Faisabad. Sie beherbergt einen Bundeswehrstandort, in dem ein Kontingent von fast 500 deutschen Soldaten stationiert ist, das jedoch zur Schrumpfung bis auf die Größe einer Beratergruppe bestimmt sein soll. Vor Ort trafen die beiden aus Stuttgart Entsandten auf ein Militärlager, das es an Komfort mit dem im 200 Kilometer westlich gelegenen Kundus nicht aufnehmen kann. In Faisabad ist eine Einheit stationiert, die sich Cimic nennt, was als »Zivil-Militärisch« zu verdeutschen und irreführend ist. Nicht daß Offizier und Mannschaftsgrad hier unter der Bevölkerung mal in Zivil und mal in Uniform aufträten. Wenn sie ausziehen, schreibt der Reporter, sehen sie aus wie »Kampfmaschinen«. Pistole, Nebel- und Handgranaten, Funkgerät, GPS-Ausstattung, Schutzweste, 400 Patronen plus weiterer Munition im Rucksack.

So bestückt rückten sie eines Tages samt ihren Gästen in fünf geländegängigen Fahrzeugen unter dem Kommando eines Majors aus. Der frönt einer Neigung, wenn nicht einer Leidenschaft: Er »redet gern mit den Menschen«. Diesmal hatte er die eines Gebirgsdorfes, Jawasak mit Namen, dafür ausersehen. Der Weg dahin ist nicht weit, ganze zwölf Kilometer sind es vom Lager. Den Ort wollten sie sich, erläuterte der Cimic-Beauftragte, »zum Schutze der Bewohner näher anschauen«. Er ist mit Bedacht gewählt. »Die Soldaten fürchten sich vor Attacken«, und »in manche Dörfer trauen sie sich nicht mehr hinein«. Hier aber waren Kameraden vor zwei oder drei Monaten schon. Und: »Wenigstens im engen Umkreis will die Bundeswehr Vertrauen schaffen«. Aufgesessen also zur Erfüllung des militärischen Auftrages »Informationen gewinnen«. Denn: »Sie wissen einfach zu wenig.«

Den Wissensdurst zu stillen haben jedoch die etwa zwanzig Männer, darunter die Dorfältesten, die sich in Jawasak einfanden, als sie die Kolonne herannahen sahen, nicht im Sinn. Sie sitzen am Rande der Ortschaft um den gesprächigen Major und blicken »finster drein - lauernd, skeptisch, wenig einladend«. Zu alledem: »Am distanziertesten wirkt der Bürgermeister.« So ist es dem Reporter vorgekommen. Daß dies kein Fehleindruck war, bestätigt das Foto, das von der Szene gemacht wurde. Was an diesem Besuchstag der auf die schlechte Stimmung unvorbereitete Major auch versucht, der Dorfchef bleibt »übellaunig«. Soviel aber ist von ihm immerhin zu erfahren: Am besten ist, die Soldaten betreten das Dorf nicht und verlassen auch die nahen Erdhügel, von denen sie in die Höfe der Häuser blicken können, in denen sich die verschleierten Frauen aufhalten.

Wegmachen

»Schließlich zieht die Patrouille ab.« Ganz tatenlos will der Offizier das Terrain aber doch nicht räumen. Der Schulleiter des Dorfes erhält zwei Volleybälle und eine Weltkarte überreicht. Vielleicht wird er mit ihrer Hilfe seinen Schülern erklären, woher die Soldaten gekommen sind, die ihnen derlei Besuche abstatten, und wohin sie am besten wieder abziehen sollen. Die Jüngsten brauchen aber derlei Unterweisung möglicherweise nicht. Denn der Report vermerkt: »Die Kinder senden den Soldaten einen besonderen Abschiedsgruß nach. Wie beim vorherigen Besuch bewerfen sie auch diesmal den letzten der Geländewagen mit Steinen.« Damit die Gäste aus der Heimat aus dieser Beobachtung jedoch keine falschen Schlüsse ziehen, wird ihnen erklärt: »Die Kinder sind einfach ungezogen.«

Wie wenig das Unternehmen auch eingetragen hat, es sind dem Patrouillenführer wenigstens nicht besondere Kosten entstanden. Die 1000 Dollar, die der leitende Offizier bei sich hatte und die für den Fall bestimmt sind, daß seine Soldaten irgendwelchen Schaden anrichten, brauchte er nicht anzugreifen. Das ist in Zeiten, da auch die Bundeswehr ein Sparpaketchen verordnet bekommen soll, ja auch etwas. Heil geblieben sind zudem die beiden Besucher. Denen hatte der Patrouillenführer am Abend zuvor, für den Fall, das Kommando träfe auf Taliban, die Anweisung erteilt: »Zuerst geht ihr in Deckung, und dann fotografiert ihr, wie wir sie wegmachen.« Dem Reporter ist dieser »kraftmeierische Tonfall«, schreibt er, »halb ernst, halb scherzhaft« vorgekommen.

Die Soldaten seien »etwas ratlos und verunsichert ins Lager zurückgekehrt«, lautet das Fazit des Ausflugs. Im Stützpunkt sind die Möglichkeiten für Zerstreuung begrenzt: ein Feldbistro, eine Bar, ein Raum mit Internet, ein Feuerlöschteich, in dem sich ein Bad nehmen läßt, ein Volleyballfeld. Das reicht nicht hin, um Fragen an das Dasein vollständig zu verdrängen. Und nicht jene an den Tod, die sich einstellten, als die ersten Kameraden in Särgen auf die Heimreise geschickt wurden. »Repatriiert« worden seien auch vier weitere, die trotz des gastweisen Auftauchens eines Truppenpsychologen nicht mehr »einsatzfähig« gemacht werden konnten und auch selbst nach Hause gewollt hätten.

Mißtrauensbeweis

In Afghanistan, so der allgemeine Eindruck, hat man die Situation nicht nur nicht »ausreichend im Griff«, sondern es würden auch die Taliban »nicht endgültig besiegt werden« können. Das schafften gelegentlich überraschend eintreffende und nach eigenen Befehlen handelnde deutsche Spezialkräfte nicht, die, wie sie kommen, auch wieder verschwinden. Und auch nicht die US-amerikanischen. Daß die mit einem Großaufgebot in den Norden gekommen sind, hat einen der deutschen Offiziere besonders zum Nachdenken gebracht und fragen lassen, ob darin nicht ein Mißtrauensbeweis des Verbündeten zu erblicken sei: »Was ist das für ein Zeugnis, nach über acht Jahren im Land?« habe eine seiner Fragen gelautet, und eine weitere: »Daß der deutsche Einsatz ein Mißerfolg ist?«

PS. Am Tag, nachdem die Stuttgarter Zeitung diesen Bericht druckte, fand im sogenannten Verteidigungsausschuß des Bundestages eine Debatte über Entwürfe zum Etat des Verteidigungsministeriums statt. Der SPD-Politiker Rainer Arnold schlug angesichts vorgedachter Kürzungen von Waffenaufträgen für die Rüstungsindustrie Alarm und sah die deutschen Interessen gefährdet. Das ist der Sicherheitsexperte der Partei, die mit der Linken über deren Geschichte, aber nicht über die Militär- und insbesondere über die Afghanistanpolitik reden will.

* Aus: junge Welt, 12. Juli 2010

Lesen Sie auch die anderen "Frontberichte" von Kurt Pätzold:

Demokratischer Krieg
Oder: Wie der Spiegel die Heimatfront in Sachen Afghanistan ausrichtet. Von Kurt Pätzold (21. Juli 2010)
Ein Frontbericht
Mit Rosenkranz und Glücksschwein: Was die Süddeutsche Zeitung sich vom Krieg in Afghanistan melden lässt (2. Juli 2010)




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