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Frauen frei in Kabul?

Präsident billigt häusliche Gewalt und Verdrängung der Frau aus dem öffentlichen Leben. Vor 30 Jahren war das Land weiter

Von Claudia Wangerin *

Was der CDU-Politiker Heiner Geißler noch am Sonntag als Befürchtung für den Fall eines schnellen Abzugs der NATO-Truppen aus Afghanistan äußerte, nämlich daß die Frauen des Landes in ihren eigenen Häusern nicht mehr sicher sein würden, hat der afghanische Präsident von Gnaden der Besatzungstruppen, Hamid Karsai, wenige Tage vor dem heutigen Internationalen Frauentag ausdrücklich gebilligt. In einem von Karsai veröffentlichten Edikt des religiösen Ulema-Rates heißt es, das Schlagen und Drangsalieren von Frauen sei verboten, wenn es dafür keinen Grund gebe, der mit dem islamischen Recht, der Scharia, vereinbar sei. Weibliche Personen hätten den Anweisungen und Verboten der Scharia zu gehorchen, dazu gehöre die Verschleierung. Außerdem dürften Frauen in der Ausbildung, im Büro, beim Einkaufen oder auf Reisen keinen Umgang mit fremden Männern haben. Polygamie sei dagegen erlaubt.

Mit der Behauptung, man wolle ebensolche Zustände beseitigen, hatte die rot-grüne Bundesregierung im Herbst 2001 für die deutsche Beteiligung am Afghanistan-Krieg geworben. Afghanische Frauenrechtlerinnen wie Malalai Joya, der als ­NATO-Gegnerin der Friedensnobelpreis bisher verwehrt blieb, entlarvten die regionalen Verbündeten der NATO als fundamentalistische Warlords, die zwar in Rivalität zu den Taliban stünden, jedoch deren Brüder im Geiste seien. Joya, die 2005 als jüngste Abgeordnete ins afghanische Parlament einzog, wo sie nach einer gewagten Rede als Hure beschimpft und suspendiert wurde, lebt heute im Untergrund und muß von Bodyguards beschützt werden. Bei Auftritten im Ausland fordert sie den Abzug der Besatzungstruppen.

Die bekannteste afghanische Frauenrechtsorganisation RAWA (Revolutionary Association of the Women of Afghanistan) hatte schon am 14. September 2001 vor einem Militärangriff auf ihr Heimatland gewarnt – drei Tage nach den Terroranschlägen von New York. Der Hauptverdächtige Osama bin Laden sei der »Goldjunge der CIA« gewesen, hieß es in der RAWA-Erklärung. Die Frauenrechtlerinnen warfen der US-Regierung vor, den pakistanischen Diktator Mohammed Zia-ul-Haq in den 1980er Jahren bei der Gründung religiöser Schulen unterstützt zu haben, aus denen die Taliban hervorgingen. Im Kampf gegen den Kommunismus galt der islamische Fundamentalismus als kleineres Übel und wurde von den USA gegen die mit der Sowjetunion verbündete Demokratische Republik Afghanistan in Stellung gebracht. Deren Regierung hatte dort Zwangsehen verboten und Frauenrechte gestärkt. Nach dem Abzug der sowjetischen Truppen 1989 konnte sich die laizistische Regierung nicht mehr halten; die Islamisten übernahmen Anfang der 1990er Jahre die Macht und verwehrten Frauen Bildung und Arbeit. Die Feministinnen von RAWA organisierten in den Flüchtlingslagern und im Untergrund die Alphabetisierung von Mädchen und versuchten im Ausland Unterstützung für ihren Widerstand zu gewinnen. Nach den Anschlägen von New York 2001 blieb ihr Appell wirkungslos. »Während wir zum wiederholten Male unsere Solidarität mit dem amerikanischen Volk ausdrücken und unsere Trauer um die Opfer und ihre Hinterbliebenen, glauben wir jedoch nicht, daß die Trauer des amerikanischen Volkes durch einen Angriff auf Afghanistan und die Tötung der ruinierten und verzweifelten afghanischen Bevölkerung vermindert werden kann«, erklärte ­RAWA vergeblich.

* Aus: junge Welt, 8. März 2012


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