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Politisch korrekte Versklavung

Mit ihrer Emanzipation wird die imperialistische Intervention gerechtfertigt: Ein Buch, in dem afghanische Frauen zu Wort kommen

Von Sophia Deeg *

Das Buch »Afghan Women« von Elaheh Ristami-Povey, die an der renommierten School of Oriental and African Studies der Londoner Uni lehrt, läßt afghanische Frauen unterschiedlicher Gesellschaftsschichten und Bildungshintergründe zu Wort kommen. Ihre Gesprächspartnerinnen – manche in Afghanistan, manche im Exil – sind keineswegs gleichförmige schattenhafte Gestalten unter blauen Burkhas, zurückgeblieben und der Befreiung durch »uns« harrend. Anders als es das Stereotyp von der unterdrückten muslimischen Frau will, haben diese Frauen auf vielfältige Weise gegen die Taliban und für das Überleben ihrer Familien gekämpft. Das tun sie weiterhin mit bewundernswürdiger Klugheit, Kompetenz und Durchhaltevermögen: gegen die Repression durch die Taliban, die Besatzung oder die mafiösen Strukturen, die die afghanische Gesellschaft zerfressen – ein Kampf, den sie oft zusammen mit den Männern führen. Die Frauen im Exil sind mit einer weiteren Facette der Unterdrückung konfrontiert: dem Rassismus der Gesellschaften, in denen sie Zuflucht gesucht haben, ein Rassismus, der sich oft in der Form der Bevormundung der Afghaninnen als vermeintlich hilflose, unterdrückte Geschöpfe äußert.

Häufig wirken die Unterdrückungsstrukturen, wie in keiner Gesellschaft anders zu erwarten, auch in der afghanischen bis in das familiäre und häusliche Leben. Ehefrauen oder Töchter werden Opfer von Gewalt und verquasten Ehr- und Moralvorstellungen männlicher Familienmitglieder – Phänomene, die mit Verarmung und Verelendung beinahe zwangsläufig (wieder)aufleben.

Dafür, daß sich diese Zustände in den letzten Jahren nicht bessern, machen die befragten Frauen und die Autorin selbst wesentlich die Politik der Invasoren verantwortlich, die eine korrupte Regierung eingesetzt haben und mit ihr kooperieren, um eigene Interessen im Rahmen der Rekolonialisierung der Welt durchzusetzen. Zur ideologischen Verbrämung gehört es, die bedauernswerte Rückständigkeit allgemein und insbesondere bezüglich der Frauenrechte, anzuprangern und Demokratie, eine ordentliche Verfassung, entsprechende Institutionen und Wahlen etc. zu fordern und zu fördern – wobei das »Fördern« ganz im Sinne der neoliberalen Interessen geschieht und nicht in dem der »geförderten« Bevölkerung und ihrer Bedürfnisse. Was es für die Frauen in Afghanistan und ihre »Befreiung« bedeutet, eine herausragende symbolische Rolle in der Rechtfertigung der imperialistischen Intervention zu spielen, liegt in »Afghan Women« auf der Hand.

In der Tat sind die Analphabetismus-Raten, insbesondere unter Frauen – nur drei Prozent können lesen und schreiben – extrem. Zwangsverheiratungen, Zwangsprostitution und andere Formen der Entrechtung und Entwürdigung von Frauen und Mädchen sind unerträglich. In »Afghan Woman« wird deutlich, daß die Grundübel, die für das Elend der Frauen verantwortlich sind, beispielsweise die Abhängigkeit der total verelendeten ländlichen Bevölkerung vom Opiumanbau, durch die Interventionen des Westens unangetastet bleiben. Die Anbauflächen nahmen nach dem Fall der Taliban stetig zu (von 8000 Hektar 2001 auf 165000 Hektar 2006). Milliarden-Profite aus dem Drogenhandel fließen weiterhin in die Taschen von Warlords und Drogendealern. Denen das Handwerk zu legen, argumentiert man auf NATO-Konferenzen, bedarf es verstärkter Anstrengungen der westlichen Allianz – einer Verstärkung der bisherigen Anstrengungen in enger Kooperation mit den Profiteuren des Drogenanbaus und -handels?

Rostami-Povey macht deutlich, warum solche Strategien nicht geeignet sind, eine befreiende Perspektive für die afghanische Bevölkerung zu eröffnen. Was tatsächlich helfen würde, wären Investitionen in die Landwirtschaft, »eine echte Alternative zur Ökonomie des Opiums. Doch für solche Investitionen bestehen weder intern noch international Anreize.« Die Autorin und ihre Gesprächspartnerinnen bezweifeln überhaupt, daß es der westlichen Allianz in Afghanistan, der afghanischen Regierung und den NGOs um einen echten Wiederaufbau geht, denn der müßte vor allem anderen eine Überwindung der katastrophalen Armut der Bevölkerung im Auge haben und nicht von oben und außen aufgesetzte »Demokratie« mit politisch korrekten Frauenrechten – auf dem Papier. Eine afghanische Frauenrechtsaktivistin, die sich um die Mobilisierung der Frauen zu Wahlen bemühte, erzählt von ihrem Versuch, deren Interesse zu wecken, doch »sie sind so arm, daß sie gar nicht zuhören können. Sie fangen immer wieder an, über ihre Probleme zu reden: Essen, Wohnung, Rechnungen.«

Elaheh Rostami-Povey: Afghan Women – Identity and Invasion. Zed Books, London/New York 2007, 142 Seiten

* Aus: junge Welt, 8. März 2008


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