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Viele Fragen offen

Die Orientalistin Elaheh Rostami-Povey berichtete in Berlin über die Lage afghanischer Frauen im Lande und im Exil

Zum Beitrag von Heike Friauf, den wir im Folgenden dokumentieren, haben wir einen Leserbrief erhalten, den wir der Fairness halber ebenfalls veröffentlichen (siehe Kasten).

Von Heike Friauf *

Elaheh Rostami-Povey scheint auf eine differenzierte Schilderung der Lage afghanischer Frauen keinen besonderen Wert zu legen. Dieser Eindruck entstand, als die an der Universität von London lehrende Orientalistin am Sonntag in der Berliner Galerie Olga Benario ihr – bisher nur auf englisch erschienenes – Buch zur Lage afghanischer Frauen vorstellte. Es beruht auf umfangreichen Interviews mit Frauen in Afghanistan und im Exil in Pakistan, London und Los Angeles. Irmgard Wurdack und Stephanie Hanisch von der AG Frieden der Neuköllner Linken hatten den Abend vorbereitet.

Das Interesse war groß, die Galerie überfüllt, als die gebürtige Iranerin überraschend erklärte, ihre Gesprächspartnerinnen hätten die Ankunft der Taliban einhellig als Erleichterung empfunden, da diese für Sicherheit auf den Straßen gesorgt hätten. Erst mit der Invasion der USA seien Armut, Kriminalität und Bandenwesen, Drogenabhängigkeit, Arbeitslosigkeit gestiegen und die sozialen Gefüge zusammengebrochen.

Politik blieb außen vor

Auf die Frage von jW, welche politischen Vorstellungen und Forderungen ihre Gesprächspartnerinnen denn geäußert hätten, antwortete Rostami-Povey mit Nachdruck, die Frauen wollten nichts anderes als ein Ende der Gewalt, damit Wasserversorgung, Strom, Schulen für ihre Kinder, Nahrungsmittel und Arbeitsplätze bereitgestellt werden könnten. Das wäre noch weniger, als US-Präsident George W. Bush ihnen wünscht, der jüngst in seiner »Rede zur Lage der Nation« behauptete, Afghanistan sei »jetzt eine junge Demokratie, wo Jungen und Mädchen zur Schule gehen, wo neue Straßen und Krankenhäuser gebaut werden und wo die Menschen mit neuer Hoffnung in die Zukunft sehen«.

Keine Erwähnung fand bei der Wissenschaftlerin die Arbeit von aktiven Frauenorganisationen in Afghanistan wie etwa der »Revolutionary Associa­tion of the Women of Afghanistan« (­RAWA). Während der Opiumhandel blüht und Warlords und Mafiabanden sich bereichern, unterstützt von ihren im Parlament sitzenden Vertretern, setzen die Aktivistinnen der RAWA ihren Kampf für Aufklärung, Gesundheit und Selbstbestimmung der Frauen fort. RAWA wurde bereits vor 30 Jahren gegründet und unterhält – geheim im Land und offen in Flüchtlingslagern in Pakistan – Schulen und Gesundheitszentren, weil Bildung und medizinische Versorgung die wichtigsten Waffen sind. Dennoch wird ihre hervorragende, oft unter Lebensgefahr stattfindende Arbeit von der Weltöffentlichkeit weitgehend ignoriert. Sabour Zamani, Leiter des afghanischen Kommunikations- und Kulturzentrums in Berlin, legte gestern im jW-Interview einen Grund dafür nahe: die Organisa­tion gelte als linksextrem.

Dabei liefert sie über ihre Internetseite bereits seit 1996 unabhängige Berichte und Fotos vom Alltag unter dem Schleier. Im Juni 2001 strahlten BBC und CNN den unter Lebensgefahr gedrehten RAWA-Film über die »Hinrichtung« einer jungen Frau aus.

Leere US-Versprechen

Wenn jetzt die Bundeswehr offen zum bisher noch als humanitär verbrämten Kampfeinsatz nach Afghanistan geht, dann wird erneut die »Lage der Frauen« als Grund vorgeschoben. Dabei hat die internationale Gemeinschaft auch sechs Jahre nach dem vermeintlichen Sturz der Taliban ihre Freiheitsversprechen für Frauen nicht eingelöst. Vergewaltigungen, Zwangsheirat, Mißhandlungen in der Familie gehören zum Alltag, ohne daß die afghanischen Frauen eine Möglichkeit hätten, die Verbrechen anzuklagen. Bereits unter den Taliban war Doppelmoral angesagt: Offiziell durften Frauen zu ihrem Schutz ihre Häuser nur in Begleitung männlicher Blutsverwandter verlassen. Tatsächlich waren Frauen, deren Männer selbst Opfer von Gewalt oder völlig verarmt waren, auch in ihren Häusern vor Übergriffen nicht geschützt. Ganz zu schweigen von den Witwen, deren Zahl inzwischen in die Hunderttausende geht. 50000 sollen es allein in Kabul sein. Viele von ihnen wurden und werden in die Prostitution gezwungen, was Rostami-Povey auf Nachfrage bestätigte.

Klare Worte von RAWA

Nach ihren Angaben konnten sich Frauen auch unter den Taliban Ausgang verschaffen, indem sie sich eine Begleitung mieteten. Welcher Mann im Westen würde sich so anheuern lassen? Das spreche doch für eine moderne Haltung afghanischer Männer, meinte Rostami-Povey. Offensichtlich hat sie nur mit Frauen gesprochen, die sich dergleichen leisten konnten. Und nur mit solchen, deren Mann ihnen das Interview erlaubte. Ein kurzer Blick auf die Lebensberichte afghanischer Frauen, die RAWA im Internet veröffentlicht hat, offenbart eine andere, grauenvolle Realität. 300 dokumentierte Selbstmorde von Frauen im letzten Jahr sind ein dramatischer Hinweis auf das Ausmaß ihrer Unterdrückung.

Während Rostami-Povey konsequent politische Fragestellungen vermeidet, beschreibt RAWA in einer Erklärung zum Internationalen Frauentag 2007 unmißverständlich die Situation in der Nationalversammlung: »Sowohl die Regierung als auch die westlichen Medien feiern die Präsenz von 68 weiblichen Abgeordneten als beeindruckenden Erfolg für Afghanistan und als Zeichen für Demokratie und Frauenrechte. Doch diese Frauen sind fast ausnahmslos (…) nicht mehr als willige kleine Marionetten in den Händen der Kriegsherren.« Im »abscheulich reaktionären Parlament« habe keine Frau außer der seit Mai 2007 wegen unbotmäßigen Verhaltens aus der Loya Dschirga ausgeschlossenen jungen Abgeordneten Malalai Joya »gegen die Geier der Khalqi, Parchami, Jehadi oder der Taliban ihre Stimme erhoben«.

Über Tatsachen dieser Art war von Rostami-Povey wenig zu erfahren. Glücklicherweise half zum Ende der Veranstaltung ein Vertreter der Antikriegsbewegung mit seinem Aufruf gegen den Bundeswehreinsatz in die Realität zurück.

Elaheh Rostami-Povey: Afghan Women. Identity and Invasion, Zed Books, London/New York 2007, 164 S., 24 Euro

* Aus: junge Welt, 1. Februar 2008

Schere im Kopf

Leserbrief zu "Viele Fragen offen"

Als Mitorganisatorinnen wundern wir uns über Heike Frielaufs Artikel zum Vortrag von Elaheh Rostami-Povey über ihr neues Buch zur Lage afghanischer Frauen. Für uns war Elahehs Vortrag eine echte Bereicherung im Kampf gegen Krieg und Besatzung, gegen die von den Kriegstreibern geschürten Vorurteile.

Frielauf dagegen fand ihn unpolitisch. So kritisiert sie, dass Elaheh die afghanische Frauenorganisation RAWA nicht erwähnt hat und zitiert umfangreich die RAWA-Homepage. Nun hatten wir Elaheh aber nicht gebeten, über die RAWA, die v.a. im Exil arbeitet, zu berichten, sondern über ihre Gespräche mit Frauen IN Afghanistan.

Elaheh forscht seit vielen Jahren zur Lage der Frauen in Iran und Afghanistan und war mehrmals in Afghanistan. Sie vermag, Afghaninnen verschiedener Ethnien, gesellschaftlicher Schichten und politischer Orientierung eine Stimme zu verleihen, weil sie den Frauen vorbehaltlos zugehört hat.

Deren vielfältige Erfahrungen während des Bürgerkrieges, während der Taliban-Herrschaft und nach dem Einmarsch der westlichen Besatzer, womit sie zu kämpfen hatten und haben, wie sie sich gegen Unterdrückung wehren und gewehrt haben, wie sie sich vernetzt und Solidarität aufgebaut haben, all das enthält Frielauf den LeserInnen der jw vor. Stattdessen stempelt sie die Bemühungen der Frauen, die grauenhafte soziale Situation zu mildern, sowie ihre bittere Kritik an den dafür verantwortlichen Besatzern und deren afghanischen Helfershelfern als unpolitisch ab.

Mit dieser Schere im Kopf landet Frielauf dabei, selbst Bush für fortschrittlicher zu halten. Schließlich wollten Elahehs Gesprächsparternerinnen lediglich ein Ende der Gewalt, sowie Wasser, Strom, Schulen für ihre Kinder, Nahrungsmittel und Arbeitsplätze. Und das sei „weniger, als US-Präsident Bush ihnen wünscht,“ so Frielauf, der von „Demokratie“ zumindest spreche.

Kein Wunder, dass die so verunglimpften Frauen vorwiegend negative Eindrücke von selbsternannten westlichen Vorreiterinnen für Frauenbefreiung haben und mehr Unterstützung von unter ähnlichen Bedingungen arbeitenden Frauenorganisationen in den beiden Nachbarländern Iran und Pakistan erhalten.

Allen, die sich für die Lage in Afghanistan und im Exil lebender Afghaninnen interessieren, sei Elaheh Rostami-Poveys Buch „Afghan Women. Identity and Invasion“ wärmstens empfohlen. Darin informiert die Autorin übrigens auch über die Arbeit der RAWA und anderer Organisationen, die sich für afghanische Frauen einsetzen. Ihr könnt es im Buchhandel bestellen oder in der Bücherei der Galerie Olga Benario ausleihen.

Außerdem gibt es einen Vortrag von Elaheh über das Buch auf CD. Bei Interesse schickt eine Email an Irmgard.Wurdack@die-linke-neukoelln.de

Stephanie Hanisch und Irmgard Wurdack, AG Frieden der LINKEN.Neukölln




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