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Soll man doch endlich sagen, dass das dort ein Krieg ist

Dokumentarist PHILIP SCHEFFNER über seinen Afghanistan-Film

Während Politiker noch darüber streiten, ob man den deutschen Militäreinsatz in Afghanistan mit dem unschönen Wort Krieg bezeichnen müsse, dürfe oder solle, ist für den Berliner Dokumentarfilmer Philip Scheffner die Sache längst klar: Wir befinden uns dort im Krieg, aber die offizielle Politik versucht Beschönigung. »Der Tag des Spatzen« - er läuft im Forum der Berlinale - ist sein filmischer Versuch, die Verbindung zwischen den Toten am fernen Hindukusch und den Kasernen vor der Haustür auch bildlich greifbar zu machen. Im Bundesverteidigungsministerium stieß dieses Anliegen auf wenig Gegenliebe.
Im Folgenden dokumentieren wir ein Interview mit dem Filmemacher, das im "Neuen Deutschland" (ND) erschien.


ND: »Der Tag des Spatzen« ist ein Film gegen den Afghanistan-Einsatz, der aber ausschließlich in Deutschland spielt. Konnten Sie nicht nach Afghanistan, oder wollten Sie nicht?

Scheffner: Wir wollten als Filmteam nie nach Afghanistan. Wir hatten ein ausführliches Konzept, das Dreharbeiten nur in Deutschland vorsah, und wir wandten uns damit an die Bundeswehr. Man lud uns auf die Hardthöhe nach Bonn zu einem Gespräch ein. Dazu kamen rund 15 Vertreter von verschiedenen Dienststellen aus ganz Deutschland angereist. Alle diese Dienststellen hatten wir in unserer Konzeption genannt. Da kam also jemand, der für die Truppenübungsplätze an der Ostsee zuständig ist, jemand vom Einsatzführungskommando in Geltow, jemand vom Amt für Geoinformationswesen usw.

Wie reagierten diese Leute?

Nach unserer Präsentation gab es eine lange Diskussion, die sehr interessant und auch sehr offen war, die wir aber natürlich nicht mitschneiden konnten. Im Rahmen dieser Diskussion kam, neben vielen Vorbehalten, ein Vorschlag auf, der uns unglaublich fasziniert hat: das Bild von einem Busch voller Vögel in einer afghanischen Landschaft, und davor patrouilliert eine Patrouille der Bundeswehr, die das Gelände sichert.

Der Mann kannte offenbar Ihren ornithologischen Hintergrund ...

Wir haben gedacht, wenn das ein Bild ist, das die Bundeswehr selber als Bild von sich in die Welt setzt, dann möchten wir dieses Bild auch drehen, und zwar im offiziellen Auftrag der Bundeswehr, wir als eine Art embedded, eingebettete Filmemacher. Wir wurden aufgefordert, ein Montagebuch einzureichen, ein detailliertes Drehbuch mit Beschreibung jeder einzelnen Szene, wie wir sie planten. Während wir noch mit der Bundeswehr diskutierten, geschah das Bombardement der Tanklastzüge in Afghanistan. Und auf einmal muss der Verteidigungsminister zurücktreten - aufgrund seiner Informationspolitik, nicht wegen des Bombardements. Wenn man das im Hinterkopf hat, und dazu unsere Gespräche, in denen es ja letztlich nur um einen banalen Film ging, drehte sich unser Projekt plötzlich auch um das Selbstverständnis und die gesamte Informationspolitik der Institution Bundeswehr. Wenn ein Pressesprecher dieser Institution am Telefon mit einem Mal abschneiderisch sagt, dass ja auch keine andere Firma ihre Arbeit öffentlich macht, ist das dann ein ziemlicher Irrsinn.

Das heißt, Sie wurden gestoppt.

Ja. Das Absagen unserer Dreharbeiten und aller weiteren Gespräche kam von höchster Stelle - die Dienststellen selbst hatten ein anderes Verständnis von der Sache, die hätten gerne mit uns geredet.

Nun wird öffentlich ja ziemlich viel über Afghanistan diskutiert. Was vermissen Sie in dieser Diskussion?

Es gibt seit Jahren, seit Jugoslawien, eine schleichende Militarisierung der deutschen Politik, die zu einer schleichenden Gewöhnung an den Kriegszustand geführt hat. Und das schließt die Medien ein. Ich kann mich noch erinnern, wie konsterniert ich war, als Kanzler Schröder in der Neujahrsansprache auf einmal »unsere Soldaten im Ausland« grüßte. Eine Sprache, an die ich nicht gewöhnt war. Mittlerweile wird die Vereidigung von Rekruten live in »Phoenix« übertragen. Und dann hört man plötzlich von geheim operierenden Einheiten wie dem KSK, das in Afghanistan gezielt auf einzelne Personen angesetzt wird. Soll man doch endlich sagen, dass das dort ein Krieg ist! Ein Begriff, an den man sich schleichend ja längst gewöhnt hat. Und diesen Krieg müsste man hierzulande doch auch irgendwie sehen - medial und politisch lässt er sich festmachen, auch an den Sicherheitsgesetzen im Land selbst. Aber das bleibt alles sehr abstrakt, alles sehr weit weg. Und über diesen Krieg sollte nicht nur der Bundestag reden. Wir sollten alle genauer hingucken, auf Dinge, die bisher aus wenig guten Gründen diffus und im Hintergrund gehalten werden.

Interview: Caroline M. Buck

* Aus: Neues Deutschland, 18. Februar 2010


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