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Erst bomben und dann helfen?

Neues aus und über Afghanistan / Verlieren die Soldaten ihre Skrupel?

Nicht erst die Käßmann-Kritik an der Afghanistan-Politik der Bundesregierung hat die Zwickmühle offenbart, in der sich die Regierungskoalition befindet: Einerseits wird sie von den USA und der NATO gedrängt, (noch) mehr für den Krieg zu tun, vor allem mehr Soldaten nach Afghanistan zu schicken, auf der anderen Seite muss sie dem Willen der Bevölkerung entgegenkommen, mehr Hilfe für die Menschen in Afghanistan zu leisten. Beides geht nicht zusammen, wie die folgenden Artikel, Kommentare und ein Interview mit Wolfgang Gehrcke (MdB) zeigen.


Kriegslügen

Neuer Verdacht gegen Oberst Klein

Von Werner Pirker *

Ganz so der untadelige Offizier, als den man den für das Massaker von Kundus verantwortlichen Bundeswehr-Oberst Georg Klein immer hingestellt hat, ist er sicher nicht. Schon allein deshalb nicht, weil er an einem gegen die nationale Selbstbestimmung gerichteten Krieg beteiligt ist. Inzwischen erhärtet sich aber auch der Verdacht, daß Klein keineswegs nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt hat, als er im Kundus-Tal die Bombardierung der Tanklastzüge und der um sie versammelten Menschen anordnete. Aus einem dem Spiegel vorliegenden NATO-Bericht geht vielmehr hervor, daß der deutsche Oberst zugegeben habe, gezielt die Unwahrheit gesagt zu haben, um US-Piloten zur Bombardierung zu bewegen.

Der Öffentlichkeit ist schon seit längerem bekannt, daß die amerikanischen Piloten dem deutschen Befehl nur sehr ungern nachgekommen sind und davor einen weniger massiven Beschuß vorgeschlagen haben. Wie Der Spiegel zu berichten weiß, hat Klein aber auch noch definitiv ein Bedrohungsszenario erfunden, das heißt, eine unmittelbare Feindberührung vorgetäuscht, um seinen Vernichtungsplan umsetzen zu können.

Als Verteidigungsminister Guttenberg seine Bewertung des Kundus-Massakers kraft öffentlich gewordener neuer Fakten von »militärisch angemessen« auf »militärisch unangemessen« korrigieren mußte, war er immer noch bemüht, Klein als Verkörperung deutschen Heldenmutes am Hindukusch aus der Schußlinie zu nehmen. Das verwunderte, hatte der Oberst doch gerade ein Beispiel für eine feige, Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung einplanende Kriegsführung geliefert. Wie es aussieht, wird der Minister demnächst auch seine Beurteilung des zu jedem Risiko auf Kosten von Zivilisten bereiten Obersten korrigieren müssen. Zumal die neuen Enthüllungen auch den Herrn von und zu Guttenberg in Bedrängnis bringen dürften. Der NATO-Bericht, heißt es, hätte ihm bereits bekannt sein müssen, als er Kleins Rambo-Action noch als »angemessen« bezeichnete.

Daß die Generalbundesanwaltschaft laut Süddeutscher Zeitung kein Verfahren gegen Georg Klein einleiten will, ist angesichts der neuen Verdachtsmomente – auch die alten würden schon reichen – umso befremdlicher. In einem »nichtnationalen bewaffneten Konflikt«, das heißt im Krieg gegen eine nationale Befreiungsbewegung, seien zivile Opfer nicht zu vermeiden, begründet die oberste Staatsanwaltschaft sinngemäß seine Inaktivität. Der deutsche Oberst soll geschont werden, weil die von ihm demonstrierte Art der Kriegsführung dem Wesen der »Verteidigung Deutschlands« am Hindukusch entspricht. Die erschöpft sich nicht in Aufbauhilfe. Diese ist vielmehr nur der Vorwand für die Verfolgung des eigentlichen Kriegsziels: die Durchsetzung der imperialistischen Ordnungspolitik. Oberst Klein dürfte kaum auf eigene Faust gehandelt haben. Die schonende Behandlung, die ihm (noch) zuteil wird, gilt vor allem seinen Vorgesetzten.

* Aus: junge Welt, 18. Januar 2010


Entwicklungshilfe soll verdoppelt werden

Erste Vorstellungen für Afghanistan-Konferenz **

Nach Angaben des Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz (CDU), plant die Bundesregierung eine Verdopplung der Afghanistan-Hilfe von derzeit 125 Millionen Euro auf 250 Millionen Euro. Zugleich solle die Anzahl der Polizeiausbilder auf 200 verdoppelt werden, sagte er der »Neuen Osnabrücker Zeitung«. Polenz betonte, dass von London ein Signal ausgehen sollte, dass das Engagement der internationalen Gemeinschaft nicht endlos fortgesetzt wird. »Wir sind keine Besatzungsmacht und benötigen eine verantwortungsvolle Abzugsstrategie.« Die Festsetzung eines Abzugstermins ist nicht vorgesehen.

Unklar dagegen ist weiterhin, ob es – wie von den USA gefordert – eine Verstärkung des Bundeswehr-Kontingents geben soll. Derzeit sind rund 4500 deutsche Soldaten im Kriegseinsatz am Hindukusch. Über die Frage einer Truppenverstärkung war es in den vergangenen Wochen zu einem indirekten Disput zwischen Außenminister Guido Westerwelle (FDP) und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) gekommen. Während Guttenberg die Entsendung eines kleinen Kontingents für möglich hält, lehnt Westerwelle das ab. Doch weder von ihm noch aus seinem Amt sind bislang Vorstellungen für die weitere Entwicklung in Afghanistan gedrungen.

Erst kurz vor der Konferenz will Kanzlerin Angela Merkel am 27. Januar mit einer Regierungserklärung Klarheit über die Zukunft des Militäreinsatzes schaffen.

** Aus: Neues Deutschland, 15. Januar 2010


Unzureichend

Von Olaf Standke ***

Die Bundesregierung will die Entwicklungshilfe für Afghanistan verdoppeln. Das hört sich gut an. Liest man die Summe, zeigt sich jedoch vor allem, wie wenig Berlin bisher in den Wiederaufbau am Hindukusch gesteckt hat. Lediglich 125 Millionen Euro Hilfsgelder jährlich flossen Richtung Kabul, ein Vielfaches kostete und kostet der Bundeswehreinsatz, auch nach der geplanten Aufstockung der zivilen Mittel. Nur ein Beispiel: Drei von vier Afghanen müssen noch immer auf sauberes Trinkwasser verzichten. Mit den bisherigen deutschen Kriegsausgaben von etwa fünf Milliarden Euro ließen sich 50 000 Tiefbrunnen bauen, um das gesamte Land mit frischem Wasser zu versorgen. Es fehlt an vielem, in der Infrastruktur, im Schul- und im Gesundheitswesen, oder wenn es um Alternativen zur Produktion des Drogenrohstoffs Mohn geht, etwa dem Anbau von Rosen oder Honig.

Die Afghanen dürsten nicht nur nach Sicherheit, sie wollen Gesundheitsversorgung und Bildung, ein bisschen Wohlstand, eine Zukunft für ihre Kinder. Der Krieg am Hindukusch verschleudert dagegen wertvolle Ressourcen. Afghanistan braucht nicht mehr Soldaten, sondern mehr Helfer und international koordinierte, nachhaltige nichtmilitärische Unterstützung. Das sollte Schwerpunkt der bevorstehenden Afghanistan-Konferenz sein. Hier müsste die Bundesregierung noch ganz andere entwicklungspolitische Signale setzen.

*** Aus: Neues Deutschland, 15. Januar 2010 (Kommentar)


»Die Soldaten verlieren ihre Skrupel«

Zwei Linke-Politiker besuchten in Potsdam Befehlszentrum für den Afghanistan-Krieg. Ein Gespräch mit Wolfgang Gehrcke ****

Wolfgang Gehrcke ist ­außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im deutschen Bundestag.

Sie hatten die Gelegenheit, zusammen mit Ihrem Fraktionskollegen Paul Schäfer das Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam zu besuchen, das Befehlszentrum der Bundeswehr auch für den Afghanistan-Krieg. Hat man Sie als Kritiker dieses Krieges dort überhaupt willkommen geheißen?

Die Begrüßung war höflich, die Stimmung sachlich und vom gegenseitigen Interesse getragen. Natürlich wußte jeder der Generäle und sonstigen Offiziere, wo wir politisch stehen. Schäfer und ich sind als klare Kritiker der Auslandseinsätze der Bundeswehr bekannt, wir lassen darüber auch keine Zweifel aufkommen. Auf der anderen Seite wußten wir ebenso, mit wem wir es zu tun hatten – insofern gab es Klarheit auf beiden Seiten.

Wie viele Soldaten arbeiten dort in diesem Führungszentrum?

Ich glaube, es sind etwa 810, vorwiegend Offiziere, die von Potsdam aus die gesamten Bundeswehreinsätze im Ausland leiten. Das Zentrum ist die militärische Leitstelle, es ist über modernste Kommunikationsmittel mit allen Einsatzorten verbunden.

In anderen Stäben sind aber auch zahlreiche Soldaten mit dem Afghanistan-Krieg befaßt. Wie viele sind das schätzungsweise?

Darüber haben wir leider keinen klaren Überblick – der Militarismus gedeiht ja eher im dunkeln, in der Grauzone zwischen Politik, Wirtschaft und Streitkräften. Die Bundeswehr hat zwar keinen Generalstab, dem Generalinspekteur sind allerdings etwa 200 Soldaten zugeordnet. Und dann gibt es noch Stäbe der Teilstreitkräfte, also von Heer, Luftwaffe und Marine. Geleitet werden die Bundeswehreinsätze vom Verteidigungsminist­erium – auch dort befassen sich Be­amte und Offiziere mit dem Afghanistan-Krieg. Es gibt also einen großen militärischen Bereich, der für die Öffentlichkeit ziemlich undurchsichtig ist. Als Abgeordnete haben wir aber Anspruch darauf, zu erfahren, wer für was verantwortlich ist.

Von Potsdam aus werden auch die Einsätze des Kommandos Spezialkräfte (KSK) gesteuert. Was haben Sie darüber erfahren?

Eigentlich nichts, was wir nicht schon wußten. Ich habe angemerkt, daß das KSK in der Öffentlichkeit, auch im Bundestag, oft als »Rambo-Truppe« angesehen wird. Das gab Protest. Und in der Tat, nicht das Image, der Einsatz dieser Truppe ist entscheidend.

Die Geheimnistuerei um die Einsätze des KSK spricht dafür, daß diese Truppe tatsächlich an allen Nahtstellen agiert. Das war auch in Kundus so, als durch die Bombardierung zweier Tank-lastzüge zahlreiche Menschenleben ausgelöscht wurden. Daran war ein KSK-Offizier beteiligt, als Angehöriger der »Task force 47«. Offiziell heißt es dazu, er habe nur Unterstützung geleistet.

Gab es auch Gespräche darüber, diesen Krieg möglichst schnell zu beenden? Werden in der Bundeswehr Ausstiegsszenarien wenigstens angedacht?

Nein. Die Soldaten und Offiziere, die dort im Führungszentrum sitzen, sind damit beschäftigt, den Krieg gewinnbar zu machen. Andererseits wissen sie aber aus ihrer militärischen Erfahrung heraus, daß er nicht gewinnbar ist. Schäfer und ich haben jedenfalls deutlich gemacht, daß die Truppen möglichst schnell aus Afghanistan abgezogen werden müssen.

Die eigentliche Frage, die uns umgetrieben hat, war allerdings die, wie ein deutscher Oberst dazu kommt, den Befehl zur Bombardierung dieser Tankwagen zu geben – er wußte schließlich, daß dadurch viele Menschen ihr Leben verlieren würden. Vielleicht wird das der Untersuchungsausschuß des Bundestages klären. Ein solches Verhalten ist für uns jedenfalls ein Indiz, daß in den Köpfen vieler Soldaten ein Umdenken stattfindet, daß sie ihre Skrupel verlieren.

Liegt nicht die Vermutung nahe, daß Potsdam an der Entscheidung zum Abwurf der Bomben beteiligt war?

Das weiß ich leider nicht – auch das muß noch geklärt werden. Wenn die Bundeswehreinsätze aus Potsdam geführt worden sind, muß der Oberst vorher über die bevorstehende Bombardierung berichtet oder sich zumindest rechtlich sachkundig gemacht haben. In Potsdam sitzen auch Rechtsberater.

Die gibt es übrigens ebenso an den jeweiligen Standorten im Ausland. Sie haben den Auftrag zu prüfen, ob Befehle rechtskonform sind – ob sie also dem Völkerrecht und der deutschen Verfassung entsprechen. Ob und wie sie ihre Arbeit gemacht haben, muß auch im Ausschuß geklärt werden.

Interview: Peter Wolter

**** Aus: junge Welt, 16. Januar 2010


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