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"Die Fundamentalisten sitzen längst in der Regierung Karsai"

Menschenrechtspreisträgerin Malalai Joya über die Situation in ihrer Heimat Afghanistan

Malalai Joya kämpft in Afghanistan unter schwierigsten Bedingungen für die Menschenrechte und eine friedliche und demokratische Entwicklung. Im Mai 2007 wurde die 28-jährige Abgeordnete aufgrund ihrer öffentlichen Kritik an der Präsenz von Kriegsverbrechern im Parlament mit dem Entzug ihres Mandats bestraft. In ihrer Heimatstadt Farah hat sie ein Gesundheitszentrum für Frauen und Kinder gegründet. Auf der Berlinale erhielt sie den Internationalen Menschenrechtspreis. Mit ihr sprach Knut Henkel. *



Neues Deutschland: Frau Joya, welche Bedeutung hat der Internationale Menschenrechtspreis, den Sie gerade bei der Berlinale in Berlin in Empfang nehmen durften, für Sie?

Malalai Joya: Ich fühle mich sehr geehrt, dass mir der Menschenrechtspreis von der Initiative Cinema for Peace verliehen wurde, denn ich denke, dass er mir stellvertretend für die Frauen und Kinder Afghanistans verliehen wurde. Die werden von den bewaffneten Fundamentalisten gequält, die mein Land kontrollieren, obwohl man ihnen längst den Prozess hätte machen müssen. Sie sitzen längst in der Regierung von Präsident Hamid Karsai.

Wie kam es zu den Dreharbeiten zu dem Film und gab es Schwierigkeiten - Kamerateams in Afghanistan gelten als stark gefährdet?

Der Film »Enemies of Happiness« (Feinde des Glücks) entstand 2005 vor den Parlamentswahlen. Die waren alles andere als demokratisch, denn wie will man frei wählen, wenn die Warlords selbst für ein Mandat kandidieren und ihren Einfluss geltend machen? Schauen Sie sich unser Parlament an, es ist alles andere als demokratisch. Viele der Abgeordneten kauften Stimmen, drohten mit ihren Waffen, wurden finanziell aus dem Ausland unterstützt und nutzten ihre Kontakte zur Macht. Der Film zeigt einen Ausschnitt dieser Verhältnisse, zeigt, wie ich meinen Wahlkampf unter schwierigen Bedingungen geführt habe.

Wie ist Ihre persönliche Sicherheitssituation?

Seit meiner Rede im Dezember 2003, als ich die Anwesenheit von Warlords und Kriminellen in der Verfassunggebenden Versammlung, der Loya Jirga, anprangerte, kann ich kaum einen Schritt mehr ohne Leibwächter tun. Mein Haus und mein Büro wurden von diesen Warlords angegriffen und ich habe es nur den Warnungen von Nachbarn und Unterstützern zu verdanken, dass ich noch lebe. Dabei habe ich nichts anderes als die Wahrheit gesagt. Ich bin froh, dass dieser Film jedenfalls einen kleinen Teil dieser Probleme unseres Landes zeigt. Das Sicherheitsproblem ist nur eines davon, denn Präsident Karsai kontrolliert nicht mehr als Kabul.

Ist Ihre Verbannung aus dem Parlament begründet worden?

Nein, ich wurde buchstäblich vor die Tür gesetzt. Dagegen werde ich klagen und nach langer Suche habe ich auch endlich einen Anwalt gefunden, der sich traut, mich zu vertreten.

Angeblich stehen Sie auf einer schwarzen Liste von etwa 300 Afghanen, die das Land nicht verlassen dürfen. Ist das richtig?

Ja, das ist richtig. Ich sage die Wahrheit, kritisiere die Verhältnisse in meinem Land und deshalb will man mir einen Maulkorb umhängen und mich nicht ins Ausland lassen.

Wer steckt dahinter?

Es sind die fundamentalistischen Warlords, die sich kaum anders als die Taliban verhalten. Unsere Leute sagen oft, dass sie nichts anderes als eine Kopie der Taliban sind und erst durch die internationale Unterstützung mächtig geworden sind.

Sehen Sie denn eine Chance für die Befriedung Afghanistans?

Solange die Warlords an der Macht sind, wird es keinen Frieden in Afghanistan geben. Wir leben in einem besetzten Land und die einzige Hoffnung ist eine demokratische Bewegung in Afghanistan. Dafür brauchen wir Unterstützung aus aller Welt. Wohl gemerkt, ich spreche von Unterstützung, nicht von der Besatzung, die alles nur noch schlimmer gemacht hat. Heute stehen immer mehr Menschen gegen die Regierung auf, weil sie eben nicht demokratisch ist und das Land nicht im Sinne der Bevölkerung regiert. Es gibt Demonstrationen, so zum Beispiel für mehr Sicherheit.

Welche Rollen spielen der Drogenhandel und die Korruption in Afghanistan? Sind sie mitverantwortlich für die verheerende Situation des Landes?

Korruption und Terrorismus sind Zwillingsbrüder und Feinde der Demokratie. Es gibt mafiöse Strukturen in Afghanistan und solange diese fundamentalistischen Warlords an der Macht sind, habe ich keine Hoffnung, dass es ein Ende von Terrorismus und Korruption geben wird.

Die USA haben sich gerühmt, den afghanischen Frauen die Freiheit zu bringen. Ist sie bei den Frauen mittlerweile angekommen?

Die Lage der Frauen und ihrer Kinder ist verheerend. In der Kunduz Provinz hat eine Frau ihr Kind für zehn US-Dollar verkauft, in einer anderen Provinz waren es 1200 Afghani, umgerechnet 24 US-Dollar, die für ein Kind verlangt wurden. Frauen, die so arm und hilflos sind, dass sie ihre Kinder verkaufen - wo gibt es das? 90 Prozent der Afghanen sind arm, auch wenn die Regierung das abstreitet.

Hier in Deutschland wird darüber debattiert, mehr Truppen nach Afghanistan zu schicken. Was halten Sie davon?

Wir wollen keine Besatzung, sondern eine Befreiung und Demokratie. Die bekommt man nicht geschenkt und die bringt man auch nicht mit der Waffe in der Hand. Wir brauchen Hilfe, wir brauchen Unterstützung, doch die Befreiung in Afghanistan hat viel mehr unschuldige Menschen das Leben gekostet als der 11. September in den USA.

Wie denken Sie über diesen »Krieg gegen den Terror«, den die USA ausgerufen haben? Sehen Sie eine Alternative dazu - etwa den Abzug der ausländischen Truppen?

Die einzige Hoffnung der einfachen, armen Leute in Afghanistan ist eine echte Demo kratisierung, wo endlich auch deren Stimme gehört wird. Es gibt genügend junge gut ausgebildete Leute, deren Hände nicht blutbefleckt sind, deren Stimme wird kaum gehört. Ich bin etwas bekannter geworden, aber es gibt viele unbekannte Helden in Afghanistan, die sich engagieren. Aber deren Stimme ist schwach im Vergleich zu den Waffen der Warlords, das ist richtig. Mit einem Abmarsch der Truppen ist uns nicht geholfen, denn dann haben wir einen offenen Bürgerkrieg um die Macht und den kann die Demokratiebewegung kaum gewinnen.

* Aus: Neues Deutschland, 19. Februar 2008


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