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Drogenkrieg oder Tony Soprano und die Taliban

Die gezielte Tötung von Drogenhändlern ist ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht

Von Norman Paech *

Mit dem Sturz des Taliban-Regimes kehrte Afghanistan zurück ins Opiumgeschäft. Lag die Opiumproduktion des Landes im Jahr 2001 noch bei 185 Tonnen, so war die Mohnernte im Herbst 2002 bereits wieder auf 3400 Tonnen angestiegen. Für dieses Jahr wird nun trotz aller Erfolgsmeldungen über opiumfreie Provinzen eine Rekordernte von über 9000 Tonnen Rohopium erwartet. Damit ist auch gesichert, dass die Welt ihren Bedarf an Opium zu über 90 Prozent aus einem Land decken kann.

Diesen Anstieg der Produktion haben die US-Amerikaner durchaus selbst zu verantworten, da sie - im Kampf gegen Al Qaida und Taliban - Warlords und Milizenführer auf die Gehaltslisten von CIA und Sondereinsatztruppen setzten. Etliche dieser Warlords erlangten so führende Positionen in der neuen afghanischen Regierung. Damit war das korrupte Geflecht zwischen Drogenhandel und afghanischen Behörden geschaffen, welches heute eine Grundlage für das gut funktionierende Rauschgiftgeschäft bildet. So ist es ein offenes Geheimnis, dass Ahmed Wali Karzai, der Bruder des afghanischen Präsidenten, in das Opiumgeschäft verwickelt ist.

Die amerikanische Strategie im Kampf gegen den Opiumhandel beschränkte sich bis Anfang dieses Jahres auf die Zerstörung der Mohnfelder. Zwischen 35 und 45 Millionen Dollar hat die amerikanische Regierung jährlich dem privaten Militärunternehmen DynCorp, das mit einer wenig rühmlichen Vergangenheit in Irak und Kolumbien aufwartet, für die Drogenbekämpfung bezahlt.

DynCorp heuerte für einige wenige Dollars am Tag Afghanen an, die per Hand Mohnpflanzen ausrissen. Ein, wie sich nun herausgestellt hat, mühseliges, kostspieliges und ineffektives Vorgehen. Und so erklärte der US-amerikanische Sonderbeauftragte für Afghanistan und Pakistan, Richard Holbrooke, im Juni den Kampf gegen den Mohnanbau für beendet.

Stattdessen, so war es vor einigen Tagen in der »New York Times« zu lesen, wurden nun 50 Personen, die angeblich in den Drogenhandel in Afghanistan verwickelt sind und denen Verbindungen zu den Taliban nachgesagt werden, auf eine Fahndungs- und Abschussliste des US-Militärs gesetzt, nach alter Cowboy-Manier »tot oder lebendig«. Ahmed Wali Karsai ist nicht darunter.

Dieser Western-Style passt gut zu den Aussagen in dem Bericht des amerikanischen Senats, auf den sich der Zeitungsartikel bezieht. Er vergleicht die Organisationsstrukturen der Taliban, die von Mohnbauern, Opiumproduzenten und Drogenhändlern Schutzgelder einfordern, mit den Machenschaften der Mafia. Als Blaupause für die Taliban diene, so kann man in dem Bericht lesen, ein in den USA sehr beliebter Antiheld aus der Fernsehserie »Die Sopranos«. Tony Soprano ist ein stressgeplagter amerikanischer Familienvater, Clanführer und erfolgreicher Unterwelt-Entrepreneur, der sein Geld durch Schutzgelderpressung in New Jersey verdient. Er ist allerdings nie auf die Abschussliste der Army gesetzt worden, denn für ihn war das FBI zuständig.

Und so ist es auch in Afghanistan. Für die Kriminalitätsbekämpfung ist nicht das Militär, sondern die Polizei zuständig. Für Aufbau und Ausbildung der afghanischen Polizei werden schließlich viel Geld und Mühe von den USA und vor allem Deutschland aufgewendet. In den Zusatzprotokollen der Genfer Konventionen ist klar geregelt, dass Zivilisten nicht das Ziel von Angriffen sein dürfen (Art. 51 Abs.2 ZP I).

Als Zivilperson gilt, wer nicht an Kampfhandlungen teilnimmt - und diese Bestimmung ist eng auszulegen, wie jetzt gerade das Internationale Komitee vom Roten Kreuz in seinen »Auslegungsempfehlungen« zu den Zusatzprotokollen betont hat. Die gezielte Tötung von Drogenhändlern ist demnach ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht, ein abenteuerlicher Fehlgriff in den längst überholten Kriegskasten.

Die USA sollen Mühe gehabt haben, die Bedenken ihrer NATO-Alliierten auszuräumen - es ist nicht überliefert, ob die Bundesregierung überhaupt welche gehabt hat. Außer dem gravierenden Völkerrechtsverstoß wird die gezielte Tötung von Zivilisten wiederum verheerende Folgen für die Wahrnehmung der ausländischen Truppen im Land haben. Hier wird man sich nicht mehr mit Kollateralschäden entschuldigen können. Der ohnehin schon recht schmale Grat zwischen Zivilisten und feindlichen Kämpfern in diesem asymmetrischen Krieg wird weiter verwischt.

Die jüngste US-amerikanische Offensive in der mohnreichen Provinz Helmand im Juli war der erste große Versuch, die neue Strategie umzusetzen. Dort setzte das US-Militär zum ersten Mal Bomber und Kampfhubschrauber ein, um große Mengen an Mohnsamen zu zerstören. Es wird viele Bauern in die Reihen des Widerstandes getrieben haben. Dabei hat die britische Drogenbekämpfungsstrategie für Afghanistan in diesem Jahr bereits Früchte getragen. So berichtete der »Guardian« kürzlich über einen gelungenen Schlag gegen Haji Abdullah, der das drittgrößte Drogennetzwerk am Hindukusch steuerte. Haji Abdullah wurde zu 20 Jahren Haft und 10 Millionen Dollar Geldstrafe verurteilt. Überführt wurde er durch eine Technik, die schon Tony Soprano und anderen Unterweltgrößen das Leben schwermachte: die klassische Telefonüberwachung.

* Prof. Norman Paech ist außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der LINKEN.

* Aus: Neues Deutschland, 20. August 2009


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