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NATO-Jagd auf Drogenlords

Generäle streiten über "Tötungsbefehl" in Afghanistan

Von Olaf Standke *

Die Anordnung des NATO-Oberbefehlshabers in Afghanistan, John Craddock, Opiumhändler als »feindliche Militärkräfte« zu betrachten und zu töten, hat in der Allianz zu einer heftigen Kontroverse geführt.

Von »schwierigen Entscheidungen« in Sachen Afghanistan sprach jetzt USA-Präsident Barack Obama nach einem Termin im Pentagon mit Verteidigungsminister Robert Gates und führenden Militärs. Eine schon getroffene sorgt derzeit für heftigen Streit im Nordatlantik-Pakt. Wie aus einem Geheimpapier hervorgeht, hat General John Craddock, Oberbefehlshaber der NATO-Truppen am Hindukusch, zur tödlichen Jagd auf die Drogenlords im Lande geblasen. Es sei »nicht länger nötig, Geheimdienstaufklärung zu betreiben oder zusätzliche Beweise zu erbringen, ob jeder Drogenhändler oder jede Drogeneinrichtung auch die Kriterien eines militärischen Zieles erfüllt«. Einige Kommandeure der Allianz jedoch stellen diese Anweisung in Frage, wie die Online-Ausgabe des Magazins »Spiegel« gestern berichtete. Egon Ramms etwa, der deutsche Leiter der zuständigen NATO-Zentrale im niederländischen Brunssum, und David McKiernan, der US-amerikanische Kommandeur der ISAF-Truppe in Kabul, wollen ihr nicht folgen. Sie sehen darin einen Verstoß gegen geltende Einsatzregeln und internationales Recht.

Die NATO-Verteidigungsminister hatten im Oktober 2008 in Budapest beschlossen, dass die ISAF-Truppen künftig auch »Drogeneinrichtungen und Personen, die den Aufstand unterstützen«, angreifen dürften. Dabei ist der Opiumanbau in Afghanistan laut Analyse Washingtons nach Rekordernten 2006 und 2007 im Vorjahr deutlich von 8000 auf 5500 Tonnen zurückgegangen. Auch die Anbaufläche für Schlafmohn sei um 22 Prozent kleiner geworden, von 202 000 auf 157 000 Hektar. Der Anbau erfolge nur noch in 15 der 34 Provinzen. Ähnliche Einschätzungen kann man von der UNO hören. Doch kommen aus Afghanistan noch immer rund 90 Prozent der weltweiten Opiumproduktion, die zur Herstellung von Heroin verwendet wird. Auch Ahmed Wali Karsai, einem Bruder des afghanischen Staatschefs, wurde vorgeworfen, in das lukrative Geschäft verwickelt zu sein.

Vor allem aber: Am Drogenhandel verdienen die radikalislamischen Taliban, die die wichtigsten Anbaugebiete kontrollieren. Nach Angaben der UNO wurde allein im Vorjahr Opium im Wert von vier Milliarden US-Dollar in die Nachbarländer geschmuggelt. Mit den Einnahmen aus dem Drogengeschäft -- geschätzten 300 Millionen US-Dollar jährlich -- finanzieren die Taliban ihren Kampf gegen die Regierung in Kabul und die ausländischen Truppen im Lande. Allein die Opiumbauern zahlten jährlich 73 Millionen US-Dollar an die Taliban, der Rest stamme von den Händlern, sagte der Vorsitzende des UN-Büros für Drogen und Kriminalität, Antonio Mario Costa.

Die NATO hatte lange eine direkte Rolle im Kampf gegen den Drogenhandel abgelehnt. In Budapest wurde dann vereinbart, dass einzelne Mitgliedstaaten freiwillig und in Abstimmung mit den afghanischen Behörden gegen den Opiumanbau vorgehen dürften. Doch werfen die Kritiker in den eigenen Reihen Craddock vor, er schaffe eine »neue Kategorie von feindlichen Militärkräften« und »untergrabe« damit die NATO-Zusage an die Afghanen, »so wenig militärische Gewalt wie möglich einzusetzen und zivile Opfer so weit wie möglich zu vermeiden«. NATO-Sprecher Derek Crotts versuchte gestern abzuwiegeln: »Das Wichtigste ist, dass niemand irgendjemandem irgendetwas Illegales befohlen hat.« In Berlin hieß es am Donnerstag, die Bundeswehr unterstütze die afghanischen Sicherheitskräfte im Kampf gegen Drogenhändler zwar mit Logistik und Aufklärung. An Aktionen, wie von Craddock gefordert, beteiligten sich deutsche Soldaten aber nicht.

Die außenpolitische Sprecherin der Grünen im Europaparlament, Angelika Beer, nannte es »unfassbar«, dass Craddock den Tod »von Drogenhändlern in Kauf nehmen« wolle, selbst wenn nicht nachgewiesen sei, dass sie die Taliban unterstützten. Der Kampf gegen Drogen sei »nicht mit Soldaten zu gewinnen«. Was André Brie, Afghanistan-Berichterstatter des EU-Parlaments, nach vielen Besuchen am Hindukusch nur bestätigen kann. Knapp 370 000 Bauernfamilien verkaufen nach UN-Angaben ihre getrocknete Mohnernte für durchschnittlich 95 US-Dollar pro Kilo an Zwischenhändler. Für sie ist es oftmals die einzig mögliche Einnahmequelle. »Opiumanbau und die Arbeit auf den Mohnfeldern sind für Hunderttausende das Hartz IV Afghanistans«, betont denn auch Brie.

Die NATO-Verteidigungsminister wollen Ende Februar in Krakow beraten, ob der »Drogenbeschluss« von Budapest aufrechterhalten werden soll. Monika Knoche, Fraktionsvize der LINKEN im Bundestag, kritisierte gestern, dass die »menschenverachtende Inkaufnahme ziviler Opfer die Gewaltspirale in Afghanistan immer weiter antreibt«. Die Regierung müsse gegenüber der neuen USA-Administration darauf drängen, die Drogenbekämpfung wieder aus dem ISAF-Auftrag herauszulösen.

* Aus: Neues Deutschland, 30. Januar 2009


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