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Robert Gates und die Drogen

Strategiesuche in Afghanistan: Die USA drängen die NATO zum Anti-Opium-Krieg

Von Lutz Herden *

Während Kanzlerin Merkel den Eindruck erweckt, man brauche nur mehr Soldaten nach Afghanistan zu schicken und könne dort so weitermachen wie bisher, scheint für das Weiße Haus ein Strategiewechsel nicht ausgeschlossen. Bei einiger Fantasie ließe sich der sogar als Einstieg in eine Exit-Strategie deuten. Mit General Douglas Lute sondiert derzeit einer der Militärberater von George Bush die Lage am Hindukusch, um zu klären, welchen Sinn eine andere Strategie haben könnte.

Als Lute abflog, sickerte ein National Intelligence Estimate (NIE) durch, ein von 16 US-Geheimdiensten verfasster Report, der offenbar erst nach der Präsidentenwahl am 4. November veröffentlicht werden sollte, dessen Rohentwurf aber bereits jetzt amerikanischen Zeitungen zugespielt wurde. Die entscheidenden Aussagen lauten: Mit der Kohärenz zwischen der Afghanistan-Politik der USA und dem Kurs der NATO steht es nicht zum Besten. Präsident Karzai hat versagt, er unternimmt nichts gegen die Korruption, schwächt damit den Zentralstaat und hält deshalb so gut wie nichts in der Hand, um die destruktive Vehemenz eines florierenden Opium-Handels zu erschüttern. Der sorge 2008 für die Hälfte der Wirtschaftsleistung des Landes, Tendenz weiter steigend.

Ob sich hinter der Bemerkung aus dem Report, "wir sagen schon seit geraumer Zeit, dass die Lösung politischer, nicht militärischer Natur ist", der Wunsch nach einer Demission Karzais verbirgt, wäre denkbar, bleibt angesichts der für 2009 in Afghanistan anberaumten Präsidentenwahlen aber fraglich. Karzais politischer Kredit in Washington dürfte schon deshalb nicht vollends aufgezehrt sein, weil seine Regierung unter Vermittlung Saudi-Arabiens mit den Taleban verhandeln darf. Es sei unklar, ob diese Kontakte zu substantiellen Friedensgesprächen führen, befinden die US-Dienste und formulieren zumindest keine Absage an derartige Kontakte.

Sehr viel weniger spekulativ, sondern real ist der strategische Dissens mit der NATO. "Wenn wir die Gelegenheit haben, uns die Drogenbarone und ihre Laboratorien zu schnappen, wenn wir versuchen, den Taleban diese Einnahmequelle zu nehmen, scheint mir dies eine legitime Anstrengung im Interesse unserer Sicherheit zu sein", sagte US-Verteidigungsminister Robert Gates seinen Amtskollegen während des Budapester NATO-Treffens. Er warb dafür, NATO-Verbände gegen die Drogenhändler aufzubieten und dies nicht mehr allein schlecht ausgebildeten und noch schlechter motivierten afghanischen Polizisten zu überlassen. Noch einmal Robert Gates: "Ein Teil des Problems besteht darin, dass die Taleban 60 bis 80 Millionen Drogen-Dollar pro Jahr verdienen."

Zunächst schien der britische Außenminister David Miliband überzeugt, dass es diese Zäsur geben und das ISAF-Mandat notfalls erweitert werden müsse, während die NATO-Verteidigungsminister überwiegend mit Skepsis reagierten, da eine solche Operation mehr Soldaten verlange. "Man kann seine Truppen zur Aufstandsbekämpfung einsetzen oder zur Jagd nach Mittelsmännern im Drogengeschäft - beides aber geht nicht", zitiert der britische Guardian eine Quelle aus dem Verteidigungsministerium in London und fragt: "Warum sollten Anti-Drogen-Operationen nicht weiter afghanischen Kräften vorbehalten bleiben, denen die NATO sekundiert?"

Zwar hat Robert Gates in Budapest eine direkte Ansage vermieden, doch spricht einiges dafür, dass die Amerikaner die Hauptlast einer solchen Kampagne schultern wollen: Das Pentagon plant, zusätzlich drei Brigaden (etwa 14.000 Mann) nach Afghanistan zu schicken, so dass bis Mitte 2009 insgesamt 47.000 US-Soldaten dort stationiert sein könnten, mehr als jemals zuvor und komplettiert durch etwas mehr als 25.000 nicht-amerikanische ISAF-Angehörige. Man könnte eine Entscheidung erzwingen, indem die Taleban durch militärische Übermacht wirtschaftlich ausgeschaltet werden, und dann ein Exit-Szenario aushandeln. Bei der sich eintrübenden Stimmung in den meisten westlichen Hauptstädten, dürften das bei vielen NATO-Partnern durchaus auf Zustimmung stoßen.

* Aus: Wochenzeitung "Freitag", Nr. 42, 16. Oktober 2008


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