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Verdrängte Ausweglosigkeit

Bericht über eine Konferenz deutscher Nichtregierungsorganisationen zur Afghanistan-Politik

Von Erhard Crome *

VENRO, der „Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen e.V.“, hat am 24. November 2009 in Berlin eine Afghanistan-Konferenz veranstaltet. Der Titel lautete: „Mission impossible am Hindukusch? Zwischenbilanz der neuen internationalen Afghanistan-Politik“.

Es wurde viel und mit etlicher Sachkenntnis über die Lage in Afghanistan und deren Ursachen diskutiert. Gleichwohl zog sich durch die gesamte Veranstaltung auch ein Debattenstrang um Sinn und Herangehen an das Thema. So war das „Mission impossible“ provokativ in das Thema formuliert. Für den Veranstalter betonte jedoch der stellvertretende Vorsitzende, Jürgen Lieser, bereits in seiner Begrüßungsansprache das Fragezeichen im Haupttitel. Es sollte dann doch lieber kein Aussagesatz sein. Die eine Perspektive war, Afghanistan habe noch eine Chance, wenn es einen grundsätzlichen Wandel der Strategie gebe. Dafür seien die Bedingungen in den USA unter Obama günstiger, als sie mit Bush Jr. je waren. Und die Herangehensweise der USA würde sich jetzt auf das deutsche Konzept der zivil-militärischen Zusammenarbeit hin bewegen.

Der Politikwissenschaftler Jochen Hippler machte dagegen geltend, dass Deutschland auch keine Strategie hat: als Kanzler Schröder im Bundestag 2001 den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan begründete, war die Rede von Bündnispflicht gegenüber den USA nach dem 11. September; Bekämpfung von Terrorismus, Befreiung der Frau, Einführung der Demokratie, Staatsbildung und Erreichen der Milleniumsziele sind dann abwechselnd als Ziele nachgeschoben worden, mit dem Ergebnis, dass heute jeder der Beteiligten etwas anderes sagt, wozu der Einsatz in Afghanistan eigentlich diene. Strategie ist etwas anderes. Der frühere Bundestagsabgeordnete der Grünen, Winfried Nachtwei, sprach von „Gestaltungsdefiziten“ und „Hindernissen“ und forderte, den „Rechtfertigungsdiskurs“ in Deutschland über den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan in einen „Wirksamkeitsdiskurs“ zu überführen. Ralf Schnurr vom Einsatzführungsstab des Bundesverteidigungsministeriums erklärte, es gäbe keine militärischen Zielsetzungen der Bundeswehr in Afghanistan; sie solle die politischen Vorgaben der Bundesregierung bzw. des Bundestages umsetzen und brauche dafür Unterstützung aus der deutschen Bevölkerung. Eine Reduzierung des Truppenkontingents in Afghanistan lehnte er ab. Die Truppenstärke leite sich aus der Bedrohungslage ab, und ein Abzug sei das falsche Signal. Endlich aufzuhören, das Land durch die Brille des Militärs zu sehen, war die Hauptforderung von Wolfgang Jamann von der Welthungerhilfe. Der Sonderbeauftragte für Afghanistan und Pakistan im Auswärtigen Amt, Bernd Mützelburg, meinte, das deutsche Engagement müsse raus aus der Phase der Strategiebildung und hinein in die der Umsetzung. Wir sollten uns weniger mit der Vergangenheit befassen.

Grundtenor der Konferenz war jedoch, dass man nach acht Jahren der Kriegsführung nicht so tun kann, als könne man mal eben neu anfangen. Die Bilanz des „internationalen Engagements“ in Afghanistan ist negativ. Die Sicherheitslage hat sich sichtlich verschlechtert, auch im Norden, wo die Bundeswehr stationiert ist. Das Ziel, wie es auf dem Petersberg 2001 formuliert wurde, durch ausländische Soldaten mehr Sicherheit in Afghanistan zu schaffen, wurde verfehlt. Jetzt führt die Bundeswehr dort Krieg, sagte Thomas Gebauer von medico international, weil die Chance auf Frieden verspielt wurde. Wenn die ursprüngliche Annahme war, der Militäreinsatz würde die zivile Hilfe befördern, so ist das Gegenteil der Fall. Die zivile Hilfe geriet in den Sog der Kriegsführung und wurde den militärischen Zielsetzungen untergeordnet, mit dem Ergebnis, dass die zivilen Helfer zunehmend zum Ziel von Anschlägen werden. Der grundlegende Unterschied besteht darin, dass der Militäreinsatz von „deutschen Interessen“ ausgeht, während die zivile Hilfe von den Interessen der afghanischen Bevölkerung auszugehen bemüht ist.

In der afghanischen Zivilbevölkerung gab es 2001 große Hoffnungen auf eine Besserung der Lage. Die sind getäuscht, je länger der Krieg dauert. Immer mehr Männer greifen zu den Waffen gegen die ausländischen Truppen, die als Besatzer empfunden werden, um die vielen zivilen Toten rächen zu wollen. Taliban ist nur ein Oberbegriff, der der Vielfalt des militärischen Widerstandes nicht gerecht wird. Aus der Sicht von Nichtregierungsorganisationen lautet die Bilanz: die soziale Lage in Afghanistan, vor allem im ländlichen Raum, wo mehr als 75 Prozent der Bevölkerung leben, hat sich verschlechtert. Die Menschen trauen sich nicht mehr in die Kliniken, Hilfsprogramme für Frauen werden eingestellt.

Hinzu kommt, dass die gefälschte Wahl zugunsten von Karsai die Legitimität der Kabuler Regierung weiter unterminiert hat. Dass Korruption und Vetternwirtschaft herrschen, wussten die aufgeklärten Beobachter schon seit Jahren. Insofern dient der jetzige Korruptionsdiskurs im Westen eher dazu, die Schuld an der kommenden Niederlage der afghanischen Seite zuzuschieben und die Politik des Westens davon freizusprechen. Ein Versuch jetzt müsse sein, einen breiteren politischen Diskurs in Afghanistan zu führen, der auch den Widerstand einschließt. So weit ging die Positionierung auf der Konferenz. Zu einer grundsätzlicheren Kritik an der gemachten deutschen Afghanistanpolitik, die auch die Forderung nach dem vollständigen militärischen Abzug einschließt, wollte man sich denn aber doch nicht durchringen.

* Eine kürzere Fassung dieses Textes ist erschienen in: Neues Deutschland, Berlin, 30. November 2009


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