Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Kontrollmaschine

Zurückgetretener CIA-Chef wurde Opfer eines Überwachungssystems, dem er jahrelang selbst gedient hatte

Von Knut Mellenthin *

Ein CIA-Chef mußte zurücktreten, weil die Bundespolizei in seinen E-Mails herumschnüffelte und dabei Liebesbriefe entdeckte, die er an eine Frau geschrieben hatte, die nicht mit seiner Ehegattin identisch ist. Das sei, schrieb Glenn Greenwald am Dienstag in der britischen Tageszeitung Guardian, »fast genug, um einen nicht nur glauben zu lassen, daß es einen Gott gibt, sondern daß er ein glühender Kämpfer für die Bürgerrechte ist«.

Die US-amerikanischen Dienststellen, schon früher nicht schüchtern beim Bespitzeln der Bürger, wurden nach dem 11. September 2001 von Präsident George W. Bush zum Aufbau eines gigantischen, mit modernster Technik ausgerüsteten Überwachungssystems bevollmächtigt. Barack Obama ließ die Bespitzelung sogar noch verstärken. Dana Priest und William M. Arkin schrieben am 19. Juli 2010 in der Washington Post, das Netz sei »so ausgedehnt, unhandlich und konspirativ geworden, daß niemand weiß, wieviel Geld es kostet, wie viele Menschen es beschäftigt, wie viele Programme in seinem Rahmen existieren oder welche Behörden dieselbe Arbeit machen«.

Allein die hauptsächlich mit dem Durchschnüffeln der Kommunikationssysteme befaßte National Security Agency (NSA), so die beiden Journalisten weiter, fange täglich 1,7 Milliarden E-Mails, Telefongespräche und andere Mitteilungen ab und speichere sie. Die NSA habe aber, wie andere ähnlich arbeitende US-Dienststellen auch, bei weitem nicht genug Analytiker und Übersetzer, um dieses Material wirklich zu sichten und zu bearbeiten.

Der jetzt durch eine »außereheliche Affäre« und ein unmenschliches Überwachungssystem zu Fall gebrachte David Petraeus reizt nicht gerade zum Mitleid. Bevor der damals 58jährige im September 2011 die Leitung des Auslandsgeheimdienstes CIA übernahm, war er in maßgeblichen Positionen an der Aufstandsbekämpfung im Irak und in Afghanistan beteiligt gewesen, wo er zuletzt Oberbefehlshaber aller Interventionstruppen war.

Wer glaubt, daß hinter dem Sturz von Petraeus, um den die Mainstreammedien jahrelang einen Heldenkult zelebriert hatten, verborgene politische Interessen stehen, kann für diesen Verdacht genug Stoff finden. Beispielsweise war der General im März 2010 in Verdacht geraten, kein hundertprozentig unkritisches Verhältnis zum Staat Israel zu haben, was er allerdings vehement von sich wies. Andererseits versuchten die Neokonservativen auch schon mal, Petraeus als möglichen Präsidentschaftskandidaten der Republikaner ins Spiel zu bringen.

Was bisher bekannt wurde, deutet aber darauf hin, daß der CIA-Chef nur zufällig in die gigantische Kontrollmaschine geraten war, die längst eine verheerende Eigendynamik entwickelt hat. Angeblich hatte Jill Kelley, eine Bekannte von Petraeus, anonyme Mails bedrohlichen oder beleidigenden Inhalts erhalten und deswegen einen befreundeten FBI-Agenten um Hilfe gebeten. Als Absenderin der Botschaften habe das FBI die ehemalige Elitesoldatin Paula Broadwell ausfindig gemacht und sei in deren Mailaccount auf die Liebesbriefe des Generals gestoßen.

Unterdessen sei der FBI-Agent, der den Stein ins Rollen gebracht hatte, von den Ermittlungen ausgeschlossen worden, nachdem er Kelley sexuell belästigende Mails geschickt habe. Überzeugt, daß die Bundespolizei den Fall nicht weiter verfolgen wolle, um Obama einen Gefallen zu tun, wandte sich der FBI-Mann Ende Oktober an den republikanischen Senator Eric Cantor. Dieser telefonierte sofort mit FBI-Chef Robert Mueller, der seinerseits den obersten Chef aller 16 US-Geheimdienste, John Clapper, informierte. Der habe schließlich auf Petraeus’ Rücktritt bestanden. Warum Cantor nicht einfach wenige Tage vor der Wahl selbst die Bombe platzen ließ, wurde bisher noch nicht erklärt.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 15. November 2012


Zurück zur Afghanistan-Seite

Zur Geheimdienst-Seite

Zurück zur Homepage