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Bundeswehr immer öfter im Visier

Afghanistan: Ein Toter, drei Verwundete - Politiker "betroffen", Soldaten in mieser Stimmung

Von René Heilig *

Bei einem Anschlag in Afghanistan ist am Mittwoch ein Bundeswehrsoldat ums Leben gekommen. Drei weitere Soldaten wurden verwundet.

Der Anschlag ereignete sich gegen sieben Uhr MESZ rund sechs Kilometer südwestlich von Kundus. Eine Patrouille mit acht Fahrzeugen durchquerte eine Furt, da explodierte neben einem Mercedes-Jeep - bei der Bundeswehr »Wolf« genannt - ein improvisierter Sprengsatz. Trotz Rettungsmaßnahmen erlag ein Soldat seinen Verletzungen. Die Verwundeten wurden nach der Erstversorung mit einem Hubschrauber zur medizinischen Evakuierung nach Mazar-e Sharif geflogen.

»Die Stimmung hier ist nicht toll, eher im Gegenteil.« Ein Offizier vom Fallschirmjägerbataillon 263 aus Zweibrücken zeigt sich »nicht ungerührt« vom Angriff auf seine Kameraden, denn es sei kaum drei Wochen her, da hatte es »dort unten« schon einmal Soldaten aus Zweibrücken »erwischt«.

Vor drei Wochen äußerte Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) »tiefe Betroffenheit«. Die selbe Floskel wählt nun Kanzlerin Angela Merkel. Die Attribute der Betroffenheit werden knapp. Jung blieb diesmal »tiefe persönliche Betroffenheit«. Fast routinemäßig qualifizierte er die Attacke als »hinterhältig und feige«. Er versicherte, die Bundesregierung sei weiter entschlossen, in Afghanistan für Stabilität und eine friedliche Entwicklung zu sorgen. »Das Land darf nicht wieder zurückfallen zu einem Camp des internationalen Terrorismus.«

Zum Kontingentwechsel im November sollten die Soldaten in ihre Kaserne zurückkehren. Nun geht noch mehr Angst um in den Familien, denen der Bundeswehrverband gestern Mitgefühl, Anteilnahme und Unterstützung übermittelte. Auch die Soldaten in Zweibrücken, denen man einen »Maulkorb« verpasste, fühlen sich betrogen, wenn das Verteidigungsministerium davon spricht, ihre Kameraden seien mit einem »besonders geschützten Geländewagen« unterwegs gewesen. Die »Wölfe«, so deren Nutzer, sind jedoch alles andere als »geschützt«. Nicht umsonst haben die Beschaffung wirklich geschützter Fahrzeuge sowie weitere »Maßnahmen zur Abwendung von Gefahren für Leben und Gesundheit ... einschließlich des Schutzes von Personal im Einsatz« in der Bundeswehrplanung 2009 Vorrang. Jüngst hat man einen Vertrag mit der MOWAG im Wert von 92 Millionen Mark zur Lieferung von 198 »Eagle«-Fahrzeugen unterzeichnet. Es läuft eine Option für weitere 474 »Eagles«. Doch der »hessische Verteidigungsminister« -- so ein Truppenjargon -- sieht sich noch anderen Angriffen »von innen« ausgesetzt. Angeblich verzögert er eine durch die zunehmenden Angriffe der Taliban auf deutsche Soldaten »notwendige« Verstärkung der Truppe. Er wolle, so heißt es, der Linkspartei, die den deutschen Abzug aus Afghanistan fordert, nicht noch mehr Möglichkeiten geben, um im Bayerischen Landtagswahlkampf zu punkten.

Der Bundestag entscheidet Anfang Oktober über eine Verlängerung des Afghanistan-Mandats. Die Regierung will eine Aufstockung des deutschen Kontingents von 3500 auf 4500 Mann. Auch AWACS ist im Gespräch.


Deutsche Soldaten sind immer öfter Ziel von Angriffen in Afghanistan. Seit Beginn des Einsatzes im Jahre 2002 starben bislang 27 durch Attacken oder Unfälle. Beispiele:
  • 27. August 2008: Ein deutscher Soldat stirbt bei Kundus.
  • 6. August 2008: Ein Selbstmordattentäter verletzt südlich von Kundus drei Bundeswehrsoldaten.
  • 27. März 2008: Bei einem Anschlag nahe Kundus werden zwei deutsche Soldaten schwer und einer leicht verletzt.
  • 5. Oktober 2007: Drei deutsche Soldaten und ein Dolmetscher werden angegriffen und verletzt.
  • 19. Mai 2007: Bei Kundus sterben drei Bundeswehrsoldaten und fünf afghanische Zivilisten.
  • 14. November 2005: Ein deutscher Soldat stirbt in Kabul durch einen Selbstmordattentäter.
  • 7. Juni 2003: Beim Angriff auf einen Bundeswehr-Bus kommen vier Soldaten ums Leben, 29 werden verletzt.
  • 29. Mai 2003: Bei der Explosion einer Mine südöstlich von Kabul stirbt ein Soldat, ein weiterer wird verletzt.
* Aus: Neues Deutschland, 28. August 2008



Immer mehr Zeitsoldaten wollen angeblich Dienst quittieren

28. August 2008

[ngo/ddp] Medienberichten zufolge wollen immer mehr Zeitsoldaten wegen der schwierigen Lage in Afghanistan ihren Dienst quittieren. Nach Informationen der "Rheinischen Post" verlassen rund zehn Prozent aller Offiziersanwärter die Bundeswehr bereits wieder vor dem eigentlichen Beginn ihrer Karriere. Immer häufiger werde in letzter Zeit der Afghanistan-Einsatz als eine Begründung genannt, berichtet die Zeitung aus Offizierskreisen. Die zunehmende Gefährlichkeit des Afghanistan-Einsatz ist nach Ansicht des Bundeswehrverbandes auch ein Grund für den eklatanten Bewerbermangel bei der Truppe. Der "Neuen Osnabrücker Zeitung" sagte Vizechef Ulrich Kirsch, "bei Unteroffizieren und Mannschaften ist die Zahl der Anwärter im Vergleich zum Vorjahr um über 50 Prozent gesunken". Zwar bekomme ein Soldat in Afghanistan 92,03 Euro steuerfreien Zuschlag pro Tag "aber Bezahlung ist eben nicht alles", sagte Kirsch. Der erneute Anschlag auf Bundeswehrsoldaten zeige, dass Tod und Verwundung Teil des Einsatzes am Hindukusch seien.

Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) hat dies am Donnerstag (28. August) bestritten. Dies sei "völlig falsch", sagte Jung bei einem Besuch im Zentrum Operative Information im rheinland-pfälzischen Mayen. Die "Moral" in der Truppe sei trotz des jüngsten Anschlags in Kundus gut, behauptete der Minister.

Zum Schutz der deutschen Soldaten werde das Größtmöglichste getan, betonte der Minister. So seien die in Afghanistan eingesetzten Fahrzeuge gegen ferngezündete Minen gut gesichert. Jedoch sei der Sprengsatz vom Mittwoch im Norden Afghanistans nicht elektronisch, sondern mit einem Draht ausgelöst worden.

Rühe kritisiert Darstellung des Afghanistan-Einsatzes

Nach dem schwersten Anschlag auf deutsche Soldaten in Afghanistan in diesem Jahr kritisiert der frühere Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) die Bundesregierung. Man brauche "ein ungeschminktes Bild der Lage in Afghanistan, und das hat die Bundesregierung nach meiner Einschätzung nicht vermittelt", sagte Rühe am Donnerstag auf NDR Info. Sie stelle "viel zu einseitig einen speziellen deutschen Einsatz als eine Art bewaffnete Entwicklungshilfe im Norden Afghanistans dar".

Bei einem Attentat nahe der nordafghanischen Stadt Kundus waren am Mittwoch ein Bundeswehrsoldat ums Leben gekommen und drei weitere leicht verletzt worden. Zu dem Anschlag bekannten sich die radikalislamischen Taliban, wie "Spiegel Online" unter Berufung auf ein Telefonat mit Taliban-Sprecher Zabiullah Mojaheed berichtete.

Rühe sagte, er fürchte, dass auch Nordafghanistan immer mehr zu einem Teil der kriegerischen Auseinandersetzungen werde. Er verlangte eine "konkrete Zielsetzung auch gegenüber den Afghanen, wie lange für welche Ziele genau die Bündnispartner dort tätig sind". Die NATO müsse "erreichbare Ziele setzen, die auch mit unserer eigenen Sicherheit in erster Linie verbunden sind".

Die Bundesrepublik könne darauf aber nur Einfluss nehmen, wenn sie ein "solidarischer NATO-Partner ist", fügte der CDU-Politiker hinzu. Nach seinem Eindruck habe das Wort Deutschlands in den vergangenen Jahren zu wenig Gewicht gehabt, "weil wir uns separat verhalten haben und getan haben, als ob wir eine hartbewaffnete Entwicklungshilfe im Norden durchführen, im Unterschied zu den anderen NATO-Nationen".

** Aus: Internetzeitung ngo-online; www.ngo-online.de


Moral der Truppe schwächelt

Angesichts des aussichtslosen Krieges in Afghanistan quittieren immer mehr Offiziersanwärter ihren Dienst. Zahl der Unteroffiziersbewerber halbiert

Von Ralf Wurzbacher ***


Aufgrund zunehmender Gefahren bei Auslandseinsätzen geht der Bundeswehr der Nachwuchs aus. Einen Tag nach dem Tod eines deutschen Fallschirmjägers im afghanischen Kundus berichtete die Rheinische Post (RP) vom Donnerstag von einem »regelrechten« Einbruch bei den Meldungen zum freiwilligen Dienst an der Waffe. Im Vergleich zum Vorjahr seien die Zahlen je nach Teilstreitkraft um bis zu 62 Prozent zurückgegangen, schrieb das Blatt unter Berufung auf eine interne Statistik der Truppe. Während die politisch Verantwortlichen auf das inzwischen 28. deutsche Todesopfer in Reihen der sogenannten Afghanistan-Schutztruppe mit einer Aufstockung des Kontingents reagieren wollen, ruft die Friedensbewegung anläßlich des bevorstehenden Antikriegstags am 1. September zu einem sofortigen Ende von Krieg und Besatzung auf.

Nach RP-Angaben quittieren inzwischen rund zehn Prozent aller Offiziersanwärter ihren Dienst, bevor ihre Karriere richtig begonnen hat. Immer häufiger werde dies mit der drohenden Aussicht eines Kriegseinsatzes begründet. Vor allem Bundeswehrpiloten würden nach überstandenem Einsatz vermehrt lukrative Angebote ziviler Airlines bevorzugen, erfährt man aus dem Artikel. Wegen des Aderlasses soll Luftwaffeninspekteur Generalleutnant Klaus-Peter Stieglitz sogar bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vorstellig geworden sein.

Auch dem Vizechef des Bundeswehrverbands, Ulrich Kirsch, schwant Schlimmes. Bei Unteroffizieren und Mannschaften sei die Zahl der Bewerber und Anwärter im Vorjahresvergleich um über 50 Prozent gesunken, sagte er der Neuen Osnabrücker Zeitung (Donnerstagsausgabe). Zwar bekomme ein Soldat in Afghanistan 92 Euro steuerfreien Zuschlag pro Tag, aber »Bezahlung ist eben nicht alles«, so Kirsch, dem der jüngste »hinterhältige Anschlag« zeigt, »daß Tod und Verwundung Teil des Einsatzes am Hindukusch« seien.

Wie zu erwarten war, muß der am Mittwoch (27. August) in einer Sprengfalle zu Tode gekommene Soldat des im nordafghanischen Kundus stationierten Fallschirmjäger-Bataillons 263 post mortem als Kronzeuge für die unterstellte Notwendigkeit weiterer Eskalation herhalten. Am Donnerstag meldete sich die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages, Ulrike Merten (SPD), mit der Forderung nach Entsendung von noch mehr deutschen Streitkräften zu Wort. »Auf eine Situation, die eindeutig verschärft ist, muß man mit einer Aufstockung der Kontingente antworten«, machte sie im rbb-Inforadio weis.

Hintergrund ist auch eine aktuelle Analyse der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, wonach sich die Bundeswehr »mittlerweile mit einer gut organisierten Aufstandsbewegung konfrontiert« sehe. Die Autoren bemängeln insbesondere die Versäumnisse beim Aufbau einer afghanischen Justiz. So wirft die Studie die Frage auf: Wie sollen Drogenhändler strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie »wenige Stunden nach ihrer Festnahme wieder auf freien Fuß gesetzt wurden, üblicherweise veranlaßt durch einen Anruf eines einflußreichen Politikers aus Kabul?«

Solche Details gehören für SPD-Frau Merten nicht zu der von ihr geforderten Diskussion über den Afghanistan-Einsatz, sowenig wie die Frage nach einem Ende der Besatzung. Vielmehr müsse man »den Bürgern sagen, daß dieser Einsatz gefährlich ist«, weshalb bei der Debatte wegen einer Mandatsverlängerung im Herbst über eine Verstärkung der Truppen geredet werden solle. Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) wird es freudig vernommen haben. Nach seinem Willen soll der Bundestag Mitte Oktober eine Ausweitung des Bundeswehrmandats von 3500 auf 4500 Mann beschließen.

Gegen die Pläne wollen Friedensaktivisten mit einer Großdemonstration unter dem Motto »Truppen raus aus Afghanistan« am 20. September in Berlin mobil machen. Afghanistan wird zudem ein beherrschendes Thema des Antikriegstages am 1. September mit vielfältigen Veranstaltungen in bundesweit über 130 Orten sein, zu dem der Deutsche Gewerkschaftsbund und Vertreter der Friedensbewegung aufrufen. Schon am 30. August steht eine Demonstration im rheinland-pfälzischen Büchel für den Abzug der auf dem dortigen Fliegerhorst stationierten vermutlich 20 Atombomben aus US-Beständen auf dem Programm.

*** Aus: junge Welt, 29. August 2008


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