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Ausweitung des Afghanistan-Einsatzes offenbar beschlossene Sache

Knuth Mellenthin recherchierte über die Tätigkeit der deutschen Ausbildungshelfer in Afghanistan und über die Pläne der Bundesregierung

Knut Mellenthin hat in der Tageszeitung "junge Welt" vom 25. Februar zwei Hintergrundartikel über die Tätigkeit der Bundeswehr in Afghanistan und das Verwirrspiel über die geplante Ausweitung des Einsatzes veröffentlicht. Wir dokumentieren sie zusammen mit einem kleinen Rückblick auf die Etappen der deutschen Afghanistan-Politik.



Begleitung in den Krieg

Bundeswehr trainiert Minderjährige am Hindukusch. Deutsche Ausbildungsoffiziere bei Kampfeinsätzen in Südafghanistan

Von Knut Mellenthin *

Bundeswehroffiziere »begleiten« von ihnen ausgebildete afghanische Einheiten bei Kampfeinsätzen im Süden und Südosten des Landes. Wenn die junge Welt vorliegenden Informationen stimmen, wäre es eine an der Öffentlichkeit und am Bundestag vorbeigesteuerte Geheimoperation, die dem offiziellen Mandat widerspricht. Die Quelle in Brüssel berichtet, daß einige der von deutschen Offizieren ausgebildeten Afghanen höchstens 16 Jahre alt sind. Die Umstände, unter denen solche Jugendliche für den Kriegsdienst angeheuert werden, sind den Angaben zufolge oft nicht wirklich als freiwillig zu bezeichnen. Viele Rekruten flüchten demnach schon während der Ausbildung.

Es begann Anfang Mai 2007 mit der Meldung, die Regierung in Kabul habe darum gebeten, daß 19 Bundeswehroffiziere ein von ihnen ausgebildetes Bataillon, rund 500 Mann, zum Kampfeinsatz in Kandahar begleiten sollten. Daß frisch ausgebildete afghanische Rekruten ihren allerersten Einsatz ausgerechnet in der gefährlichsten Provinz des Landes absolvieren sollten, mußte freilich Zweifel wecken, ob die angebliche Anforderung nicht in Wirklichkeit ein Manöver der USA war, um die Entsendung deutscher Soldaten in den Süden durchzusetzen.

Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung jedenfalls erteilte der Anfrage aus Kabul sofort eine deutliche Absage: Eine solche Aktion wäre keine »Nothilfe« und daher nicht durch das vom Bundestag beschlossene Mandat gedeckt, so der CDU-Politiker. Das Mandat erlaubt Einsätze außerhalb der Nordregion nur in begrenzten Ausnahmefällen. Dem Minister widersprach der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Eckhart von Klaeden: Grundsätzlich müsse die Bundeswehr auch bereit sein, von ihr ausgebildete afghanische Soldaten bei Kampfeinsätzen zu »begleiten«.

Ende Juni 2007 meldeten sich zugleich Hans-Ulrich Klose (SPD) und Karl-Theodor zu Guttenberg (CDU) mit der expliziten Forderung zu Wort, deutsche Ausbilder müßten die von ihnen betreuten Einheiten auch in andere Landesteile »begleiten«. Beide Politiker sind seit langem als Transatlantiker, also als besonders konsequente Befürworter der US-Politik, bekannt. Im Juli schlossen sich der SPD-Bundestagsabgeordnete Rainer Arnold und der frühere Generalinspekteur Klaus Naumann, ebenfalls ein Transatlantiker, dieser Forderung an. Die Bundeswehr müsse sich schließlich überzeugen, »ob sich ihre Arbeit in der Praxis bewährt«, begründete Naumann den Einsatz.

Anfang November 2007 gab es im Norden Afghanistans eine mehrtägige Militäroperation. An »Harekate Jolo I« waren insgesamt 1500 Soldaten beteiligt, darunter auch 200 Deutsche. In die vom deutschen Befehlshaber der Nordregion geleitete Aktion war auch eine Provinz der unter italenischen Kommando stehenden Westregion einbezogen. Die Bundesregierung hatte zunächst versucht, diese erste großen Offensivaktion unter deutschem Kommando vor der Öffentlichkeit geheimzuhalten. Nur aus ISAF-Kreisen sickerten wesentliche Informationen durch. Dazu gehörte die Tatsache, daß deutsche Offiziere die von ihnen ausgebildeten Afghanen bei Kampfeinsätzen »begleitet« hatten. Das sei im Rahmen des Mandats zulässig, hieß es daraufhin aus Berlin, weil sich diese Vorgänge ausschließlich in der Nordregion abgespielt hätten. In die Westregion seien die deutschen Ausbilder nicht mitgegangen.

Aus den spärlichen Informationen über die Militäroperation konnte man immerhin ein Bild gewinnen, was sich in Wirklichkeit hinter dem verschleiernden Begriff »Begleitung« verbirgt. Keineswegs geht es nur darum, daß Bundeswehroffiziere ihren afghanischen »Schützlingen« beim Kämpfen zuschauen und allenfalls dann und wann mal Ratschläge geben. Das Magazin Focus schrieb am 8. November: »Nach Angaben der NATO forderten die Soldaten für die Operation auch Luftunterstützung von Kampfjets des Bündnisses an. Da die afghanische Armee dafür gar nicht über die nötigen Funkgeräte und Fachleute verfügt, dürfte diese Anforderung von deutschen Soldaten gekommen sein. Die Bundeswehr begleitete die afghanischen Kameraden zudem mit Aufklärungsspezialisten, die gegnerischen Funkverkehr abhören oder mit Drohnen vom Typ ›Luna‹ Straßen und Geländeabschnitte überwachen können. Ob deutsche Soldaten auch in Schußwechsel verwickelt waren, wollte die Bundeswehr bislang nicht mitteilen.«

Ein verdächtiges Schweigen, das wie eine Bejahung der Frage aussieht. Bei der anscheinend von Deutschen angeforderten »Luftunterstützung« kam übrigens eine unbekannte Zahl von Zivilisten ums Leben, darunter auch Kinder, wie aus ISAF-Kreisen berichtet wurde.

Die Bundesregierung hat die Öffentlichkeit und selbst den Bundestag bisher extrem schlecht über die deutschen Militäraktivitäten in Afghanistan informiert. Erleichtert wird ihr das dadurch, daß sich die Abgeordneten, auch die der Opposition, erstaunlich wenig Mühe geben, hartnäckig und zielgerichtet Fragen zu stellen und öffentlich Aufklärung zu fordern. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Informationen über die Teilnahme deutscher Ausbilder an Kampfeinsätzen im Süden durchaus plausibel. Es stellt sich zusätzlich die Frage, ob sie dabei wirklich nur zuschauen, oder ob sie nicht in Wirklichkeit Kommandofunktionen über ihre »Schützlinge« ausüben.

* Aus: junge Welt, 25. Februar 2008


Versteckspiel um nächste Mandatserweiterung

Truppenaufstockung im Sommer: Merkel-Regierung will Afghanistan-Einsatz personell und zeitlich ausdehnen

Von Knut Mellenthin *


Regulär wäre die nächste Abstimmung über die Verlängerung des Afghanistan-Mandats der Bundeswehr erst Ende September oder Anfang Oktober fällig. Doch schon werden Pläne diskutiert, die Abstimmung auf Juni vorzuziehen und das Mandat dann gleich um 18 statt zwölf Monate zu verlängern. Auf diese Weise soll die Diskussion um das Mandat aus dem Wahljahr 2009 herausgehalten werden, heißt es ganz offen. Allein diese Begründung sagt viel aus über eine Regierung, die in Sachen Afghanistan gegen die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung agiert.

Noch vor der Mandatsverlängerung werden einer Meldung von Spiegel Online (16.2.2008) zufolge, 200 Soldaten zusätzlich entsandt, um den Stützpunkt Kunduz in der Nordregion zu verstärken. Außerdem werden 200 bis 300 Mann als »Schnelle Eingreiftruppe« nach Afghanistan geschickt. Angeblich sollen sie dort ein norwegisches Kontingent ersetzen, das demnächst abgezogen wird. Tatsache ist aber, daß Norwegen keineswegs beabsichtigt, seine Truppenzahl in Afghanistan zu reduzieren. Es gibt im Gegenteil Meldungen, daß norwegische Soldaten demnächst die Aufstandsbekämpfung in den Südprovinzen unterstützen sollen. So erweist sich die Geschichte von der erforderlichen Ablösung der Norweger als billiger Vorwand, mit dem die Bundesregierung der Öffentlichkeit eine weitere Eskalation zu verkaufen versucht. Allgemein wird davon ausgegangen, daß die zunächst im Norden stationierte deutsche Eingreiftruppe bald auch als militärische Feuerwehr in andere Landesteile geschickt wird.

Da mit diesen Verstärkungen die Obergrenze des Mandats überschritten würde, plant die Bundeswehr ein umfassendes »Outsourcing«: Privatisierung der Truppenküchen, verstärkte Beschäftigung von afghanischem Personal. Außerdem werden Möglichkeiten geprüft, das Technische Hilfswerk (THW) zur Unterstützung der Bundeswehr einzusetzen. Auf diese Weise würden Soldaten für andere Aufgaben frei, so daß die Obergrenze zunächst formal eingehalten werden könnte.

Als sicher gilt darüber hinaus, daß bei der nächsten Mandatsabstimmung im Bundestag auch eine Aufstockung der Truppenstärke und eine Ausweitung der deutschen Aufgaben beschlossen werden soll. Spiegel Online meldete am 9. Februar aus Insider-Quellen, daß die Zahl deutscher Soldaten in Afghanistan von 3500 auf 4500 erhöht werden soll. Das Einsatzgebiet – bisher nur die Nordregion und die Hauptstadt Kabul – solle um Teile der Westregion erweitert werden, für die bisher Italien zuständig ist.

Statt eindeutig zu dieser Meldung Stellung zu nehmen, verlegt sich die von Angela Merkel (CDU) geführte Bundesregierung auf dreiste Ausflüchte: Derzeit gelte das im Oktober 2007 beschlossene Erkenntnis, lautet die offizielle Sprachregelung, und über geplante Änderungen wolle man jetzt noch nicht öffentlich sprechen. Derweil äußern andere Politiker sich schon offen. Sie halte eine Aufstockung auf 4500 Soldaten für »vernünftig«, verkündete die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Ulrike Merten (SPD). Auch ihr Parteifreund Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der Fraktion, schloß sich dieser Meinung an. Am Ende wird vielleicht eine Erhöhung um 500 Mann als Kompromiß verkauft werden.

* Aus: junge Welt, 25. Februar 2008

Chronik: Schleichweg in den Afghanistan-Krieg

Dezember 2001: Der Bundestag beschließt, im Rahmen der ISAF (International Security Assistance Force) 1200 Soldaten nach Afghanistan zu schicken. Sie sollen lediglich unterstützende Polizeiaufgaben »in Kabul und Umgebung« übernehmen. Die Hauptstadt gilt zu dieser Zeit als weitgehend friedlich.

Dezember 2002: Erhöhung der Obergrenze auf 2500 Mann.

Oktober 2003: Neben dem Einsatz »in Kabul und Umgebung« übernimmt die Bundeswehr die Verantwortung für die nordafghanische Region Kunduz, zu der zunächst vier Provinzen gehören. Die deutsche Zuständigkeit wird später auf die gesamte Nordregion ausgeweitet.

September 2005: Die Obergrenze der Truppenstärke wird auf 3000 Mann angehoben. Das vom Bundestag beschlossene neue Mandat erlaubt, Bundeswehrsoldaten in allen Teilen Afghanistans, auch in den Hauptkampfgebieten des Südens und Ostens, »für zeitlich und im Umfang begrenzte Unterstützungsmaßnahmen« einzusetzen, »sofern diese Unterstützungsmaßnahmen zur Erfüllung des ISAF-Gesamtauftrages unabweisbar sind«. Die Resolution definierte zugleich, um was es sich dabei in erster Linie handeln soll: »Dies gilt insbesondere mit Blick auf die den gesamten ISAF-Verantwortungsbereich abdeckende Führungs- und Kommunikationsstruktur sowie Logistik, Sanitätsversorgung, Nachrichtengewinnung und Aufklärung.«

März 2007: Der Bundestag beschließt die Entsendung von sechs Tornado-RECCE-Aufklärungsflugzeugen. Sie sollen den Luftkrieg der NATO gegen Aufständische in allen Teilen Afghanistans unterstützen. Gleichzeitig wird die Obergrenze des deutschen Kontingents auf 3500 Mann angehoben.

Anfang Februar 2008: Die Bundesregierung bestätigt seit mehreren Wochen verbreitete Meldungen, daß etwa 250 deutsche Soldaten als »Schnelle Eingreiftruppe« nach Afghanistan geschickt werden sollen. Neben der Nordregion soll diese Einheit auf Anforderung auch für ISAF-Kampfeinsätze in anderen Landesteilen zur Verfügung gestellt werden.

[Hier geht es zu unserer umfassenden Afghanistan-Chronik]




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