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Neue Kampftaktiken für Afghanistan?

Eine Debatte im Bundestag, die nach Meinung des Regierungskoalition gar nicht hätte stattfinden dürfen


"Unerlaubte" Afghanistan-Debatte

Bundestag: Aktuelle Stunde über Einsatztruppe im Schatten der Landtagswahlen **

Zu heftigen Wortwechseln kam es am Donnerstag (24. Januar) in einer Aktuellen Stunde des Bundestags, in der über die offenbar geplante Schnelle Eingreiftruppe der Bundeswehr in Afghanistan debattiert wurde.

Schwere Vorwürfe des Populismus mussten sich Gregor Gysi und Oskar Lafontaine anhören, deren Fraktion die Debatte verlangt hatte. Allein die Tatsache, dass beide Fraktionschefs zu einem Thema auftraten, führte zum teilweise heftig vorgetragenen Verdacht, dass diese wenige Tage vor den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen »als Friedensengel noch ein paar Stimmen einfangen« wollten, wie der CSU-Abgeordnete Ernst-Reinhard Beck formulierte. Sein Fraktionskollege Bernd Schmidbauer ergänzte, kein Wähler in Hessen sei so dumm, auf die Argumente der LINKEN hereinzufallen.

Mehrfach hatte Lafontaine die Regierung aufgefordert: Ziehen Sie die Bundeswehr zurück! Diese Forderung der LINKEN sah er durch die Zahl von bereits 6000 getöteten Zivilisten wie durch Medienberichte begründet, die Exzesse von NATO-Soldaten schilderten, wonach Kinder zur Minensuche missbraucht worden sein sollen, indem Äpfel auf die verdächtigen Felder geworfen wurden.

Des Missbrauchs und der Verbreitung ungeprüfter Behauptungen wurde Lafontaine daraufhin lautstark bezichtigt. Solche Berichte dienten allein der Diskreditierung der Bundeswehr in Afghanistan, die sich an solchen Geschehnissen ohnehin niemals beteiligt hätte, wie Beck betonte. Walter Kolbow (SPD) versprach Verteidigungsminister Franz Josef Jung, nach der NATO-Truppenstellerkonferenz Anfang Februar in Vilnius werde er die SPD »bei seiner verantwortungsbewussten Entscheidung an seiner Seite sehen«. Lafontaine warf er erregt vor, Entscheidungen über Leben und Tod für Wahlkämpfe zu benutzen, »das halte ich nicht für erlaubt«.

Während Lafontaine warnte, die Bundesregierung erhöhe die Terroranschlagsgefahr in Deutschland, hielt ihr Gregor Gysi vor, die Spirale der Gewalt immer weiter anzutreiben. Ein Krieg gegen den Terror könne nicht gewonnen werden. Gysi wies zudem den Vorwurf zurück, die LINKE betreibe Wahlkampf. Es sei redlicher Wahlkampf, die Menschen zu überzeugen. Unredlich sei hingegen, dass Minister Jung die Absicht habe, die Entscheidung über den Kampfeinsatz erst nach der Wahl zu verkünden.

Als Vertreter der Regierung wies Staatssekretär Thomas Kossendey die Vorwürfe der Linksfraktion zurück. Die Bundeswehr werde in Afghanistan »weiterhin mandatskonform arbeiten«. Und: »Wer heute den Rückzug fordert, gibt grünes Licht für Rückkehr des Terrors -- das kann nicht unser Wille sein.« Kossendey räumte allerdings indirekt ein, dass die Vorwürfe von Winfried Nachtwei (Grüne) über eine mangelnde Ausbildung afghanischer Polizisten berechtigt seien. Dieser hatte seinem »Zorn« über die Beschönigungen der Bundesregierung Ausdruck verliehen und als einziger Redner außerhalb der LINKEN deutlich gemacht, dass die Sorge um den Einsatz der Eingreiftruppe »völlig berechtigt« sei.

* Aus: Neues Deutschland, 25. Januar 2008



Afghanistan-Kampfgruppe nach Hessen-Wahl

Bundestag diskutiert Ausweitung des Bundeswehreinsatzes. Kriegsgegner als "Populisten" beschimpft

Von Rüdiger Göbel **

Die Entsendung weiterer Kampftruppen der Bundeswehr nach Afghanistan ist beschlossene Sache. Offiziell bestätigen will die Bundesregierung die unpopuläre Entscheidung aber erst nach den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen am kommenden Wochenende. Mantragleich wiederholt Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU), noch stehe nichts fest. Noch gebe es keine NATO-Anfrage an Deutschland. Diese wird aber vor der Verteidigungsministerkonferenz am 7./8. Februar in Vil­nius kommen.

Im Gegensatz zur Bevölkerung unterstützt eine große Parteienkoalition im Bundestag die Ausweitung des deutschen Kriegseinsatzes am Hindukusch. Thomas Kossendey, parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium, verharmloste am Donnerstag die Entsendung der Kampftruppen. »Die, die dorthin sollen, sind eine Art militärische Feuerwehr«, sagte der CDU-Politiker. Grünen-Wehrexperte Winfried Nachtwei konstatierte, die Arbeit der Schnellen Eingreiftruppe bewege sich »im Rahmen der bisherigen ISAF-Norderfahrung«. Birgit Homburger (FDP) mahnte Ehrlichkeit an. Es handele sich bei den Aufgaben der Schnellen Eingreiftruppe um »offensive Operationen«. Die werden von den Liberalen freilich mitgetragen.

Einzig Die Linke lehnte in der aktuellen Stunde die geplante Entsendung einer »schnellen Eingreiftruppe« ab. Fraktionschef Oskar Lafontaine forderte zudem den Abzug aller Bundeswehrsoldaten aus Afghanistan, woraufhin ihm Vertreter aller Kriegsparteien »Populismus« im Zuge des Wahlkampfs vorwarfen.

Wie der Kölner Stadt-Anzeiger in seiner aktuellen Ausgabe berichtet, gibt es in den Koalitionsfraktionen Überlegungen, der NATO als Gegenleistung für die Stellung einer schnellen Eingreiftruppe die Zusicherung abzuringen, in den nächsten zwei Jahren keine Verlegung von Bundeswehrsoldaten in den hart umkämpften Süden Afghanistans einzufordern. Eine Debatte darüber wäre im Vorfeld der Bundestagswahl 2009 hinderlich.

** Aus: junge Welt, 25. Januar 2008


Afghanistan-Einsatz: Von den USA lernen ...

Neue Taktiken - erprobt in Irak - sollen nun auch am Hindukusch Erfolge ermöglichen

Von René Heilig ***


Gestern (24. Januar) forderten die Linken im Bundestag von der Regierung Detailinformationen über die beabsichtigte Bereitstellung einer schnellen Eingreiftruppe durch die Bundeswehr. Da hätten sie besser gleich bei den US-Verbündeten nachgefragt ...

Allzu lange schon hatten die USA in Irak blutige Verluste einstecken müssen. Dann kam General David Petraeus, veränderte die Taktik seiner Truppen und hat bislang Erfolge bei der sogenannten Aufstandsbekämpfung vorzuweisen. Petraeus verstärkte die Präsenz in der Fläche, errichtete Stützpunkte in Wohnvierteln, brachte darin auch irakische Soldaten unter. Fortan rückten gemischte Teams aus, um den Feind zu stellen.

Die Folge: Die Akzeptanz unter der Bevölkerung wächst, man gewinnt so mehr Informationen über die Rebellen. Gleichzeitig wird die Ausbildung der irakischen Soldaten verbessert, denn nichts schult mehr, als ein echter Einsatz. Die US-Kommandeure haben die Verbündeten unter Kontrolle und weniger eigene Verlustmeldungen zu schreiben.

Diese Taktik soll nun auch in Afghanistan gelernt werden. Das hat insbesondere Konsequenzen für die im Norden stationierte Bundeswehr. Statt sich weiter einzuigeln in Stützpunkten, aus denen ab und zu eine gepanzerte Kolonne zur Patrouillenfahrt herausgelassen wird, soll nun auch hier Angriff die beste Verteidigung sein. Bislang jedoch haben die deutschen Militärs keinerlei Erfahrungen mit gemischten Kontingenten. Das wird sich nun ändern, wenn man von Norwegen die Aufgaben einer »Quick Reaction Force« übernimmt.

Wie das funktioniert, konnten sich die deutschen ISAF-Kommandeure bei der Operation »Herekate Yolo II« anschauen. Unter dem Codenamen hatte man Ende Oktober begonnen, die in den Norden eingedrungenen Taliban und andere Widerständler aus ihren eroberten Gebieten zurückzudrängen. An den Angriffsoperationen waren 500 ISAF- und fast doppelt so viele afghanische Soldaten beteiligt. Die sollten der Operation -- getreu dem Vorbild in Irak -- ein »einheimisches Gesicht« verleihen. Und wenn das nicht reichte, waren ja noch immer US-amerikanische und norwegische hochmobile Infanterieeinheiten, eben die »Quick Reaction Forces«, präsent. Den blutigen »Rest« besorgte die NATO aus der Luft.

Deutschland agierte (noch) aus dem Hinterland. Die Bundeswehr stellte Fernmelder, Logistik-Truppen und Sanitätskapazitäten. Kommandiert wurden sie von Brigadegeneral Dieter Warnecke, der sein Hauptquartier von Mazar-i-Scharif nach Maimaneh verlegte.

Selbst wenn man dieser veränderten Taktik aus rein militärischer Sicht einiges abgewinnen kann -- der Schwachpunkt scheint die Nachhaltigkeit der Befriedung zu sein. Ohne wirtschaftlichen und sozialen Zugewinn für die Menschen in den betroffenen Regionen wird der Erfolg ein trügerischer bleiben. Einst war genau diese zivil-militärische Zusammenarbeit als Kernfunktion der Bundeswehr in Afghanistan ausgegeben worden. Doch das hat sich gewandelt.

**** Aus: Neues Deutschland, 25. Januar 2008


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