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"Bin Ladens Tod hat die Taliban geschwächt"

Vertreter der afghanischen Zivilgesellschaft zeichnen düsteres Bild von der Lage am Hindukusch

Von Aert van Riel *

Der Wiederaufbau in Afghanistan kommt kaum voran. Krieg, Drogenhandel und eine korrupte Regierung stehen ihm entgegen. Vertreter der afghanischen Zivilgesellschaft hoffen nun, dass der Tod Osama bin Ladens eine Wende bringen könnte.

»Der Tod Bin Ladens war eine gute Nachricht«, sagt Mina Wali. »Ich hoffe, wir können auch noch den Rest von dem, was er uns hinterlassen hat, ins Meer werfen. Bin Laden war für das schlechte Image verantwortlich, das Afghanistan und der Islam in der Welt haben.« Die Afghanin, die 28 Jahre ihres Lebens in den USA verbrachte und nach dem Sturz der Taliban in ihr Heimatland zurückkehrte, ist sichtlich erfreut über den Tod des Terroristen. Bedenken, dass die Liquidierung Bin Ladens durch USA-Soldaten im pakistanischen Abbottabad keineswegs rechtsstaatlichen Prinzipien entspricht, hat sie offensichtlich nicht.

Frau Wali ist dieser Tage gemeinsam mit Dr. Wadir Safi nach Europa gekommen, um Vorträge zu halten, auch an der Berliner Humboldt-Universität. Außerdem werben sie bei der EU um finanzielle Unterstützung für ihre Hilfsprojekte am Hindukusch. »Bisher haben wir auf unsere Anfragen in Brüssel jedoch nur mündliche Zusagen erhalten«, erklärt der Juraprofessor an der Universität Kabul.

Die Lehrerin Mina Wali, die nach der sowjetischen Invasion im Jahre 1979 aus Afghanistan emigrierte, ist seit fünf Jahren Vorsitzende der Nichtregierungsorganisation »Hope of Mother«, die u.a. eine Schulbildung für finanziell benachteiligte Jungen und Mädchen in ländlichen Regionen organisiert. Wadir Safi leitet ein Ausbildungszentrum, in dem Richter, Staats- und Rechtsanwälte in einjährigen Kursen auf ihre beruflichen Tätigkeiten vorbereitet werden.

Auch er begrüße grundsätzlich den Tod Bin Ladens, weil der »ein wichtiger militärischer Führer und Finanzier des islamistischen Terrorismus in unserer Region war«. Wobei man bedenken müsse, dass der Islam grundsätzlich keine terroristische Religion sei. Bin Laden sei sehr wichtig für die Kriegstaktiken von Taliban und Al Qaida gewesen. Aber mit schnellen positiven Veränderungen in Afghanistan rechnet Safi nicht. Zunächst könne es vielmehr zu Vergeltungsschlägen der Taliban kommen. »Doch die werden hoffentlich bis zum Ende dieses Jahres merklich immer schwächer werden.«

Insgesamt zeichnen die afghanischen Aktivisten ein düsteres Bild von der Lage in ihrem Land, wo kein Ende des Konflikts in Sicht ist. Doch nicht nur der Krieg macht Afghanistan zu schaffen. »Seit dem Sturz der Taliban vor neun Jahren im Zuge der ausländischen Intervention ist für den Demokratisierungsprozess einfach zu wenig getan worden. Auch die internationale Gemeinschaft hat nicht genügend Impulse gesetzt«, kritisiert Safi. Zudem gebe es in der Regierung und in der Wirtschaft noch immer sehr viel Korruption, was auch an den niedrigen Gehältern liege. Von einem Rechtsstaat könne keine Rede sein. »Polizei und Armee sind noch immer zu schwach, um die Sicherheit gewährleisten zu können. Dazu müssen sie noch ausgebildet werden«, sagt Safi.

Eher vertrauen Wadir Safi und Mina Wali der Stärke der NATO-Streitkräfte in Afghanistan, obwohl diese durch ihre Operationen zahlreiche zivile Opfer auf dem Gewissen haben. Doch die Militärpräsenz bringe ihr Zuversicht, dass die Arbeit ihrer Nichtregierungsorganisation geschützt werde, erklärt Wali. Dies sei die einzige Sicherheit, die Afghanen derzeit hätten. Für Forderungen nach einem schnellen Abzug, weil das einst von USA-Präsident Bush vorgegebene Kriegsziel – das Ende Bin Ladens – nun erreicht sei, zeigt sie kein Verständnis.

Safi ist der Überzeugung, dass die deutschen Soldaten die einzigen Ausländer im Land seien, mit denen die Afghanen derzeit wirklich zufrieden sind. Er führt dies auch auf die historisch guten Beziehungen zwischen Deutschland und Afghanistan seit dem Zweiten Weltkrieg zurück. Dass jedoch allein durch militärische Aktionen der Frieden in Afghanistan erzwungen werden könne, glaubt Safi nicht. Wichtig sei, dass beim Friedensprozess alle Bevölkerungsgruppen des multiethnischen Afghanistans einbezogen werden. »Verhandlungen mit den Taliban sind nötig, um den kriegerischen Konflikt zu beenden. Das weiß auch die Gegenseite, und deswegen muss es irgendwann dazu kommen.« Eine gute Voraussetzung dafür sei die Schwächung der Taliban durch den Tod ihres Unterstützers Bin Laden.

* Aus: Neues Deutschland, 10. Mai 2011


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