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Die Phasen des Krieges: Afghanistan, Irak, Iran und Israel

Von Phyllis Bennis *

Die USA sind seit elf Jahren in ihrem gegenwärtigen Krieg in Afghanistan und immer noch dabei ihn zu verlieren. Wir hatten niemals eine Chance diesen Rachefeldzug zu „gewinnen“ – und während wenige Leute in Washington bereit sind, das zuzugeben, sind sie fortgesetzt dabei zu revidieren und neu zu definieren wie ein „gewinnen“ aussehen könnte.

Es sieht gewiss nicht so aus, wie das was wir gegenwärtig in Afghanistan beobachten. Eine verantwortungslose, korrupte, inkompetente Regierung, am Leben und im Amt gehalten ( von „an der Macht“ können wir nicht wirklich sprechen, weil sich die nicht weit über Kabul hinaus erstreckt ) durch Milliarden Dollars amerikanischer Steuerzahler und zehntausenden von U.S.- und verbündeten Truppen, die die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung eskaliert statt sie zu reduzieren. Es gibt immer häufigere und immer mehr tödliche Vorfälle durch außer Kontrolle geratene U.S.-Truppen, vom Verbrennen von Koranexemplaren über das Urinieren auf die Körper toter Afghanen bis zum neuesten Kriegsverbrechen, der Ermordung von 17 Zivilisten, darunter neun Kinder, in der Provinz Kandahar.

Es ist auch keine Überraschung, dass die Zahl der afghanischen Soldaten, die ihre Gewehre auf ihre U.S.- und NATO-„Ausbilder“ richten, ebenfalls ansteigt. Fox News berichtet, dass „ U.S.-Truppen in Afghanistan mittlerweile weitreichende neue Schutzmaßnahmen gegen Schurken-Killer unter ihren afghanischen Verbündeten getroffen haben, einschließlich zugeteilter „Schutzengel“ , aus der eigenen Truppe, die während ihres Schlafs über sie wachen… In mehreren afghanischen Ministerien wird Amerikanern erlaubt, Waffen zu tragen. Und sie sind instruiert worden, ihre Bürotische so umzustellen, dass sie auf die Tür gerichtet sind, damit man sehen könne, wer eintritt, sagte der Offizielle.“ Um meinen Kollegen Steve Burns am Wisconsin Network for Peace & Justice frei zu zitieren: Werden hier die Liegestühle auf der Titanic ausgetauscht, oder was? (U.S.-Redewendung für eine völlig überflüssige Maßnahme; d. Übers.)

Die Phasen des Krieges

Ich war vor ein paar Tagen auf einer Konferenz mit dem großen anti-kriegs Militärforscher Anrew Bacevich. Er beschrieb dass Kriege, wie der in Afghanistan, in Phasen ablaufen : Kapitel 1 ist die Befreiung – oder in diesem Fall die Beherrschung, da die Befreiung unterlag. Kapitel 2 ist die Aufstandsbekämpfung, und auch die gelang nicht besonders gut. Kapitel 3, sagte er, ging über in gezielte Tötungen, den Drohnen-Krieg und weit darüber Hinausgehendes ( in der Tat, WEIT über Afghanistan hinaus ). Bacevich erinnerte uns auch daran, dass Kriege nicht dann enden, wenn eine Seite sich zum Sieger erklärt – sie enden wenn der Unterlegene zugibt, dass er verloren hat. Dieser Sachverhalt spricht Bände über das gegenwärtige U.S.- Interesse an Verhandlungen mit den Taliban zur Beendigung des Krieges – und auch was ein Gesicht Wahren Washingtons damit zu tun haben könnte.

Das Töten von U.S.-Soldaten durch ihre angeblichen Verbündeten im afghanischen Militär machte in diesem Jahr 20 Prozent der U.S.-Gefallenen aus. Eigenartigerweise hören wir allerdings nie, dass der afghanische Soldat, der seine Waffe auf einen U.S.-Soldat richtet, ausflippte – dass er vielleicht unter einer Posttraumatischem Belastungsstörung litt (PTBS), dass er vielleicht deshalb so aufgebracht war, weil er sah, wie seine kleine Tochter in der Nacht zuvor bei einem Drohnenangriff getötet wurde und er die Kontrolle über sich verlor. Nein, wir hören lediglich, dass „die Taliban die afghanische Armee oder Polizei infiltriert haben müssen“. PTBS existiert anscheinend nur für Soldaten auf unserer Seite. Nur gibt es leider eine UN-unterstützte Untersuchung aus dem Jahr 2009, in der das afghanische Gesundheitsministerium schätzte, dass 66 Prozent – volle zwei Drittel – der afghanischen Bevölkerung, an verschiedensten psychischen Krankheiten litte, die meisten davon durch Stress verursacht, inklusive PTBS.

Es wird sehr viel über Sergeant Robert Bales gesprochen, den vermutlichen Täter in den Dörfern in Kandahar, und ob er unter PTSD oder anderen Beeinträchtigungen litt. Und wir sind zu Recht besorgt über die immer noch inadäquate Behandlung von U.S.-Veteranen nach ihrer Rückkehr nach Hause – Soldaten können gleichzeitig Opfer und Kriegsverbrecher sein. (Die „Irak-Veteranen gegen den Krieg“ haben ihre „Operation Genesung“–Kampagne zur Verteidigung des Rechts eines Soldaten auf Heilung vor einem erneuten Einsatz mobilisiert – eine Kampagne, die damit dem Pentagon den Zugriff auf diese jungen Kämpfer für illegale Kriege verweigert.) Aber wir sollten nicht vergessen, dass jene zwei Drittel der Afghanen – das sind etwa 20 Millionen Menschen – mit PTBS und anderen psychischen Krankheiten konfrontiert sind bei nur 42 (!) praktizierenden Psychiatern und Psychologen im ganzen Land. Ich habe über diese Situation letzte Woche in der The Diane Rehm Show von NPR gesprochen, wie auch über die möglichen Konsequenzen für die U.S.-Politik und Entscheidungen über ein Beenden des Kriegs in Afghanistan

Kriegsverbrechen und die Öffentlichkeit

Das am kürzesten zurückliegende U.S.-Kriegsverbrechen in Afghanistan, die Ermordung von 17 Menschen in den Dörfern Balandi und Alkozai in der Provinz Kandahar mag seinen Teil dazu beigetragen haben für den wachsenden Anstieg der Opposition in der Öffentlichkeit gegen den Krieg. Am 26.März berichtete die New York Times, dass 69 Prozent der Menschen in den USA meinen, wir sollten nicht Krieg führen in Afghanistan – dass sind 16 Prozent mehr als vor gerade einmal vier Monaten. Das ist gewaltig.

Wir wissen, wie schwierig es über die Jahre gewesen ist, die öffentliche Meinung über Afghanistan zu verändern. Als die USA am 7. Oktober 2001 begannen Afghanistan zu bombardieren, wurde das von 88 Prozent der Amerikaner unterstützt. Es war der „gute Krieg“. Präsident Obama sagte, Irak wäre der „dumme“ Krieg, aber innerhalb von Wochen nach seiner Amtseinführung schickte er 22.000 zusätzliche Truppen nach Afghanistan, bereits vor dem Beginn von Diskussionen auf höchster Ebene über die Zukunft diese Krieges. Und dann, natürlich, schickte er eine weitere Welle von 30.000 Soldaten noch im selben Jahr.

Die Frage ist nun, wie man diesen Wandel in der öffentlichen Meinung in einen Politikwandel umsetzen kann. Wir wissen vom Irak-Krieg, wie schwierig das ist. Die Ablehnung des Kriegs im Irak lag in jenen Jahren bei bis zu 69 Prozent - und doch sehen wir erst jetzt so etwas wie ein Ende des größten Teils des direkten militärischen U.S.-Engagements im Irak. (Noch kein vollständiges Ende, natürlich, aber doch sicherlich ein Sieg für die Anti-Kriegsbewegung hier, im Irak und überall in der Welt.)

Der Krieg im Irak – Neun Jahre in Gang und beinahe am Ende

Letzte Woche war der neunjährige Jahrestag dieses Krieges. Und ein Rückblick zeigt klarer als jemals zuvor, dass es den USA nicht gelang, irgendeines ihrer Ziele zu erreichen. Ich spreche hier nicht über die verlogenen Ziele, die vorgeblichen Ziele, Massenvernichtungswaffen zu finden oder dem Irak die Demokratie zu bringen. Ich meine die wirklichen Ziele, die die hundert tausende von U.S.-Truppen und die gleiche Zahl von vom Pentagon bezahlten Söldnern über so viele Jahre im Irak gehalten haben:
  • Die Konsolidierung der U.S.-Kontrolle über irakisches Öl – nee, die U.S.-Ölgesellschaften sind doch nur einige unter vielen von Myriaden von ausländischen Interessen in den irakischen Ölfeldern.
  • Das Hinterlassen einer pro-U.S.-Regierung in Bagdad – wohl kaum, Premierministet Maliki hat ein sehr unterkühltes Verhältnis zu jedem in Washington
  • Durchgehender Zutritt zu U.S.-Militärstützpunkten in ganz Irak – noch nicht einmal annähernd, jeder einzelne der mehreren hundert Stützpunkte wurde entweder geschlossen oder der irakischen Regierung übergeben; selbst das gigantische 5.000-Personen Botschaftsgebäude, das größte der Welt, musste verkleinert werden, als der Irak eine Immunitätsgarantie für ausreichend starke U.S.-Truppen zu dessen Schutz verweigerte.
  • Schaffen einer Regierung und eines Militärapparates, der sich den USA gegenüber stärker verpflichtet sieht als dem Iran –oh, oh ; es sieht s aus als ob wir auch das vermasselt haben; trotz Milliarden von unseren Steuergeldern zur Stützung Bagdads ist die Regierung dort stärker mit dem Iran liiert als mit den USA.
Also haben die USA im Irak ebenfalls verloren. Irak ist nicht „befreit“, Gewalt ist ungezügelt, der religiöse Konflikt, ein Resultat früherer U.S.-Politik nach der Invasion 2003, wächst weiter an. Und U.S.-bezahlte Vertragsbevollmächtigte ( bezahlt in diesem Fall vom Außenministerium an Stelle des Pentagon, ein technischer Unterschied ) halten sich noch dort auf, tausende von ihnen. Was nicht dort ist, bisher jedenfalls, ist ein einziger Dollar für Reparationen und Kompensationen. Dies ist die vor uns liegendeAufgabe. Der U.S.-Krieg im Irak mag vorbei sein, aber unsere Verpflichtungen sind es nicht.

Das Washington Peace Center veranstaltete eine wunderbare Gedenkveranstaltung zum Jahrestag in der Nacht des 19. März, mit Veteranen sowohl des Kriegs wie der Anti-Kriegs-Auseinandersetzungen, die sich gegenseitig Geschichten erzählten, darüber wie der Krieg selbst und die Anti-Kriegs-Demonstrationen, die ihn zu stoppen versuchten, sie beeinflussten. Andy Shallal und ich sprachen darüber, womit wir heute konfrontiert sind, wobei Andy den Fokus legte auf die Auswirkungen der fortdauernden Krise auf das Leben der einfachen Iraker und ich darüber sprach, warum ich glaube, dass das Ende des Krieges, wie holprig und zerrissen es auch noch ist, doch wirklich ein Sieg für unsere globale Bewegung darstellt, sowie was den Irak-Krieg unterscheidet von der sich heraufziehenden Bedrohung eines neuen Kriegs gegen den Iran.

Iran: Ein neuer Krieg im Anzug ?

Diese Bedrohung ist noch nicht vorüber. Der große Unterschied dieses Mal besteht darin, dass die Personen an den Schalthebeln der Macht, im Weißen Haus, dem Pentagon, in allen U.S.-Geheimdienst Büros, selbst bei den meisten Sicherheits- und Geheimdienst-Verantwortlichen in Israel sich alle einig sind, dass
  1. der Iran keine Nuklearwaffen besitzt;
  2. der Iran gegenwärtig keine Nuklearwaffen baut;
  3. Der Iran noch nicht einmal die Entscheidung gefällt hat, ob derartige Waffen in der Zukunft gebaut werden sollen.
Und doch steigt das Risiko eines Krieges „gegen iranische Nuklearwaffen“ ständig an.

Diese Mal geht es aber um Israel

Der israelische Premier Netanjahu versschärft ständig seine Rhetorik und die Drohungen gegen den Iran, wohl wissend, dass in einem Wahljahr die Wahrscheinlichkeit praktisch gegen Null geht, dass ein U.S.-Präsident oder -Kongress sich weigern würde, einen israelischen Militärschlag, egal wie gefährlich , zu unterstützen bzw. daran teilzunehmen. Was gewinnt Israel aber damit ? ( Tipp : es ist nicht die Sicherheit vor irgendeiner „existentiellen“ Bedrohung). Israel kann sein Nuklearwaffen Monopol im Nahen/Mittleren Osten behaupten – der Verlust diese Monopols ist die wirkliche Gefahr, die israelische Offizielle umtreibt. Und genau deshalb ist der Ruf nach einer Nuklearwaffenfreien Zone in dieser Region so wichtig – um sicherzustellen, dass niemand dort über Nuklearwaffen verfügt. Das schließt sicherlich den Iran ein, der über keine verfügt und auch keine zu bauen versucht. Und es würde Israel einbeziehen, dessen nicht überwachtes und eingestandenes Arsenal von 200-400 Atombomben weiterhin die Hauptursache für das Wettrüsten in diesem waffenstarrenden Teil der Welt darstellt.

Es trifft ebenfalls zu, dass Netanjahu sich unbedingt einen anderen Präsidenten nächstes Jahr im Weißen Haus wünscht. Trotz Obamas bisheriger real praktizierterPolitik der Gewährung von mehr Militärhilfe an Israel, größerem Schutz in der UNO, engeren militärischen Verbindungen und weniger Konsequenzen für das Erweitern der Siedlungen als beinahe jeder andere Präsident, weiß Netanjahu, das jeder Republikaner im Weißen Haus ein noch größeres Geschenk für Tel Aviv sein würde. Was bedeutet, dass nur Israel und AIPAC, der mächtigste Teil der pro-Israel Lobbyisten, der heute die äußersten rechten extremistischen Kräfte der israelischen Politik repräsentiert, davon profitieren würde.

Ach so, noch ganz nebenbei bemerkt: Gibt es jemanden der glaubt, dass, so lange wie Israel die "Wir-sehen-uns-einer-existenziellen-Gefahr-gegenüber"-Karte spielen kann, irgendjemand in Washington es auch nur in Erwägung ziehen könnte, Druck auf Tel Aviv auszuüben, seine Besatzungs- und Apartheid-Politik gegenüber den Palästinensern zu beenden? Eure Karten auf den Tisch, bitte…

Ich habe über diese Dinge in letzter Zeit sehr viel gesprochen, inklusive beim Occupy AIPAC Teach-in, das parallel zur Jahresversammlung von AIPAC stattfand. (Mein Beitrag in Salon.com war überschrieben mit: "Obama goes to AIPAC: A Scorecard".) Meine Einschätzung ist, dass trotz der feigen Reden und Willfährigkeit gegenüber AIPAC seitens Obamas und einiger Kongressabgeordneter Netanjahu Washington verließ, ohne sein Hauptziel erreicht zu haben: eine unzweideutige U.S. Verpflichtung zur Unterstützung des Kriegs im Iran. Bisher hat also die Rationalität sich behauptet; die Gefahr ist, die Rationalität von heute kann bereits morgen zertrümmert werden vom Amok laufenden Extremismus. Ich habe über die Obama-Netanjahu Gefahren in The Real News gesprochen, es ist eine Angst einflößende Geschichte.

Wer will keinen Krieg mit dem Iran?

Einige der hilfreichsten Mittel zur Mobilisierung der Opposition gegen den Krieg in Iran kommen aus den Äußerungen von höchsten Offiziellen der USA und Israel selbst:
  • Verteidigungsminister Leon Panetta stellte und beantwortete seine eigene Iran-Frage :“ Sind sie dabei eine Atombombe zu entwickeln ? Nein.“
  • James Clapper, Direktor der National Intelligence gab zu, dass die USA nicht einmal wisse, „ob der Iran in der Zukunft entscheiden wird, Nuklearwaffen zu bauen.“
  • Die letzte Einschätzung von National Intelligence von 2011 stellt fest, dass es keine neuen Beweise gibt, die die Schlussfolgerungen von 2007 widerlegen; Iran hat immer noch kein Nuklearwaffen Pro-gramm am Laufen.
  • Laut The Independent „ ist nahezu die gesamte höchste Ebene des israelischen Militär- und Geheim-dienst-Establishments in Sorge vor einem verfrühten Angriff auf den Iran und besorgt über die möglichen Auswirkungen.“
Gefahren bestehen aber weiter. Die Lage in Syrien bleibt katastrophal – Ich habe mit Voice of America darüber gesprochen, wie gefährlich es sein würde, die U.S.-NATO-Kampagne nach dem Muster Libyens zu wiederholen, mit Bewaffnung der Opposition und einer weiteren Militarisierung der Lage. Danach sieht es im Moment auch nicht aus, aber die Widerstandbewegung in Syrien sieht sich immer noch mit riesigen Herausforderungen konfrontiert, die durch eine Militarisierung noch schwieriger werden.

(April, 2012)

* Phyllis Bennis ist "Fellow" (Forschungsstipendiatin) am Institut für Politikwissenschaft (Institute for Policy Studies) in Washington DC - dort ist sie Direktorin des "New Internationalism Project" - und am Transnationalen Institut (Transnational Institute) in Amsterdam. Sie ist Expertin für die US-Außenpolitik insbesondere mit Bezug auf den Nahen und Mittleren Osten. Zehn Jahre lang arbeitete sie als Journalstin für die UNO, für die sie heute noch als Beraterin tätig ist. Eines ihrer letzten Bücher befasst sich mit dem US-geführten "Krieg gegen den Terrorismus": "Before & After: US Foreign Policy and the War on Terrorism".

Originalbeitrag: The Phases of War: Afghanistan, Iraq, Iran, and Israel. In: Transnational Institute; www.tni.org



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