Taliban auf dem Bonner Petersberg
Weniger deutsche Soldaten nach Afghanistan. Islamisten sollen an Konferenz teilnehmen
Von Sebastian Carlens *
Die Bundesregierung will im kommenden Jahr weniger Soldaten nach Afghanistan schicken. Laut einem Brief des Außenministers Guido Westerwelle (FDP) und Verteidigungsministers Thomas de Maizière (CDU) an die Fraktionsvorsitzenden im Bundestag soll das Bundeswehr-Kontingent von derzeit 5350 Einsatzkräften bis zum Ende des jetzigen Mandats Ende Januar 2012 auf 4400 Soldaten verringert werden. Dies berichtete die Nachrichtenagentur dapd am Donnerstag. Erst im Februar war eine Aufstockung des deutschen Kontingents auf 5350 Soldaten vom Bundestag beschlossen worden.
An der zweiten Afghanistan-Konferenz, die am 5. Dezember in Bonn tagen soll, werden laut Michael Steiner, Sonderbeauftragter der Bundesregierung für Afghanistan und Pakistan, voraussichtlich auch Taliban teilnehmen. Steiner habe während der Sitzung des Verteidigungsausschusses am Mittwoch erklärt, es werde sich um »gemäßigte Taliban« handeln, berichtete die in Halle erscheinende Onlineausgabe der Mitteldeutschen Zeitung. Die zweite Bonner Afghanistan-Konferenz soll die Zukunft des zentralasiatischen Landes nach dem für 2014 geplanten Abzug der westlichen Truppen erörtern. Vom ursprünglichen Ziel einer Demokratisierung des Landes ist die westliche Allianz zehn Jahre nach dem Einmarsch abgerückt.
Die Interessen der Zivilgesellschaft müßten im Vordergrund eines zukünftigen westlichen Afghanistan-Engagements stehen, verlangten der Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen (VENRO), das europäische Afghanistan-Netzwerk ENNA sowie 18 internationale Organisationen am Donnerstag in Berlin. Die afghanische Gesellschaft müsse das Schicksal ihres Landes in eigene Hände nehmen. Der VENRO-Vorstandsvorsitzende Ulrich Post plädierte für die Trennung militärischer und ziviler Aktivitäten: »Wenn wir mit der Bundeswehr zusammengearbeitet hätten, wären wir jetzt verbrannt und könnten 2014 gemeinsam abziehen.«
* Aus: junge Welt, 11. November 2011
Dokumentiert: Die amtliche Stellungnahme der Bundesregierung:
"Der Scheitelpunkt wird erreicht"
Die Bundesregierung will die Zahl deutscher Soldaten in Afghanistan reduzieren. Dies haben Außenminister Guido Westerwelle und Verteidigungsminister Thomas de Maiziere in einem Brief an die Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen mitgeteilt.
Nach den Plänen der Bundesregierung soll das deutsche Bundeswehrkontingent, das im Rahmen der Internationalen Schutztruppe in Afghanistan (ISAF) eingesetzt ist, zum Beginn des nächsten Mandatszeitraums im Februar 2012 von derzeit maximal 5350 auf eine Stärke von 4900 Soldaten zurückgeführt werden. Im Einklang mit der Entwicklung der Sicherheitslage vor Ort ist dann eine weitere Rückführung auf 4.400 Soldaten bis zum Ende des Mandatszeitraums Anfang 2013 vorgesehen.
Mit dieser schrittweisen Rückführung soll gewährleistet werden, dass die Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die Afghanen nachhaltig erfolgt. Der Schwerpunkt des deutschen militärischen Engagements liegt weiterhin beim Schutz der afghanischen Bevölkerung und der Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte. Bis Ende 2014 sollen alle internationalen Kampftruppen aus Afghanistan abziehen.
Verantwortliche Reduzierung der Truppenstärke
In einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung sagte Außenminister Guido Westerwelle am 11. November: "Die Übergabe der Sicherheitsverantwortung an Afghanistan geht voran. Der Scheitelpunkt unseres Engagements wird erreicht." Dem Deutschen Bundestag werde in Kürze ein Mandat vorgelegt, dass "zum ersten Mal eine verantwortliche Reduzierung der Truppenstärke" vorsehe.
Nach der Internationalen Afghanistan-Konferenz in Bonn am 5. Dezember wird die Bundesregierung dem Bundestag ferner einen weiteren "Forschrittsbericht" über die Entwicklungen in Afghanistan und das internationale Engagement im Land zuleiten.
** Quelle: Website des Auswärtigen Amts, www.auswaertiges-amt.de
Viel Wind um eine Luftnummer
Bundesregierung will Afghanistan-Bundeswehrkontingent verkleinern – vor allem medial
Von René Heilig ***
Mit viel medialem Widerhall wurden
Überlegungen zu einer im kommenden
Jahr eventuell möglichen Verringerung
der deutschen Truppen in Afghanistan
angekündigt. Viel Wind also
um eine Luftnummer.
In einem gemeinsamen Schreiben
von Außenminister Guido Westerwelle
(FDP) und Verteidigungsminister
Thomas de Maizière (CDU),
der seine Handschrift bis zum eingefügten
Datum erkennen lässt,
informieren die beiden den Verteidigungsausschuss
des Parlaments
»über Überlegungen ... für
die Weiterentwicklung unseres
militärischen Engagements in Afghanistan
«. Überraschend viele
Soldaten werden zu Jahresbeginn
allerdings nicht ihre Sachen packen.
Derzeit sind 5194 Bundeswehrsoldaten
in Afghanistan und
der zugehörigen Versorgungsbasis
in Usbekistan. Die aktuelle Mandatsobergrenze
liegt derzeit bei
5000 Soldaten plus einer Reserve
von 350 Militärangehörigen.
2014 sollen alle ausländischen
Kampfgruppen aus Afghanistan
raus sein. Die angedeutete Verkleinerung
des Bundeswehr-Kontingents
sieht für Anfang 2012 eine
Mandatsobergrenze von 4900
Soldaten vor. In den folgenden
zwölf Monaten sollen weitere 500
Soldaten abgezogen werden. Das
zu erreichen ist ohne große Probleme
möglich. Zunächst verzichtet
man auf die Reserve, die auch in
Zeiten heftiger Gefechte nicht gerufen
wurde. Sie war ohnehin nur
symbolisch gemeint, um US-Forderungen
nach einem größeren
Engagement zu begegnen.
Der zweite Trick betrifft die
derzeit 99 AWACS-Spezialisten.
Weil Deutschland sich nicht unmittelbar
am Libyen-Krieg der
NATO beteiligen wollte, mussten
die dafür benötigen AWACS-Aufklärungs-
und Kommandomaschinen
ohne deutsche Besatzungsmitglieder
auskommen. Als
Entschädigung übernahm man
mehr AWACS-Aufgaben in Afghanistan.
Nun ist der Libyen-Feldzug
vorbei, es kann also wieder
AWACS-Normalität über Afghanistan
einziehen.
Zudem ziehen auch andere
Staaten Soldaten ab. Auch aus dem
Norden. Entsprechend geringer
wird der Aufwand, den die dort
kommandoführende Bundeswehr
als Dienstleister- und Logistiktruppe
zu erbringen hat.
Spannend wird die Frage, ob
Sicherheitslage und Übergabe der
Verantwortung an die Kabuler-Sicherheitskräfte
im Laufe des
nächsten Jahres einen Abbau von
weiteren 500 Soldaten möglich
machen. Falls man wirklich ein
Ausbildungs- und Schutzbataillon,
also echte Kampftruppen abziehen
will, kompensiert man das möglicherweise
durch andere Einheiten.
Im Gespräch ist beispielsweise
die Entsendung von »Tiger«-
Kampf-Helikoptern. Nicht vergessen
werden sollte die intensive Arbeit
deutscher Polizisten bei der
Ausbildung afghanischer Kollegen.
Derzeit sind 200 deutsche Beamte
im afghanischen Außendienst.
Insgesamt also bleibt gültig,
was bei einer Konferenz in Berlin
vor zwei Wochen zu hören war.
Da warnte de Maizière, es dürfe
keine ȟbertriebene Verkleinerung
« des Kontingents nur aus
»politischer Symbolik« geben.
*** Aus: neues deutschland, 12. November 2011
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