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US-Abzug aus Afghanistan fraglich

Oberbefehlshaber: Nichts überstürzen

Der neue US-amerikanische Kommandeur in Afghanistan, David Petraeus, hat vor einem zu schnellen Truppenabzug gewarnt. Man dürfe nichts überstürzen, sonst riskiere man ein Scheitern, sagte der General der »Washington Post«.

Der Kampf gegen die Taliban sei zäh und von einem ständigen »Auf und Ab« geprägt. Daher sei es viel zu früh, um abschätzen zu können, wann der Krieg endgültig zum Erfolg führen werde, erläuterte der Oberbefehlshaber der US- und NATO-Truppen im Fernsehsender NBC. »Wir machen alles, was wir können, um so schnell wie möglich Fortschritte zu erzielen.«

Der von Präsident Barack Obama genannte Termin für den Abzug erster US-Soldaten im Juli 2011 sei deshalb seiner Meinung nach nicht in Stein gemeißelt. »Ich glaube, der Präsident hat klar gemacht, dass es sich um einen Prozess handeln wird, nicht um ein Ereignis, und dass dieser Prozess von den Rahmenbedingungen abhängen wird«, so Petraeus. Eine dieser Bedingungen: Afghanistan dürfe nie wieder ein sicherer Stützpunkt für Terroristen werden.

In Nordafghanistan ist am Montag (16. Aug.) eine Patrouille der Bundeswehr mit einem versteckten Sprengsatz angegriffen worden. Es habe keine Verletzten unter den Soldaten gegeben. Ein Bundeswehrfahrzeug vom Typ Dingo sei beschädigt worden.

* Aus: Neues Deutschland, 17. August 2010


Terminfragen

Von Olaf Standke **

War das etwa der Abschied vom angekündigten Abzug, wie manche orakeln? In seinem ersten Interview auf neuem Posten stellte der Afghanistan-Kommandeur der NATO Petraeus den von US-Präsident Obama für Juli nächsten Jahres angekündigten Truppenabbau in Frage. Seine Formel: Das Ganze sei ein Prozess, kein Ereignis und an Bedingungen gebunden. Mithin müsse man beim Termin flexibel sein. Stolpert Obama also schon ein paar Wochen nach Ablösung des unbotmäßigen Vorgängers McChrystal vom Regen in die Traufe? Schließlich sollte der zum Heilsbringer am Hindukusch verklärte General die Strategie des Weißen Hauses retten.

Pentagon-Chef Gates beeilte sich dann auch zu erklären, dass am Abzugsbeginn in einem Jahr kein Zweifel bestehe. Wie lange der sich hinziehen wird, ließ er aber offen. Dagegen spekulierte Gates darüber, dass man vielleicht schon im Frühjahr mit der Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die Afghanen beginnen könne - zunächst in »weniger gewaltsamen Gebieten«. Nur werden die immer rarer. Mit 66 getöteten Soldaten war der Juli der bislang blutigste Monat für die US-Truppen in Afghanistan. Seit Beginn der Invasion vor neun Jahren sind es über 1200. So viele Zivilisten wurden allein in den ersten sechs Monaten dieses Jahres Opfer des Krieges, der auch in den USA immer unpopulärer wird und derzeit so wenig Unterstützung wie nie zuvor erfährt. Was noch manchen Zeitplan ins Wanken bringen könnte.

** Aus: Neues Deutschland, 17. August 2010 (Kommentar)


No-Win-Situation

Petraeus will länger Krieg führen

Von Werner Pirker ***


Der Afghanistan-Krieg wird aller Voraussicht nach länger dauern, als es den westlichen Kriegsherren recht ist. Er dauert ohnedies schon viel zu lang. Abgesehen davon, daß er nie hätte begonnen werden dürfen. Die militärische Intervention am Hindukusch ist Teil der Bemühungen der westlichen Hegemonialmächte, die Welt nach ihren Vorstellungen dauerhaft zu ordnen. Das stellt sich als wesentlich schwieriger heraus als ursprünglich angenommen. Vor allem die Afghanen sind alles andere als der erwartete leichte Gegner. Was als die leichteste Aufgabe betrachtet wurde, erweist sich als die schwerste. Die Interventen hätten es eigentlich wissen müssen. Denn bisher haben die Afghanen noch allen »Verlockungen« des Auslands, sie in eine lichte Zukunft zu führen, widerstanden.

2001 begann der Krieg am Hindukusch. 2011 sollte er nach den Vorstellungen von US-Präsident Barack Obama zu Ende gehen. Nun hat der amerikanische Afghanistan-Kommandeur der NATO, David Petraeus den für Juli 2011 terminierten Abzug als »nicht zwingend« bezeichnet. Es handle sich um kein Ereignis, sondern um einen Prozeß, sagte er. Der US-General befürchtet also, daß die Afghanistan-Mission des Westens bis Mitte nächsten Jahres noch nicht erfüllt sein wird. Bis zu diesem Zeitpunkt hätten die mit den Besatzern kollaborierenden Kräfte selbst die Verantwortung für die Sicherheit übernehmen sollen. Das traut man ihnen offenbar nicht zu. Viel wahrscheinlicher ist die Annahme, daß es nach dem Abzug der ausländischen Truppen zu einem Bürgerkrieg zwischen den Unabhängigkeits- und den mit dem Imperialismus verbündeten Kräften kommen wird. Die Amerikaner haben da in Vietnam so ihre Erfahrungen gemacht. Eine »Afghanisierung« des Krieges würde wahrscheinlich für sie ein nicht minder böses Ende nehmen als damals die »Vietnamisierung« des Krieges.

Im Grunde geht es für den Westen ohnedies nur mehr darum, die Niederlage hinauszuzögern und sie einigermaßen erträglich zu gestalten. Der von den Besatzern erzwungene Regimewechsel wird sich auf Dauer nicht behaupten. Je länger die Besatzung andauert, desto mehr verschiebt sich das politische Kräfteverhältnis zugunsten der Widerstandskräfte. Dem Marionettenregime wird nach dem Abzug der Invasoren kein langes Leben mehr beschieden sein. Da es militärisch in diesem asymmetrischen Krieg keinen Sieger geben kann, wäre es längst an der Zeit, nach einer politischen Lösung zu suchen. Eine solche hätte die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit unter Einschluß der Aufständischen zur unbedingten Voraussetzung.

Um eine Regierung auf der Grundlage der nationale Versöhnung war auch der später von den Taliban ermordete afghanische Präsident Nadschibullah bemüht, als die sowjetischen Truppen sich auf den Heimweg gemacht hatten. Dafür waren die von den USA massiv aufgerüsteten Aufständischen nicht zu haben. Heute fände der nationale Versöhnungsgedanke international wesentlich bessere Voraussetzungen vor.

*** Aus: junge Welt, 17. August 2010


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