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Mehr USA-Bürger fordern Abzug aus Afghanistan

Zwei Drittel betrachten Militäreinsatz als nutzlos

Von John Dyer, Boston *

Als habe USA-Präsident Barack Obama nicht schon genug Probleme im eigenen Land, setzen ihm im Wahlkampf nun auch außenpolitische Themen zu. Immer mehr US-Amerikaner wollen rasch raus aus Afghanistan.

Nach einer jüngst vorgestellten Umfrage sind die US-Amerikaner zunehmend vom Einsatz ihrer Truppen in Afghanistan genervt. Außer Kontrolle geratene Soldaten, Korruption und der Missbrauch des Themas im laufenden Präsidentschaftswahlkampf setzen den Bürgern zu. Die »New York Times« und der Fernsehsender CBS veröffentlichten diese Woche die Zahlen, nach denen 69 Prozent der Befragten einen Rückzug aus Afghanistan wünschen. Im November 2011 hatten nur 53 Prozent der US-Amerikaner die Frage nach dem Rückzug mit Ja beantwortet.

»Ich denke, wir sollten unsere Truppen so schnell wie möglich nach Hause holen«, meinte etwa die Telekommunikationsangestellte Melisa Clemmons aus South Carolina. Und die 52-Jährige ergänzt: »Wir sind schon so lange dort militärisch vertreten, was sollen zwei zusätzliche Jahre da noch verändern?«

Auch die »Washington Post« und die Fernsehkollegen von »ABC News« veröffentlichten eine Umfrage, nach der 60 Prozent der US-Amerikaner den Einsatz für nutzlos halten. Und es gibt noch weitere Befragungen, die ähnliche Ergebnisse aufweisen. Der Meinungswandel basiert auf den schlechten Nachrichten aus dem fernen Land. Zum Beispiel über den Soldaten, der in einem Amoklauf 17 afghanische Zivilisten tötete. Oder über die Truppenangehörigen, die gleich mehrere Koran-Exemplare verbrannten. Oder über US-Marines, die Leichen getöteter Taliban schändeten. Oder von Übergriffen afghanischer Soldaten und Polizisten auf ihre Ausbilder aus den Reihen der NATO.

Melisa Clemmons hat all das gehört und gelesen und fragt sich, warum die Afghanen nicht endlich für sich selbst sorgen sollen? Vielen scheint auch nicht klar, ob die jahrelange Aufbauarbeit der NATO-Staaten in Afghanistan überhaupt Früchte trägt. Das liegt insbesondere an den versickernden Geldern. Khan Afzal Hadawal, ranghoher Mitarbeiter der afghanischen Nationalbank, gab an, dass allein im Vorjahr 4,5 Milliarden Dollar (3,4 Milliarden Euro) heimlich außer Landes gebracht wurden - von einflussreichen Afghanen.

Nun scheint die Situation auch der Washingtoner Regierung zu entgleiten. Nach Jahren der Weigerung gestattete Obama Anfang dieses Jahres Verhandlungen mit den Taliban. In Katar, auf neutralem Boden, traf man sich, um über den Abzug der alliierten Truppen zu beraten. Doch die Islamisten brüskierten die USA-Diplomaten und brachen die Verhandlungen ab. Für den Präsidenten fraglos ein herber Rückschlag.

Den Republikanern dagegen sind diese Meldungen im laufenden Wahlkampf nur recht. Ihre Kandidaten haben damit Munition im Lagerkampf mit dem Demokraten Obama. Mitt Romney etwa wirft dem Präsidenten vor, den Abzug der Truppen 2014 zu früh angekündigt zu haben. Die Taliban könnten jetzt in aller Ruhe abwarten, bevor sie die Macht im Land wieder übernehmen.

* Aus: neues deutschland, 29. März 2012


Gepeinigte Frauen landen hinter Gittern

Afghanistan: Hunderte wegen "moralischer Verbrechen" im Gefängnis **

Frauen in Afghanistan werden immer noch wegen »moralischer Verbrechen « zu hohen Haftstrafen verurteilt. Kabul (epd/nd). Hunderte Frauen säßen auch mehr als zehn Jahre nach dem Sturz des Taliban-Regimes wegen sogenannter moralischer Verbrechen in den Gefängnissen, heißt es in einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, der am Mittwoch in Kabul veröffentlicht wurde. Sie würden dafür bestraft, dass sie vor Gewalt und Missbrauch durch ihre Ehemänner und Familien flohen.

In dem Bericht zeichnet die Organisation das Schicksal von knapp 60 inhaftierten Frauen und Mädchen auf, die vergewaltigt, zwangsverheiratet oder in die Prostitution gezwungen wurden. Die Täter hingegen kämen gewöhnlich ohne Strafe davon. Das Hilfswerk kritisierte auch die zögerliche Haltung von Afghanistans Präsident Hamid Karsai zu den Frauenrechten.

Insgesamt sind laut Bericht etwa 400 Frauen und Mädchen in Afghanistan wegen »Sittenverbrechen « eingesperrt. In der erzkonservativen Gesellschaft gelte es bereits als Schande und Vergehen, wenn Frauen von zu Hause weglaufen würden. Auch Sex außerhalb der Ehe werde als moralisches Verbrechen angesehen, selbst wenn die Frauen dazu gezwungen würden.

Die Behandlung von Frauen und Mädchen, die solcher Sittenverbrechen beschuldigt würden, sei ein Schandfleck für die afghanische Regierung und die internationale Gemeinschaft, erklärte die Organisation. Präsident Karsai sei »nicht in der Lage und nicht willens, eine klare Position gegen die konservativen Kräfte im Lande zu beziehen und hat oft Kompromisse geschlossen, die die Rechte der Frauen negativ beeinflusst haben «, heißt es in dem Report.

Vor wenigen Wochen erließen die obersten Religionsführer Afghanistans neue Leitlinien für das Verhalten von Frauen: Diese sind demnach den Männern untergeordnet, sollen weder bei der Arbeit noch auf dem Basar oder in Schule und Universität mit Männern zusammentreffen und auch nicht ohne einen männlichen Begleiter einen Bus besteigen. Präsident Karsai hat die Regeln der Ulema, des Religionsrates, als richtig und islamisch korrekt verteidigt.

Afghanistan gilt als gefährlichstes Land für Frauen. Zwangsheirat, Gewalt, Kinderehen, Ehrenmord und Mädchenhandel gehören zum Alltag. In vielen Gemeinschaften dürfen Frauen und Mädchen das Haus nie verlassen.

** Aus: neues deutschland, 29. März 2012


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