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Äthiopien bleibt in Zenawi-Hand

Auch nach den Wahlen fühlt sich die Mehrzahl der Ethnien benachteiligt

Von Thomas Berger *

Bei den Parlamentswahlen in Äthiopien hat die regierende Revolutionäre Demokratische Volksfront (EPRDF) von Ministerpräsidenten Zenawi nach Teilergebnissen den erwarteten Sieg errungen. Die EPRDF liege klar in Führung, teilte die Nationale Wahlkommission am Montagabend in Addis Abeba mit. Das Endergebnis soll am 1. Juni mitgeteilt werden. Die Opposition protestiert.

Zweifellos ist Äthiopien ein regionales Schwergewicht. Die Hauptstadt Addis Abeba ist offizieller Sitz der Afrikanischen Union. Nur wenige Staaten haben ein ähnlich hohes Wirtschaftswachstum vorzuweisen. Auch die Bevölkerungszahl von 83 Millionen, um 2,5 Prozent pro Jahr wachsend, macht die Äthiopier zu einer der größten Nationen Afrikas.

Doch diese Beschreibung ist nicht ganz zutreffend, denn Äthiopien ist ein Vielvölkerstaat mit rund 80 Ethnien, die teilweise heftig miteinander im Clinch liegen. Die Tigray, lediglich neun Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachend, haben fast alle Schlüsselpositionen inne - auch Premier Meles Zenawi gehört zu ihnen. Demgegenüber kämpfen vor allem die Oromo, mit 35 Prozent größte Gruppe, um mehr Rechte und reale Beteiligung an der Macht.

Relativ frühzeitig haben sich die westlichen Wahlbeobachter zu der Aussage hinreißen lassen, es habe sich um einen Urnengang gehandelt, der im Wesentlichen nicht zu beanstanden sei. dass die Opposition heftige Kritik übt, mag nicht verwundern, aber auch internationale Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch (HRW) werfen der EPRDF Machtmissbrauch sowie Verfolgung politischer Gegner vor.

Schon vor fünf Jahren hatte es heftige Debatten um die damaligen Wahlen gegeben. Nahezu die komplette Spitze der Opposition war seinerzeit verhaftet und vor Gericht gestellt worden. Etwas später kamen die meisten der prominenten Kritiker durch einen Gnadenakt frei, um die innenpolitischen Spannungen zu lindern. Der Vorwurf von HRW und anderen, daß Äthiopien auf einen Polizeistaat zusteuert, macht sich an der erneuten Inhaftierung der Oppositionspolitikerin Birtukan Medeksa und anderen sowie Drohungen gegen Zenawis wichtigstem Rivalen Merera Gudina fest. Dieser steht an der Spitze des Oromo-Volkskongresses und hat es geschafft, mit anderen Gruppen die Allianz Medrek zu schmieden, die zur Wahl antrat, nach den offiziellen Trends aber deutlich unterlag.

Gudina, ein 55-jähriger Politikprofessor, hat schon als Student am Sturz von Kaiser Haile Selassie mitgewirkt. Dessen Nachfolger Mengistu Haile Mariam, der sich in Zeiten der Blockkonfrontation an der Sowjetunion und ihren Partnern orientierte, hatte sich zuletzt selbst zum Diktator entwickelt, der schließlich von einem losen Bündnis von Rebellengruppen entmachtet wurde. Die Nordprovinz Eritrea löste sich danach aus dem Staatsverband. Mit seinen Nachbarn hat Äthiopien reichlich Probleme: Während mit dem jungen Eritrea der Grenzverlauf nach wie vor umstritten ist, setzte Addis Abeba wiederholt Truppen in Marsch, um angeblich die somalische Übergangsregierung vor radikalislamischen Milizen zu schützen.

Die hohen Staatsausgaben für die Armee erschweren effektive Schritte für mehr Entwicklung. Zenawi steuert zwar einen strikten Industrialisierungskurs und hat das Land für ausländische Investoren geöffnet. Doch außerhalb der Hauptstadt verharrt die Masse der Bevölkerung in bitterer Armut. Bei Dürren kommt es regelmäßig zu Hungersnöten.

Auch Zenawi war einst mit großen Idealen gestartet. Die angeblich marxistische Ausrichtung seiner Tigray-Befreiungsfront, die den Kern der EPRDF ausmacht, war aber selten mehr als Fassade. Und der vermutlich im Amt erneut bestätigte Premier, der damals für den Untergrundkampf gegen Mengistu sein Medizinstudium abbrach, gilt nur seinen Getreuen und einigen Partnern im Westen als Garant für Stabilität, Frieden und Fortschritt. Ein wachsendes Heer von Kritikern, enttäuschte Weggefährten von einst, hält ihm hingegen die Verletzung grundlegender Bürgerrechte vor.

* Aus: Neues Deutschland, 26. Mai 2010


Erinnerungen an 2005

Wahlen in Äthiopien: Vor fünf Jahren starben 193 Menschen bei Protesten. Jetzt liegt Premier Zenawi trotz Manipulationswürfen erneut vorn

Von Thomas Berger **


Einmal mehr überschattet von massiver Kritik, haben Äthiopiens Premier Meles Zenawi und seine Revolutionäre Demokratische Front des äthiopischen Volkes (EPRDF) bei den am Sonntag abgehaltenen Parlamentswahlen offenbar einen Sieg errungen. Nach Auszählung in neun von elf Bezirken teilte die Wahlkommission am Dienstag mit, daß die Regierungspartei »klar« vorn liegt. Zehntausende Anhänger der EPRDF kamen daraufhin bereits zu Feiern in der Hauptstadt Addis Abeba zusammen. Internationale Beobachter sprachen allerdings von massiven Unregelmäßigkeiten. Das Endergebnis soll Ende Juni vorliegen. Knapp 32 Millionen Menschen waren in die Wählerlisten eingetragen, insgesamt waren 547 Parlamentsmandate zu vergeben.

Auch die Opposition warf der Regierung Manipulation vor. Der Opposi­tionsblock Medrek werde das Wahlergebnis deswegen vermutlich nicht anerkennen, sagte ein Sprecher. Beobachter von Medrek seien festgenommen oder eingeschüchtert worden, anderenorts seien Wahlberechtigten Stimmzettel verweigert worden. Die Opposition fürchtet vor allem eine Wiederholung der Ereignisse bei der letzten Abstimmung im Jahr 2005, als etwa hundert Dissidenten verhaftet wurden, weil sie das Ergebnis angezweifelt hatten. Bei Demonstrationen starben damals 193 Menschen.

Der alte und neue Präsident heißt demnach Meles Zenawi. Dieser hatte sich seit 1975 am bewaffneten Aufstand gegen die sozialistisch orientierte Regierung des damaligen Präsidenten Mengistu Haile Mariam von der Arbeiterpartei Äthiopiens beteiligt. Seit 1991 steht der 55jährige nun selbst an der Staatsspitze, und ungeachtet eines früheren Versprechens trat er – angeblich auf Drängen seiner Partei – nach 19 Amtsjahren erneut an. Er gehört der Volksgruppe der Tigray an, die knapp ein Zehntel der Bevölkerung stellt. Mit rund 80 verschiedenen Ethnien ist Äthiopien einer der größten kulturellen Schmelztiegel auf dem Kontinent, und immer wieder kommt es zu Spannungen. Vor allem die Oromo, mit rund 35 Prozent stärkste Gruppe, kämpfen um mehr politische Teilhabe und die Anerkennung von Oromo neben Amharisch als zweiter nationaler Amtssprache.

Zenawi kann sich auf gute Beziehungen zum Westen stützen. Äthiopien ist nicht nur mit seinen 83 Millionen Einwohnern ein Schwergewicht, sondern gilt auch als relativ stabil. Addis Abeba ist auch Sitz der Afrikanischen Union (AU), deren Sprecher in Klimafragen der äthiopische Premier ist. Nur wenige andere afrikanische Länder können mit einem ähnlichen Wirtschaftswachstum aufwarten – Meles fährt einen strikten Industrialisierungskurs und setzt dabei stärker auf Investoren aus China, Indien und der Türkei als aus den USA oder EU-Staaten.

Eine unrühmliche Rolle hat Äthio­pien im benachbarten Somalia gespielt: Der seinerzeit erfolgte Einmarsch zum »Schutz« der dortigen Übergangsregierung hat den Konflikt in Mogadischu weiter verschärft. Auf die eine oder andere Art und Weise steht die Regierung in Addis Abeba mit den meisten ihrer Nachbarn in Konfrontation. Der Sturz des damaligen autoritären Staatschefs Mengistu war zwar ein Gemeinschaftswerk mehrerer Rebellengruppen, doch nicht nur die Abspaltung Eritreas ist Folge der fortgesetzten internen Zerwürfnisse.

Selbst einstige Weggefährten haben sich von Zenawi, der selbst immer mehr autokratische Züge an den Tag legt, abgewandt und werden dafür von ihm verfolgt. Politikprofessor Merera Gudina, der schon in der Studentenbewegung am Sturz von Kaiser Haile Selassie beteiligt war, ist heute prominentester Anführer der vielgestaltigen Opposition, hat um seinen eigenen Oromo-Volkskongreß ein Bündnis weiterer Gruppen geschart. Gleichwohl vermag diese Allianz namens Medrek nicht den Anspruch zu erheben, alle Gegner des Premiers zu repräsentieren. Birtukan Medeksa, eine weitere Oppositionspolitikerin, befindet sich derzeit in Haft. Zwar waren die meisten der nach den Auseinandersetzungen um die Wahlen 2005 festgenommenen und verurteilten prominenten Kritiker durch einen Gnadenakt freigekommen. Medeksa wurde allerdings ein weiteres Mal ins Gefängnis gesteckt.

** Aus: junge Welt, 26. Mai 2010


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