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Äthiopische Ureinwohner fürchten um ihr Leben

Staudammprojekt bedroht die Existenz tausender indigener Gemeinschaften

Von Ed McKenna, Omo-Tal *

Mit dem Gibe-III-Staudamm will Äthiopien zu einem großen Entwicklungssprung ansetzen. Indigenen Hirtenvölkern im Omo-Tal droht derweil die Zwangsumsiedlung.

Der Gibe-III-Staudamm am Omo-Fluss im Südosten des Landes wird nach seiner Fertigstellung 1800 Megawatt (MW) Elektrizität generieren. Die Kosten für das Mammutvorhaben belaufen sich auf 1,7 Milliarden Dollar. Die Energieüberschüsse sind für den Export in die Nachbarländer bestimmt und sollen dem Staat jährliche Einnahmen in Höhe von 400 Millionen Dollar einbringen.

Doch der Damm bedroht die Existenz tausender indigener Gemeinschaften in Äthiopiens unterem Omo-Tal und der Anrainer des kenianischen Turkana-Sees. Für die indigenen Bodi, Daasanach, Kara, Mursi, Kwegu und Nyangatom, die in den Überschwemmungsgebieten nach dem Rückzug der Wassermassen Landwirtschaft betreiben, sind die natürlichen Überflutungszyklen des Omo lebenswichtig. Der Gibe-III-Stausee würde die Überschwemmungen unterbinden und somit die Lebensgrundlage von 200 000 Äthiopiern und 300 000 Kenianern vernichten. Die Halbnomaden der Mursi sollen zudem in künstliche Dörfer umgesiedelt werden, um Platz für kommerzielle Zuckerrohrfelder zu schaffen. Mit Hilfe des Dorfentwicklungsprogramms sollen die umherziehenden Hirten sesshaft gemacht werden. Die Hunderte Kilometer langen Bewässerungskanäle, die derzeit gegraben werden, um das Omo-Wasser auf die Plantagen zu leiten, machen es für die indigenen Gemeinschaften unmöglich, ihr gewohntes Leben fortzusetzen.

»Man hat uns gesagt, dass unser Land Privateigentum ist. Wir fürchten nun um unser Überleben, denn man drängt uns in Gebiete ab, in denen es kein Wasser, kein Weideland und keine Anbaumöglichkeiten geben wird«, meint ein Mitglied der Mursi-Ethnie gegenüber IPS.

Vorgesehen ist, das Omo-Tal zum regionalen Kraftwerk zu machen und gleichzeitig die kommerziellen Großfarmen mit dem Wasser des Gibe-III-Stausees zu versorgen. Bisher wurden 445 000 Hektar Land an malaysische, indische und andere ausländische Firmen für den Anbau von Zuckerrohr, Biotreibstoffen, Getreide und anderen Anbauerzeugnissen verpachtet.

»Der Gibe III wird die Armut in der Region verschärfen. Indem sie sich das Land und die Wasserressourcen einverleibt, schafft sie eine neue Klasse von ›Binnenflüchtlingen‹«, meint Lori Pottinger von der Umweltorganisation International Rivers.

Der äthiopischen Regierung liegt nach eigenen Angaben das Wohlergehen der Hirtengemeinden durchaus am Herzen. Deren Umsiedlung genieße Priorität. Die Betroffenen würden in jedem Fall profitieren. »Wir arbeiten hart daran, sie zu schützen und ihnen dabei zu helfen, sich den veränderten Lebensbedingungen anzupassen«, erklärte Regierungssprecher Shimeles Kemal.

Doch den Kritikern zufolge werden die ethnischen Gruppen vor vollendete Tatsachen gestellt. »Wenn wir uns unserer Umsiedlung widersetzen, werden wir festgenommen«, berichtete ein Mursi-Älterer gegenüber IPS. »Unsere Lebensweise ist bedroht. Man verbietet uns, mit unseren Herden umherzuziehen. Wir sollen unsere traditionelle Kleidung ablegen und unser Vieh verkaufen. Doch für uns Mursi sind Bewegungsfreiheit und unsere Tiere alles.« IPS/nd

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 19. November 2013


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