Der Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea
Die Folgen einer Sezession
Von Mirko Ogris
Zwei der größten Hungerleider der Welt betreiben das
kostspieligste aller menschlichen Unternehmen, nämlich Krieg.
Äthiopien und Eritrea, bis 1993 in einem - dem äthiopischen -
Staat vereint, fühlen sich an ihre gegenseitige Verpflichtung,
gutnachbarschaftliche Beziehungen zu pflegen, schon seit
geraumer Zeit nicht mehr gebunden. Die äthiopische
Großoffensive bedroht Eritrea in seiner staatlichen Existenz,
für die Menschen ist sie auf beiden Seiten der umstrittenen
Grenze entlang des Mereb-Flusses existenzbedrohend. Es
zeigt sich einmal mehr, daß die staatliche Sezession immense
Kriegsrisiken in sich birgt, auch dann, wenn die Lostrennung
nicht auf dem Schlachtfeld erfochten wird. Äthiopien hat
seinen ehemals nördlichen Landesteil letztlich freiwillig
abgetreten.
Dies geschah, nachdem in Addis Abeba die progressive
Entwicklungsdiktatur unter Mengistu Haile Mariam, die ihr
sozialistisches Hinterland verloren hatte, von prowestlichen
Kräften gestürzt worden war. Die Großzügigkeit, mit der die
neuen Machthaber die territoriale Integrität des Landes der
neuen Weltordnung zum Opfer brachten, erinnert an die
abenteuerliche Auflösung der Sowjetunion. Ende 1991 wurden
Sowjetrepubliken in die Unabhängigkeit entlassen, die dies zum
Teil gar nicht wollten. Das neue Rußland sollte nicht als das
Kernland einer Union von Republiken und auch nicht als
Imperium in den Grenzen der Sowjetunion in die »Zivilisation«
zurückkehren, sondern als demütiger Novize der
kapitalistischen Marktwirtschaft. Die Wertegemeinschaft
bedankte sich, beorderte Rußland in die Zweitrangigkeit,
brachte große Teile der ehemaligen UdSSR unter ihr
Einflußgebiet und ließ die NATO nach Osten expandieren.
Der von Jelzin beförderte Sezessionismus der Republiken fand
im multinationalen Rußland seine Nachahmer.
Auch Äthiopien erhielt die Quittung für seine Gehorsamkeit
gegenüber der Fördergemeinschaft neuer Staaten. Es wurde
von Eritrea vom Meer abgeschnitten - beide Häfen am Roten
Meer sind in eritreischer Hand. So gewann Eritrea die
Oberhand über den um ein Vielfaches größeren Nachbarn.
Die Regierung in Eritrea schirmte den inländischen Markt von
äthiopischen Waren ab, während eritreische Waren
ungehindert nach Süden flossen.
Das wollte man sich in Addis Abeba wohl auf die Dauer
nicht mehr gefallen lassen. Unter Einsatz aller militärischen
Kräfte soll nun zurückgewonnen werden, worauf man in
selbstmörderischer Leichtfertigkeit verzichtet hatte.
Aus: junge welt, 19.05.2000
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