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Äthiopien und Eritrea: Krieg erreichte Höhepunkt

Krieg und Waffenstillstand im Jahr 2000

Der Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea, der im Mai 1998 begonnen hatte, wurde auch im dritten Jahr fortgesetzt. Im Mai setzten die äthiopischen Streitkräfte zu einer Offensive an, in deren Verlauf sie bis tief in das Land des Kriegsgegners eindrangen. Militärisch entschieden wurde der Krieg mit der Einnahme der strategisch wichtigen Stadt Barentu im Südwesten Eritreas (18. Mai). Mit dem Fall der Stadt verlor Eritrea sein militärisches Hauptquartier und wurde eine zentrale Nachschublinie zur Front unterbrochen. Das Vordringen der äthiopischen Armee bis rund 60 km vor die Hauptstadt Asmara löste eine riesige Fluchtwelle in der Zivilbevölkerung aus. Nach eritreischen Meldungen waren zu diesem Zeitpunkt bereits über 500.000 Menschen auf der Flucht, einige Zehntausende flohen in das Nachbarland Sudan - bis Ende des Monats wuchs diese Zahl auf über 100.000 an. Die sudanesische Regierung, die dem Regime in Asmara vorwirft, sudanesische Oppositionsgruppen zu unterstützen, stellte den Flüchtlingen in provisorischen Zeltlagern Wasser und ein wenig Essen zur Verfügung, machte aber klar, dass sie die ungeliebten Gäste schnell wieder los werden wollte. In allen Ländern am Horn von Afrika seit 1999 herrschende Dürrekatastrophe tat das ihrige, um die Lage der Bevölkerung in Eritrea und in Äthiopien auf das äußerste zuzuspitzen.

Ende Mai "krönte" Äthiopien seinen Feldzug mit verheerenden Luftangriffen. Ziele des Bombardements waren u.a. das Elektrizitätswerk von Massawa im Süden des Landes und der Flughafen der eritreischen Hauptstadt Asmara. Das Kraftwerk, ein 120-Millionen-Dollar-Projekt, das nach dreijähriger Bauzeit kurz vor der Vollendung stand, wurde fast vollständig zerstört. Asmara hatte insoweit Glück im Unglück, als nur der militärische Bereich des Flughafens getroffen wurde. Auf dem Zivilflughafen wurde zur selben Zeit ein Frachtflugzeug des Roten Kreuzes mit Nahrungsmitteln für die Dürreopfer entladen; es blieb unbeschädigt. Am 30. Mai kündigte die Regierung in Addis Abeba zum ersten Mal die Möglichkeit eines Waffenstillstands und eines Teilrückzugs seiner Truppen aus Eritrea an. Zunächst aber kam es Anfang bis Mitte Juni noch einmal zu heftigen Gefechten, die auf beiden Seiten zu hohen Verlusten führten.

Schon während der Kämpfe im Mai fanden Sondierungsgespräche über eine Beendigung des Krieges in Algier statt. Eingeschaltet waren die OAU (Organisation für afrikanische Einheit), die Vereinten Nationen, Washington und die Europäische Union. Der UN-Sicherheitsrat verhängte am 18. Mai ein auf zwölf Monate befristetes Waffenembargo. Um diese Sanktion war lange gerungen worden. Russland als wichtigster Waffenlieferant beider Kriegsparteien sträubte sich aus finanziellen Gründen gegen ein Embargo, China wohl mehr aus grundsätzlichen Erwägungen. Am 18. Juni unterzeichneten die Außenminister Eritreas und Äthiopiens in Algier ein Waffenstillstandsabkommen, das die OAU unter Federführung des algerischen Präsidenten Bouteflika ausgearbeitet hatte. Das Abkommen sah den Rückzug der äthiopischen Armee aus den Gebieten vor, die gerade erst in den letzten Wochen erobert worden waren. Die vereinbarte Waffenstillstandslinie entspricht etwa der territorialen Ausgangsposition vor dem Krieg. Nach dem Truppenabzug, so wurde festgelegt, darf Eritrea in den Gebieten, die schon früher von Asmara aus verwaltet wurden, wieder eine zivile Administration aufbauen. Allerdings muss Eritrea einen 25 km breiten Streifen entlang der gut 1.000 km langen Grenze zu Äthiopien preisgeben - jedenfalls solange, bis eine unabhängige UN-Kommission den endgültigen Grenzverlauf demarkiert haben wird.

Am 12. Dezember wurde - wiederum in Algier - ein Friedensvertrag unterzeichnet. Die Unterzeichnung haben der äthiopische Premierminister Meles Zenawi und der eritreische Präsident Isaias Afewerki vorgenommen. Damit wurde ein - hoffentlich nicht nur vorläufiger - Schlussstrich unter einen Krieg gezogen, der nach unabhängigen Schätzung mehr als 120.000 Todesopfer forderte. An der Zeremonie nahmen auch UN-Generalsekretär Kofi Annan, die amerikanische Staatssekretärin Albright, der togolesische Staatschef Eyadéma als gegenwärtiger Vorsitzender der OAU, der nigerianische Präsident Obasanjo, der algerische Präsident Bouteflika sowie als Vertreter der Europäischen Union Staatssekretär Serri vom italienischen Außenministerium teil. Diese Präsenz hochkarätiger Politiker wurde in Algerien als Erfolg der Diplomatie Bouteflikas gewertet, die im eigenen Einzugsgebiet - im Verhältnis zu Marokko - noch keinen vergleichbaren Erfolg erzielen konnte. Ausschlaggebend für das Zustandekommen des eritreisch-äthiopischen Friedensvertrags waren aber vor allem der internationale Druck und die Abhängigkeit der beiden Konfliktparteien von ausländischer Entwicklungshilfe.

Es sieht so aus, als hätten die beiden verfeindeten Staaten mit der unheilvollen Kriegsvergangenheit abgeschlossen. Von vielen ausländischen Beobachtern war der Krieg als "sinnlos" eingestuft und als "Bruderkampf" interpretiert und wenig verstanden worden. Der Friedensvertrag weckt Hoffnungen auf einen Neuanfang. Im Kern der geschlossenen Vereinbarung geht es um den beiderseitigen Verzicht auf Gewalt, um Festlegungen der gemeinsamen Grenze und um Regelungen der Schuld- und Reparationsfrage. Beobachter stellen aber auch kritisch fest, dass die Hoffnungen auf Versöhnung und auf einen wirklichen Neubeginn dann eine solidere Grundlage hätten, wenn der Friedensschluss von Algier nicht Ergebnis einer militärischen Pattsituation wäre, sondern echtem Friedenswillen entspräche.

In Eritrea hinterlässt der Krieg ein brisantes Gefühl: Der Krieg hat dem eritreischen Mythos der Unbesiegbarkeit einen empfindlichen Stoß versetzt. Der Traum der Regierung in Asmara, sich auf Kosten des äthiopischen Nachbarn wirtschaftlich zu sanieren und eine Art "Singapur in Afrika" zu werden (vgl. unser Friedens-Memorandum 1999), hat sich nicht verwirklichen lassen. Von vielen in Eritrea wird das als Rückschlag, nicht aber als Endgültigkeit verstanden. Gewaltige Rüstungsanstrengungen zum Aufbau eines relevanten militärischen Gegengewichts gegen das stärkere Äthiopien stehen daher auf der Tagesordnung und deuten nicht auf einen stabilen Friedensprozess hin.

Auf der anderen, der äthiopischen Seite, dürften die Stimmen, die auf eine Wiedereingliederung des 1993 von Äthiopien abgespaltenen Eritrea aus sind, wieder neuen Auftrieb erhalten haben. Der Staatsführung in Addis Abeba ist durchaus zuzutrauen, dass sie weiter daran arbeitet, die verlorene Provinz wieder in die Hand zu bekommen. Premierminister Meles Zenawi hat unmissverständlich darauf hingewiesen, dass die Unterzeichnung des Friedensvertrags keineswegs bedeute, dass sich Äthiopien mit der gegenwärtigen Staatsführung in Eritrea abfinden würde. Gutnachbarschaftliche Beziehungen könne es in Meles' Augen erst geben, wenn das Regime in Asmara ausgewechselt würde. "Äthiopien könnte versucht sein, über die in der Alliance of Eritrean National Forces organisierten Angehörigen der westeritreischen Kunama-Minorität Druck auf Asmara auszuüben - oder dann einen Aufstand unter den Afar im Osten Eritreas anzuzetteln. Umgekehrt dürfte es für Asmara ein Leichtes sein, den Kampf der Oromo Liberation Front gegen die in Addis Abeba regierenden Tigreer nach Kräften zu schüren," mutmaßt z.B. die gut informierte Neue Zürcher Zeitung (13.12.2000).

Ob die Friedensvereinbarungen das gespannte äthiopisch-eritreische Verhältnis in eine stabile friedliche Nachbarschaft verwandeln, muss die Zukunft zeigen. Eine Schlüsselrolle werden dabei die Entwicklung wirtschaftlicher Kooperation und der Aufbau von Vertrauen spielen. Das UN-Waffenembargo sollte verlängert werden. Was die Region am Horn von Afrika braucht, sind keine neuen Waffen, sondern Nahrung, Wasser, Kleidung und menschenwürdige Behausungen.
Pst

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