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Begnadigung oder Ausweisung

Unterstützung der Muslimbrüder in Ägypten: In den Fall der inhaftierten Al-Dschasira-Mitarbeiter in Kairo kommt Bewegung. Im Hintergrund schwelt ein Machtkampf der Golfstaaten

Von Sofian Philip Naceur *

Eine Freilassung von zwei der drei in Ägypten inhaftierten Al-Dschasira-Journalisten rückt offenbar in greifbare Nähe. Zuletzt mehrten sich Anzeichen, dass Ägyptens Staatspräsident Abdel Fattah Al-Sisi eine Begnadigung der Mitarbeiter des TV-Senders aus dem Golfemirat Katar inzwischen ernsthaft in Betracht zieht. Der australische Al-Dschasira-Korrespondent Peter Greste, der kanadisch-ägyptische Bürochef des Senders in Kairo, Mohammed Fahmy, und der ägyptische Produzent Baher Mohammed wurden am 29. Dezember 2013 verhaftet. Sie sind seither im Hochsicherheitsgefängnis Tora im Süden der ägyptischen Hauptstadt interniert.

Im Juli 2014 verurteilte der Kairoer Strafgerichtshof Greste und Fahmy sowie fünf andere vermeintliche Mitarbeiter von Al-Dschasira zu je sieben Jahren Haft wegen der angeblichen Verbreitung von Falschnachrichten und der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und nationalen Einheit. Baher Mohammed und weitere zehn Angeklagte wurden zu je zehn Jahren Gefängnis verdonnert. Vorgeworfen wurde ihnen zusätzlich der Besitz von Waffen.

Der Fall gilt als politisch motiviert und Teil der staatlich geführten Kampagne gegen die 2013 entmachtete islamistische Muslimbruderschaft von Expräsident Mohammed Mursi. Katar und sein Sprachrohr Al-Dschasira unterstützen offen die Bruderschaft. Während die Regierung Katars der Mursi-Regierung mit Krediten finanziell unter die Arme gegriffen und nach Mursis Sturz aus Ägypten geflohenen Mitgliedern der verbotenen Organisation Unterschlupf gewährt hatte, berichtete Al-Dschasira einseitig zugunsten der Muslimbrüder. Neben teils maßlos übertriebenen Angaben zur Größe von Demonstrationen der Bruderschaft ignoriert der Sender konsequent die Kooperation der Islamisten mit dem Militärregime 2011 und 2012. Die Berichterstattung über die Proteste zum Sturz von Diktator Hosni Mubarak wurde verkürzt auf die positive Rolle der Islamisten. Galt der Sender noch vor wenigen Jahren als wichtige Informationsquelle für Menschen in der arabischen Welt, hat er ob seiner parteiischen inhaltlichen Ausrichtung inzwischen massiv an Ansehen verloren.

Staatschef Al-Sisi ließ bereits mehrfach durchblicken, dass ihm der politisch hochbrisante Fall »Kopfschmerzen« bereite, betonte Fahmys Bruder Adel Fahmy gegenüber jW. Kurz nach der Urteilsverkündung sagte Al-Sisi, es sei ein Fehler gewesen, die drei Journalisten vor Gericht zu stellen, sie hätten direkt nach ihrer Festnahme des Landes verwiesen werden sollen. Am 12. November verabschiedete er ein Präsidialdekret, das die Ausweisung ausländischer Angeklagter oder verurteilter Straftäter in ihre Heimatländer legalisiert. Das hatte Spekulationen über eine Begnadigung oder eine Deportation der drei Reporter weiter angeheizt. Der letzte offizielle öffentliche Hinweis auf eine baldige Freilassung war Al-Sisis Interview für den französischen TV-Kanal France 24 im vergangenen Monat, in dem er auf die Frage nach einer möglichen Begnadigung antwortete, diese Option werde derzeit »diskutiert«.

Die nächste Anhörung im Berufungsverfahren ist für den 1. Januar 2015 angesetzt. »Wir haben Kontakt zu Quellen im Regierungsapparat, und nach dem France-24-Interview Al-Sisis haben wir Hoffnung, dass Peter Greste und Mohammed Fahmy bald freikommen werden«, sagte Adel Fahmy auf jW-Nachfrage. Noch sei nicht klar, ob die beiden auf Grundlage des Präsidialdekretes, aus gesundheitlichen Gründen oder durch eine Begnadigung durch Al-Sisi freigelassen würden, aber die Lage habe sich entspannt.

Für Baher Mohammed sieht es jedoch nach wie vor nicht besser aus, heißt es in Kairoer Anwaltskreisen. Sein Vater Hazem Ghorab Mohammed arbeitete für den TV-Sender Misr 25 und steht der Bruderschaft nahe. Er habe sich zudem während der Prozesses in einer Art und Weise geäußert, die ihm die Möglichkeit auf eine baldige Begnadigung versperrt haben dürfte, sagen Beobachter.

Der Fall der sogenannten Marriott-Zelle, wie die Al-Dschasira-Mitarbeiter in Ägypten auch genannt werden, hat zudem eine regionale politische Dimension. Greste und Fahmy gehören bei den Streitigkeiten zwischen Katar und den anderen Golfstaaten faktisch zur Verhandlungsmasse. Während Katar die Muslimbruderschaft finanziell und politisch unterstützt, stehen Saudi-Arabien, Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) klar hinter dem regierenden Militärregime am Nil. Sie haben die Absetzung Mursis durch die Armee ausdrücklich begrüßt. Die Verstimmungen hatten zwar im April nachgelassen, doch ist Katar seinen Versprechen bisher nur partiell nachgekommen. Ägypten pflegt seit der Entmachtung der Muslimbruderschaft enge Beziehungen zu Saudi-Arabien und den anderen Golfstaaten, während sich das Verhältnis zu Katar deutlich abgekühlt hat.

Saudi-Arabien, Bahrain und die VAE hatten ihre Botschafter aus Katar zurückgerufen und das kleine Land am Golf damit zu isolieren versucht. Der politische Druck zeigte Wirkung, und Katar unterzeichnete im April das Riad-Abkommen, in dem sich alle Beteiligten dazu verpflichten sich, nicht in die internen Angelegenheiten der anderen Staaten einzumischen. Zudem seien die jeweiligen »Interessen« zu respektieren. Dazu gehöre seitens Katars auch die Beendigung der parteilichen Berichterstattung Al-Dschasiras. Der Sender wird direkt von Katars Königsfamilie kontrolliert und finanziert und hat nach Angaben von Fahmys Anwältin Amal Clooney bisher nichts an seinen Darstellungen geändert. Auch betonte Adel Fahmy, man habe in Gesprächen mit ägyptischen Offiziellen und bei der Öffentlichkeitsarbeit zugunsten einer Freilassung der Journalisten immer hervorgehoben, dass beide für das englische Programm von Al-Dschasira arbeiteten und nicht für die wesentlich radikaler auftretende ägyptische Tochter Al-Dschasira-Mubascher. Während diese im Herbst 2014 von der Führung in Kairo abgeschaltet wurde, wird der englische Dienst bis heute auch am Nil ausgestrahlt.

Fahmy und Clooney sehen Katar in der Pflicht, sich an das Riad-Abkommen zu halten, um eine Freilassung nicht länger zu verzögern. Dennoch bleibt fraglich, ob Al-Sisi nicht doch nur unter Vorbehalt einer Ausweisung Grestes zustimmen wird. Wie die ägyptische Nachrichtenwebsite Mada Masr berichtete, hat ein ehemaliger Richter am Kairoer Strafgerichtshof darauf hingewiesen, dass die Deportation ausländischer Angeklagter, die auch einen ägyptischen Pass besitzen, möglicherweise keine Anwendung finden könnte.

* Aus: junge Welt, Montag, 8. Dezember 2014


Selbstzensur am Nil

Regierung schwört Presse auf Antiterrorkampf ein - mit Erfolg

Von Sofian Philip Naceur **


Seit der Machtübernahme der Armee in Ägypten nach der Absetzung von Präsident Mohammed Mursi im Juli 2013 setzt das Regime am Nil alles daran, die Presse auf Linie zu trimmen. Unzählige Menschenrechts- und Nichtregierungsorganisationen mobilisierten massiv gegen die Versuche der Führung, regierungskritische Journalisten mundtot zu machen und auch die nichtstaatliche Presse unter Druck zu setzen. Im Herbst appellierte Präsident Abdel Fattah Al-Sisi bei einem Treffen mit zahlreichen Chefredakteuren an die Medien, die Regierung in ihrem Antiterrorkampf zu unterstützen und die Sicherheit und Stabilität des Landes nicht durch kritische Berichterstattung zu gefährden. Zahlreiche TV-Sender und Zeitungen unterstützen die Initiative. Zwar opponierten Hunderte Journalisten in einer öffentlichen Petition gegen die staatliche Bevormundung der Presse durch das Regime, dennoch ist die Berichterstattung in Ägypten inzwischen eindeutig durch Selbstzensur gekennzeichnet.

Wiederholt wurden TV-Moderatoren wegen regierungskritischer Äußerungen entlassen und strafrechtlich verfolgt. Einer der prominentesten Fälle der in Ägypten inzwischen weit verbreiteten Selbstzensur war die Einstellung der Satire-Show »Das Programm« von Bassem Youssef im Sommer 2013. In seiner Rede auf dem Oslo Freedom Forum im November sagte Youssef: »Die Medien sollten unabhängig sein und die Autoritäten zur Rechenschaft ziehen. Aber wenn die Medien aufhören, Autoritäten in Frage zu stellen oder wenn sie beginnen, die Regierung zuungunsten der Menschen zu repräsentieren, hört die Presse auf unabhängig zu sein.«

** Aus: junge Welt, Montag, 8. Dezember 2014


Anhaltende Verhaftungswelle ***

Nach der Verkündung des Urteils gegen Ägyptens langjährigen Diktator Hosni Mubarak am 30. November, in dem er freigesprochen und die Anklage fallen gelassen wurde, versammelten sich am Tahrir-Platz in der Kairoer Innenstadt rund 4.000 Demonstranten und forderten Gerechtigkeit. Mubarak war vorgeworfen worden, für den Tod Hunderter Demonstranten während der Revolution 2011 verantwortlich zu sein. Bei der zügig vorangetriebenen Räumung der Kundgebung durch Sicherheitskräfte vor einer Woche wurden mindestens sechs Journalisten vorübergehend verhaftet.

Reporter und Fotografen, die über regierungskritische Proteste berichten, sind immer wieder Ziel von Übergriffen durch Polizei oder Armee. Zur Zeit befinden sich in Ägypten 14 Journalisten in Haft. Die Regierung geht zudem weiterhin massiv gegen Oppositionelle und regimekritische Aktivisten vor. Nach kleineren Demonstrationen gegen das Urteil im Mubarak-Prozess wurden am letzten Novemberwochenende auch in Alexandria und Luxor mehrere Demonstranten inhaftiert. Während die in Alexandria verhafteten Protestler noch am gleichen Tag freigelassen wurden, stellten die Behörden die in Luxor in Oberägypten verhafteten Aktivisten Abdelrahman Ragah und Azem Moussa gemeinsam mit drei anderen Demonstranten aus dem linken politischen Lager vor ein Militärgericht. Das Gericht in Luxor ordnete vorerst eine Untersuchungshaft von 15 Tagen an, bevor die fünf Angeklagten erneut vor den Richter treten müssen. Ihnen wird vorgeworfen, gegen das sogenannte Protestgesetz verstoßen zu haben, das drakonische Strafen für die Teilnahme an nichtgenehmigten Demonstrationen vorsieht. Die völlig intransparente, vom Militärapparat kontrollierte Paralleljustiz wurde erst im November von Präsident Abdel Fattah Al-Sisi mit zusätzlichen Kompetenzen ausgestattet. Seit 2011 wurden mindestens 12.000 Menschen vor Militärgerichten abgeurteilt. (spn)

*** Aus: junge Welt, Montag, 8. Dezember 2014




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