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Sisis Propagandashow

Ägyptens faktischer Alleinherrscher inszeniert mit Pomp die Eröffnung des erweiterten Suezkanals. Der ökonomische Nutzen des Projekts ist unklar

Von Sofian Philip Naceur, Kairo *

In einer pompösen Zeremonie in der Stadt Ismailia hat Ägypten am Donnerstag offiziell den in nur einem Jahr fertiggestellten Ausbau des Suezkanals eröffnet. Begleitet von massiver nationalistisch aufgeladener Propaganda, ließen sich Ägyptens Staatspräsident Abdel Fattah Al-Sisi und die im Hintergrund regierende Armee für die planmäßige Fertigstellung einer zweiten Fahrrinne feiern. Obwohl der volkswirtschaftliche Nutzen des Megaprojektes für Ägyptens am Boden liegende Wirtschaft stark bezweifelt wird, präsentiert das Regime in Kairo den ausgebauten Kanal als Heilsbringer angesichts der wirtschaftlichen Probleme des Landes und kündigte weitere Bauvorhaben in der Kanalzone an. Al-Sisi schlachtete den Termin nicht nur innenpolitisch propagandistisch aus, sondern nutzte die Gelegenheit, um sich auch im Ausland Rückhalt zu verschaffen.

Die Gästeliste für die Eröffnung war lang. Frankreichs Präsident François Hollande, Russlands Premierminister Dmitri Medwedew und der britische Verteidigungsminister Michael Fallon waren die prominentesten Gäste aus Europa. Kairo ließ zudem zahlreiche Staatschefs aus Afrika und dem Nahen Osten einfliegen. Selbst ein Vertreter des nordkoreanischen Parlaments war geladen. Präsentierte sich Al-Sisi bei der im Staatsrundfunk übertragenen Besichtigung des Neubaus noch in Militäruniform, die er anlässlich seiner offiziellen Kandidatur für das Präsidentenamt eigentlich ausgezogen hatte, um den Anschein zu erwecken, ein ziviler Anwärter auf das höchste Staatsamt zu sein, trat er den Gästen bei seiner Rede in ziviler Montur entgegen. Der autoritär regierende Staatschef betonte, der Kanal sei für sein Land ein »Vertrauensaufschwung in schweren Zeiten«. Ein solches Projekt in derart kurzer Zeit vollendet zu haben solle Ägyptens Volk mit Stolz erfüllen, fügte er hinzu.

Die Eröffnungszeremonie wurde derweil begleitet von einer großangelegten Kampagne, um das Projekt den Ägyptern als Erfolg des Regimes zu präsentieren, der das Land ökonomisch voranbringe: eine eigens für die Eröffnung geprägte Goldmünze, freier öffentlicher Nahverkehr für alle sowie kostenloser Zutritt zu Museen und Parks landesweit. Auch die Hauptstadt Kairo wurde herausgeputzt. Ägyptens Nationalflagge war allgegenwärtig. Hotelbesitzer wurden gar von der Regierung aufgefordert, die Flagge an ihren Gebäuden aufzuhängen. Das Regime machte landesweit enorm viel Aufsehen um die offizielle Eröffnung.

Doch diese Show bezweckt vor allem eines: Sie soll ablenken von der anhaltenden ökonomischen Krise, und sie soll den Ausbau des Kanals als nationale Errungenschaft präsentieren, obgleich der Nutzen und der von der Regierung versprochene finanzielle Gewinn für das Land weiter unklar bleiben. Viele Jobs wird der neue Kanal dauerhaft nicht schaffen. Was Ägyptens Wirtschaft vielmehr braucht, ist eine Neustrukturierung der Landwirtschaft und eine zumindest partielle Rechtssicherheit für die immense informelle Wirtschaft am Nil. Diese zu formalisieren muss ein Ziel Kairos sein – nicht nur, um das Steueraufkommen zu erhöhen, sondern auch, um die verarmten Teile der Bevölkerung in die Wirtschaft des Landes zu integrieren.

Derweil versucht die Regierung einen Anschein von Sicherheit zu vermitteln. Ein Großaufgebot an Polizei und Armee kam zum Schutz der Zeremonie und des neuen Bauwerks. Doch das politische Umfeld des Kanals bleibt fragil. Im Nordsinai, nicht weit entfernt von der künstlichen Wasserstraße, tobt seit fast drei Jahren ein brutaler Krieg zwischen Ägyptens Militär und radikalen Extremisten. Kairo versucht zu beschwichtigen, doch der Raketenangriff der Radikalislamisten auf ein ägyptisches Kriegsschiff im Mittelmeer vor drei Wochen sei »alarmierend«, so ein ägyptischer Menschenrechtler, der anonym bleiben will, gegenüber jW. Der Westen hat mit der anhaltenden militärischen Konfrontation im Sinai gewichtige Gründe, auf gute Beziehungen zu Ägyptens Machthabern zu setzen. In den letzten zwölf Monaten reiste Al-Sisi unter anderem nach Spanien, Frankreich, Deutschland und Italien und signierte dabei vor allem sicherheitspolitische Abkommen. Und das trotz der anhaltend katastrophalen Menschenrechtslage am Nil, einer absurd arbeitenden Justiz, schließlich der Tatsache, dass das Land noch immer kein Parlament gewählt hat und Al-Sisi faktisch im Alleingang regiert. Der Ausbau des Suezkanals soll vor allem Ägyptens geopolitische Position stärken und das Ansehen des Militärs im Ausland wiederherstellen. Inwiefern der Kanal positive ökonomische Effekte für Ägyptens haben wird, steht in den Sternen.

* Aus: junge Welt, Freitag, 7. August 2015


"Das ist politisch sehr wichtig"

Für Ägyptens Militär sind Infrastrukturprojekte ein Mittel der Selbstlegitimation. Interview mit dem Ökonomen Amr Adly **

Dr. Amr Adly arbeitet als Ökonom am Carnegie Middle East Center in Beirut.

Wie realistisch und plausibel sind die Angaben, die Ägyptens Regierung zum Ausbau des Suezkanals macht?

Das Problem ist, dass es keinerlei Informationen unabhängiger Quellen darüber gibt, ob die vor einem Jahr von Ägyptens Finanzministerium veröffentlichten Zahlen akkurat sind oder nicht. Diese besagen, dass die Regierung bis 2023 mit einer Steigerung der Kanaleinnahmen in Höhe von 259 Prozent rechnet. Es geht jedoch nicht nur um Zuwächse bei der Anzahl der den Kanal passierenden Schiffe, sondern auch um Faktoren wie die Wachstumsraten des internationalen Handels. Der Suezkanal hat definitiv das Potential für eine Steigerung der Einnahmen. Allein im letzten Jahrzehnt haben sich die Einkünfte nahezu verdoppelt. Dennoch, der Mangel an unabhängigen Informationen und Studien macht Vorhersagen dazu schwierig. Auch setzt die Regierung stark auf politische Propaganda. Die Opposition macht das ebenso. Und das ist in bezug auf die am Ufer des Kanals geplante Sonderwirtschaftszone sogar noch stärker der Fall. Bei diesem Projekt hat die Öffentlichkeit absolut keinen Zugang zu Informationen. Und das ist typisch für Regierung und Bürokratieapparat.

Al-Sisi erhofft sich vom Kanal Impulse für die Wirtschaft. Was ist so besonders an dem Projekt?

Der neue Kanal ist qualitativ nichts Neues, derlei Erweiterungen wurden bereits in der Vergangenheit durchgeführt. Der Ausbau heute hat lediglich einen größeren Maßstab. Die Sonderwirtschaftszone am Kanal hingegen ist qualitativ tatsächlich ein Novum, da ein solches Projekt noch nie umgesetzt wurde. Doch auch dies ist nichts anderes als eine Fortsetzung dessen, was bereits unter Expräsident Hosni Mubarak begonnen wurde. Viel wichtiger hingegen ist, dass der Suezkanal ein nationales Symbol und Sinnbild der Integration Ägyptens in den Welthandel darstellen soll. Der Kanal ist ein Symbol für die Bedeutung Ägyptens für den Welthandel.

Warum setzt die Regierung auf derart starke propagandistische Rhetorik?

Das Regime muss der Öffentlichkeit dringend beweisen, dass es in der Lage ist zu handeln. Es versucht vor allem zu zeigen, dass es im Vergleich zu der im Juli 2013 von ihm gestürzten Muslimbruderschaft, aber auch im Vergleich zu Mubarak in der Lage ist, Projekte umzusetzen. Das Regime will den Eindruck erwecken, es sei weniger korrupt als Mubarak, effektiver als Mubarak und technologisch fortschrittlicher als Mubarak. Dieses Element war auch wichtig bei der Verstaatlichung des Kanals 1956 durch den damaligen Präsidenten Gamal Abdel Nasser. Nasser setzte auf Anerkennung durch Errungenschaften. Er war in der Lage anzupacken. Diese Form von Selbstlegitimierung ist seither konstituierend für jedwede Form politischer Legitimität in Ägypten.

Der Ausbau ist überraschend schnell fertiggestellt worden. Welche Rolle spielt die Armee bei dem Projekt?

Das Militär hat die Kapazität, Infrastrukturprojekte schnell umzusetzen. Es hat bewiesen, dass es dazu in der Lage ist. Dies ist politisch sehr wichtig, zeigt es doch, dass sich die Armee Ägypten verpflichtet fühlt. Sie beweist damit dem eigenen Volk und der internationalen Gemeinschaft, dass sie Versprechen einhalten kann. Das ist ein wichtiger Grund dafür, dass die politische Bedeutung des Projektes vom Regime derart übertrieben dargestellt wird. Der Kanal steht stellvertretend dafür, dass das Militär Dinge in die Hand nehmen und umsetzen kann. Ägypten mangelt es jedoch an einer gesamtgesellschaftlich orientierten Wirtschaftspolitik. Was wir haben, ist eine Ansammlung von Infrastrukturprojekten wie den Kanal oder das 2013 lancierte Programm zur Errichtung von einer Million Wohnungen. Letztes scheint tot zu sein. Alles, was die Öffentlichkeit darüber weiß, ist, dass mit der verantwortlichen Firma verhandelt wird. Die Armee jedoch versteht sich als »Lokomotive der Entwicklung«, so die Inschrift an einer von der Armee errichteten Brücke in Kairo. Sie regiert jedoch heute faktisch allein und ist entsprechend gezwungen, Erfolge vorzuweisen.

Interview: Sofian Philip Naceur

** Aus: junge Welt, Freitag, 7. August 2015

Hintergrund: Suezkanal

Der 1869 eröffnete Suezkanal zählt bis heute zu den geopolitisch bedeutsamsten Wasserstraßen der Welt und ist aufgrund seiner vitalen Bedeutung für den Handel zwischen Asien und Europa ein unverzichtbares Nadelöhr in der maritimen Handelsschiffahrt. Der rund 193 Kilometer lange Kanal zwischen der Stadt Suez am Roten Meer und dem Mittelmeerhafen Port Said stand nach seiner Fertigstellung unter Kontrolle der britischen Kolonialmacht, die ihren massiven Einfluss auf Ägypten erst nach dem Putsch der Freien Offiziere unter Gamal Abdel Nasser 1952 verlor. Im Zuge der von den neuen Machthabern initiierten Verstaatlichung strategisch wichtiger Industriezweige fiel 1956 auch der Suezkanal vollständig in die Hände Ägyptens und ist seither eine unersetzliche Devisenquelle. 2014 akquirierte der Kanal nach offiziellen Angaben Einnahmen in Höhe von rund 5,3 Milliarden US-Dollar. Reedereien bevorzugen heute die Route durch Ägypten, da hier im Gegensatz zum Panamakanal keine Schleusen zum Überwinden der unterschiedlichen Wasserstände zu passieren sind. Der Kanal ist bislang nur einspurig befahrbar. Schiffe müssen daher lange Wartezeiten in Kauf nehmen und durchqueren die 146 Jahre alte Fahrrinne in Konvois.

2014 kündigte Ägyptens Präsident Abdel Fattah Al-Sisi den Bau eines neuen Suezkanals an, der es erlauben sollte, die Route künftig in beide Richtungen gleichzeitig zu befahren. Neben einer neuen 35 Kilometer langen, parallel zum alten Kanal verlaufenden Fahrrinne soll der bestehende Kanal erweitert und vertieft werden, um größeren Schiffen die Durchfahrt zu ermöglichen. Damit sollen bis zum Jahr 2023 die Anzahl der täglich den Kanal passierenden Schiffe von heute 49 auf 97 verdoppelt und die Wartezeiten von derzeit 18 auf nurmehr elf Stunden reduziert werden. Das Projekt hat eine Gesamtlänge von 72 Kilometern. In der Kanalzone ist zudem ein Sonderwirtschaftsbereich inklusive eines Logistik-, Handels- und Industriezentrums geplant. Ägypten will damit nach eigenen Angaben langfristig rund eine Million Arbeitsplätze schaffen. (spn)




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