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"Geschenk an die Welt"

Ägyptens Militär sichert sich durch die Erweiterung des Suezkanals wirtschaftliche Macht. Eröffnung am Donnerstag nach Rekordbauzeit

Von Sofian Philip Naceur, Kairo *

Im Sommer 2014 verkündete Ägyptens Staatspräsident Abdel Fattah Al-Sisi feierlich den Bau eines neuen Suezkanals, der parallel zu der heute knapp 146 Jahre alten strategisch unersetzlichen Transportroute zwischen Rotem Meer und Mittelmeer verlaufen soll. Genau ein Jahr nach Beginn der Arbeiten in der Kanalzone zwischen der Stadt Suez östlich von Kairo und dem Mittelmeerhafen Port Said steht der »Jahrhundertbau« kurz vor dem Abschluss. Ursprünglich waren für die Schaffung einer zweiten Fahrrinne, die es erlaubt, den Kanal in beide Richtungen gleichzeitig zu befahren, drei Jahre eingeplant. Doch Al-Sisi, angetrieben von einer am Boden liegenden Wirtschaft und ohne Aussicht auf deren rasche Genesung, forderte die Fertigstellung in nur einem Jahr. Was damals niemand für realistisch hielt, ist heute zum Greifen nahe.

Bereits vergangene Woche absolvierten drei Containerschiffe einen erfolgreichen Testlauf im neuen Kanalbett. Regierung und regimenahe Kräfte am Nil werden seither nicht müde die Erweiterung als Heilsbringer angesichts der wirtschaftlichen Probleme des Landes anzupreisen. Der Stolz der Nation sei restauriert, heißt es in Ägyptens Presse immer wieder. Der Chef der für den Kanalbetrieb zuständigen staatseigenen und faktisch vom Militär kontrollierten Suez Canal Authority (SCA), Admiral Mohab Mamish, setzte den Probelauf pathetisch mit dem Überführen der Nation von der Dunkelheit ins Licht gleich. Im Rahmen einer Pressekonferenz vergangene Woche in Ismaelija, dem Sitz der SCA am Ufer des Kanals, bezeichnete Mamish die neuen Wasserstraße als Ägyptens »Geschenk an die Welt«.

Am Donnerstag soll der neue Kanal in einer feierlichen Zeremonie offiziell eröffnet werden. Gebaut wurden eine 35 Kilometer lange, parallel zum alten Kanal verlaufende Fahrrinne sowie zwei Bypässe, die die Wasserstraße zukünftig dauerhaft in beide Richtungen befahrbar machen sollen. Damit soll die Anzahl der täglich den Kanal passierenden Schiffe verdoppelt und die Wartezeit an dessen beiden Enden von derzeit rund 18 auf elf Stunden reduziert werden. Die Anlage hat eine Gesamtlänge von rund 72 Kilometern. Weiterhin soll das bestehende Kanalbett erweitert und vertieft werden, um größeren Schiffen die Durchfahrt zu ermöglichen. Ägyptens Regierung will mit dem Megaprojekt nicht nur die Einnahmen aus den Passagegebühren bis 2023 von derzeit 5,3 Milliarden US-Dollar auf 13,2 Milliarden mehr als verdoppeln, sondern mit der am Kanalufer zu errichtenden Sonderwirtschaftszone eine Million Arbeitsplätze schaffen. Derlei Einkünfte hat der Staatshaushalt auch dringend nötig, kann sich das Land doch seit der Entmachtung von Hosni Mubarak 2011 nur durch umfangreiche Finanzhilfen aus den Golfstaaten über Wasser halten.

Peter Hinchliffe, Generalsekretär der International Chamber of Shipping (ICS), einer international tätigen Handelsschiffahrtsorganisation mit Sitz in London, betonte in Ismaelija, die Zeitspanne, in der das Projekt realisiert wurde, sei »erstaunlich«. Mit dem Ausbau werde die Effizienz der Wasserstraße verbessert.

Auf rund acht Milliarden US-Dollar bezifferte die SCA die Kosten für die Verbreiterung der Fahrrinne. Bemerkenswert am Finanzierungsplan der Zentralregierung in Kairo ist die völlige Autarkie gegenüber internationalen Investoren. Die nötigen Finanzen wurden bereits im Sommer 2014 mittels Staatsanleihen ausschließlich an ägyptische Staatsbürger nach offiziellen Angaben in nur acht Tagen aufgebracht. Mit dem Ausbau des Suezkanals stellt Ägypten sicher, dass die Transportroute nicht zugunsten des auch im Ausbau befindlichen Panamakanals an geostrategischer Bedeutung verliert. Die Wasserstraße zwischen Suez und Port Said bleibt durch die Erweiterung und die Modernisierung auch weiterhin attraktiv für die internationale Handelsschiffahrt.

Und damit haben der Westen sowie Russland und China Interesse an einem reibungslosen Verkehrsablauf durch den Suezkanal – und entsprechend guten Beziehungen zu Ägypten. Das Machtzentrum am Nil wiederum bleibt auch zwei Jahre nach dem gewaltsamen Sturz von Expräsident Mohammed Mursi unangefochten Ägyptens Armee, die das Projekt propagandistisch auszuschlachten weiß und sowohl die SCA als auch das gesamte Areal um den Kanal herum kontrolliert.

Sorgen über mögliche Attacken der Terrorarmee »Islamischer Staat« oder dem Irak nahestehenden Islamisten wischte Mamish vergangene Woche rigoros beiseite. Trotz der politischen Instabilitäten während des Umbruchs 2011 als auch während der landesweiten gewaltsamen Turbulenzen Mitte 2013 sei der Kanalbetrieb »nicht eine Sekunde lang« eingestellt worden, so der Militär.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 4. August 2915


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