Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Abrechnung in Ägypten

Todesstrafe für Oberhaupt der Muslimbrüder bleibt *

Ein Gericht in Ägypten hat im größten Massenprozess der jüngeren Geschichte des Landes Todesurteile gegen 183 Islamisten bestätigt. Unter ihnen ist das Oberhaupt der inzwischen verbotenen Muslimbruderschaft, Mohammed Badie, wie dpa am Samstag aus der Justizbehörde der oberägyptischen Stadt Minia erfuhr. Dem 70-Jährigen, dem Beteiligung an gewalttätigen Protesten und Mord vorgeworfen werden, droht der Tod durch den Strang. Die Todesurteile bedürfen noch der Bestätigung durch Ägyptens Mufti – den obersten islamischen Rechtsgelehrten.

Bei der Berufungsverhandlung war über 683 Todesurteile vom 28. April entschieden worden. Vier weitere Angeklagte wurden den Angaben zufolge zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt, bei allen anderen wurde das Verfahren eingestellt.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisierte die Urteile scharf. Der Richterspruch zeige auf eine besorgniserregende Weise, wie Ägyptens Justiz zunehmend politisch und willkürlich entscheide, erklärte die Gruppe und forderte die Aufhebung der Entscheidung. Es sei deutlich geworden, dass die Justizbehörden nicht mehr in der Lage seien, Recht zu sprechen.

Zwei Wochen nach Amtsantritt von Präsident Abdel Fattah al-Sisi ist US-Außenminister John Kerry zu politischen Gesprächen in Ägypten eingetroffen. Die USA und Ägypten haben sich vor zwei Monaten nach einer deutlichen Abkühlung der Beziehungen wieder angenähert.

* Aus: neues deutschland, Montag 23. Juni 2014


Kerry brieft Freunde

US-Außenminister zu Auftakt seiner Sechstagetournee in Ägypten. Sunnitische Rebellen im Irak weiter auf dem Vormarsch

Von Knut Mellenthin **


US-Außenminister John Kerry ist am Sonntag unerwartet in Kairo eingetroffen. Mit seinem Besuch in Ägypten beginnt eine Rundreise, die planmäßig bis Freitag dauern soll. Präsident Barack Obama hatte sie am Donnerstag als Teil seiner »diplomatischen Bemühungen« angekündigt, »mit den irakischen Führern und den Ländern der Region zur Unterstützung der Stabilität im Irak zusammenzuarbeiten«. Tatsächlich ist die Lage im Irak aber offenbar nur eines von vielen Themen, über die Kerry während dieser Sechstagetournee sprechen wird. Und die »Länder der Region«, mit denen sich die US-Regierung »beraten« will, reduzieren sich in Wirklichkeit auf »unsere Verbündeten und Partner«. Ein Treffen mit Vertretern des Iran, dem in diesem Zusammenhang wichtigsten Nachbarn Iraks, ist – soweit bisher zu erkennen ist – in Kerrys Plan für diese Woche nicht vorgesehen.

Nach den möglicherweise nicht vollständigen Angaben des State Departments wird sich Kerry am heutigen Montag in Amman mit dem jordanischen Außenminister Nasser Dschudeh treffen. Am Dienstag wird er in Brüssel sein, um an der seit langem verabredeten zweitägigen Konferenz der NATO-Außenminister teilzunehmen. Auf der Tagesordnung steht neben dem Dauerthema Ukraine auch die »Vorbereitung« des nächsten NATO-Gipfels, der im September im britischen Wales stattfinden soll. In Brüssel könnte auch eine Vorentscheidung über den Antrag Montenegros auf Aufnahme in die westliche Allianz und über den Wunsch Georgiens nach der nächsten Stufe auf dem langen Weg zur NATO-Mitgliedschaft, der Erstellung eines Membership Action Plan (MAP), fallen. Beide Fragen sind umstritten und werden nicht transparent diskutiert. Das Stimmungsbild läßt vermuten, daß sich sowohl Georgien als auch Montenegro noch etwas gedulden müssen. Ob Kerry in Brüssel auch Gespräche über die Lage im Irak führen wird und worum es dabei gehen könnte, ist unbekannt.

Von Brüssel aus will Kerry zum Abschluß seiner Rundreise nach Paris weiterfliegen. Dort wird er sich laut der nicht sehr inhaltsreichen Angabe des State Departments »mit den wichtigsten strategischen Partnern und Golf-Verbündeten treffen, um über die Sicherheitsprobleme im Nahen Osten einschließlich Iraks und Syriens zu sprechen«. Es wäre nicht überraschend, wenn der US-Außenminister anschließend noch ein paar Tage dranhängen würde. Beispielsweise um in Israel Bericht zu erstatten oder vielleicht doch noch nach Bagdad zu fliegen, um sich in die Neubildung der Regierung einzumischen.

Im Irak befinden sich die Terroristen der ISIS/ISIL und die mit ihnen verbündeten sunnitischen Rebellen weiter auf dem Vormarsch. Am Freitag und Sonnabend eroberten sie innerhalb von kaum mehr als 24 Stunden vier weitere Städte. Allerdings liegen diese ausschließlich in der Provinz Anbar, die ganz überwiegend von Sunniten bewohnt wird und schon lange eine Hochburg religiöser Fanatiker ist. Unterdessen zeigten am Wochenende in Bagdad, Basra und Amara Zehntausende Schiiten mit bewaffneten Aufmärschen ihre Bereitschaft zur Selbstverteidigung. Der Kleriker Muktada Al-Sadr, inzwischen 40 Jahre alt und seit langem ein erklärter Gegner der US-Politik, hat seine Mahdi-Armee wiederbelebt, die er 2008 aufgrund von militärischen Niederlagen und politischen Kompromissen aufgelöst hatte.

** Aus: junge Welt, Montag 23. Juni 2014


Kairos Generäle außer Rand und Band

Roland Etzel zu den Todesurteilen in Ägypten ***

Erneut 182 Todesstrafen gegen politisch Missliebige. Der Rachefeldzug von Ägyptens Generalspräsident Sisi sucht an drakonischer Unerbittlichkeit derzeit seinesgleichen in der Welt. Die gewählten Häupter in den europäischen Musterdemokratien scheint das aber gar nicht mehr umzutreiben. Als ihr gewählter Kollege und Präsident Mursi vor Jahresfrist vom Militär gestürzt wurde, gab es noch ein paar Proteste von Brüssel bis Washington. Nicht sehr energische, aber immerhin. Die Kairoer Generäle werteten das aber als stillschweigende Akzeptanz und haben sich darin wohl nicht getäuscht: Man will sich im Westen eher mit ihnen arrangieren als sie brüskieren.

Die ägyptische Justiz, die nicht einmal selbst von sich behauptet, unabhängig von der Exekutive zu sein, präsentiert seitdem ein makabres Verwirrspiel aus Todesurteil, Begnadigung und Neuverhandlung im Dutzend und im Stundentakt. Da der US-Außenminister sich nicht zu schade ist, Kairo keine 24 Stunden später mit seinem Besuch zu beehren, muss Ägyptens neuer Herrscher nichts allzu Böses befürchten. Das entscheidende Signal setzte Washington ja schon vor Jahresfrist, als sich Obama weigerte, Kairos Putschisten als solche zu bezeichnen. Er hätte ihnen sonst die Militärhilfe zwingend streichen müssen. Das müssen sie gar nicht mehr befürchten. Auch die deutschen Rüstungslieferanten werden das nun für sich in Anspruch nehmen.

*** Aus: neues deutschland, Montag 23. Juni 2014 (Kommentar)


Zurück zur Ägypten-Seite

Zur Ägypten-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage