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Regierung der Mubarak-Elite

Ägypten: Sechstes Kabinett seit 2011 vereidigt. Armeechef Al-Sisi bleibt Verteidigungsminister

Von Sofian Philip Naceur, Kairo *

Ägypten hat eine neue Interimsregierung. Nach dem überraschenden Rücktritt des gesamten Kabinetts von Premierminister Hasim Al-Beblawi am vergangenen Montag hatte Staatspräsident Adli Mansur Wohnungsbauminister Ibrahim Mehleb mit der Regierungsbildung beauftragt. Am Samstag wurde das neue Kabinett offiziell vereidigt. 20 Minister aus der Regierung Beblawi bleiben auf ihren Posten, nur elf kommen neu hinzu. Durch die Zusammenlegung einiger Ministerien wird die Regierung so verkleinert. Verteidigungsminister und Armeechef Abdel Fattah Al-Sisi bleibt überraschend auf seinem Posten.

Beobachter hatten den Rücktritt der Regierung unter anderem mit Al-Sisis Ambitionen in Verbindung gebracht, bei der anstehenden Präsidentschaftswahl zu kandidieren. Dazu müßte er als Verteidigungsminister zurücktreten und seine Militäruniform ablegen. Nach wir vor wird damit gerechnet, daß der mächtige Feldmarschall in Kürze seine Kandidatur offiziell bekanntgeben wird. Dennoch mehren sich Spekulationen, er habe sich gegen eine Kandidatur entschieden und wolle statt dessen seine Position innerhalb der Militärhierarchie festigen. Erst in der vergangenen Woche hatte Übergangspräsident Mansur ein Dekret verabschiedet, das dem Verteidigungsminister mehr Einfluß einräumt. Bislang war das Staatsoberhaupt per Gesetz auch Vorsitzender des Obersten Militärrates (SCAF), der mächtigsten Institution am Nil. Mansurs Dekret besagt nun, daß der Verteidigungsminister zukünftig dem SCAF vorsitzt, während dem Präsidenten nur noch die Ernennung führender Posten der einzelnen Armeeinheiten obliegt.

Die Regierung Mehleb ist bereits das sechste Kabinett seit dem Sturz von Exstaatspräsident Hosni Mubarak im Februar 2011. Während die Schlüsselministerien weitgehend unangetastet blieben, ist es mehr denn je eine Regierung der alten, Mubarak nahestehenden Kräfte. Mehleb selbst saß als Mitglied in dessen 2011 aufgelöster Nationaldemokratischer Partei (NDP) im Oberhaus des ägyptischen Parlamentes. Ebenso wie zahlreiche neue Köpfe in der Regierung gehört er der Geschäftselite des Landes an. Der neue Übergangspremier war Vorsitzender des größten ägyptischen Bauunternehmens, Arab Contractors, und zählt zu den Technokraten im Regierungsapparat. Lagerübergreifend respektierte Figuren wie der vormalige Bildungsminister Hossam Eissa und Vize-Premierminister Ziad Bahaa Al-Din wurden dagegen aus der Exekutive gedrängt. Mit einer Ausnahme wurden alle Minister aus dem Lager der Nationalen Heilsfront (NSF), eines Bündnisses liberaler und sozialistischer Parteien, aus der Regierung entfernt. Die Verfassungspartei Hala Shukrallahs kritisierte den Ausschluß der NSF aus der Regierung scharf und fordert genauso wie weitere liberale und linke Parteien die Absetzung von Innenminister Mohammed Ibrahim. Letzterer war eine treibende Kraft hinter dem Sturz von Mohammed Mursi im vergangenen Jahr und ist in seinem Amt verantwortlich für die anhaltende Polizeigewalt.

Bei den Revolutionären Sozialisten heißt es, die jüngste Regierungsumbildung sei eine Reaktion der Militärs auf die anhaltende Streikwelle im Land und habe den regierenden Generälen eine Möglichkeit eröffnet, sich allzu liberal auftretender Regierungsmitglieder zu entledigen. Der sozialistische Arbeitsminister Kamal Abu Eita, eine von der Regierung kooptierte Gallionsfigur der unabhängigen Gewerkschaften, ist im neuen Kabinett nicht mehr vertreten und muß als Bauernopfer für die mißlungene Wirtschaftspolitik Beblawis herhalten. Die neue Arbeitsministerin Nahed Al-Ashri, die schon unter Mubarak im Ministerium beschäftigt war und als Vermittlerin bei Arbeitskämpfen fungierte, wurde von gewerkschaftsnahen Kreisen sogleich unter Beschuß genommen und für ihre Nähe zur Unternehmerseite kritisiert.

* Aus: junge Welt, Montag, 3. März 2914


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