Illusionen statt Politik
Großprojekte und Retortenhauptstadt: Ägypten umwirbt ausländische Investoren. Auf Konferenz in Scharm Al-Scheich gab es Milliardenzusagen
Von Sofian Philip Naceur, Kairo *
Zum Scheitern verurteilte Konzepte und exzentrische Großprojekte bestimmten die am Sonntag zu Ende gegangene Investorenkonferenz. Im Badeort Scharm Al-Scheich auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel hatten sich Delegationen aus über 100 Ländern eingefunden. Rund zwei Dutzend Staatsoberhäupter und zahlreiche Führungskräfte internationaler Großkonzerne folgten dem Ruf der ägyptischen Regierung und versammelten sich am Roten Meer, um über Investitionsmöglichkeiten im Land zu verhandeln und mit ausländischen Direktinvestitionen der angeschlagenen Wirtschaft auf die Beine zu helfen. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), US-Außenminister John Kerry, die Führungsetage von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) sowie hochrangige Politiker aus den Golfstaaten gehörten zu den prominenten Besuchern des Gipfeltreffens, von dem sich das autokratisch regierende Militärregime des Staatspräsidenten Abdel Fattah Al-Sisi Impulse für die am Boden liegende ägyptische Wirtschaft erhoffte.
Das Regime am Nil demonstrierte am Wochenende jedoch erneut seine offenkundige Unfähigkeit, den sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen des Landes mit Nachhaltigkeit zu begegnen. Al-Sisi und Gefolge setzen weiterhin auf eine neoliberale Wirtschaftspolitik, die das Land dem sozioökonomischen Kollaps erst nähergebracht hatte und lediglich einer kleinen Elite zu Wohlstand verhalf. Kairo hält am neoliberalen Diktat der Weltökonomie fest und ist wirtschaftspolitisch schlicht überfordert. Symbolisch für das Scheitern der Regierung, die Lebens- und Einkommensverhältnisse der marginalisierten Bevölkerungsschichten zu verbessern, war die Ankündigung, eine neue Verwaltungshauptstadt aus dem Boden stampfen zu wollen. Ägypten plant demnach den Umzug sämtlicher Regierungsinstitutionen in eine Satellitenstadt in der Nähe von Ain Sukhna am Roten Meer. Die neue Metropole soll Platz für fünf Millionen Einwohner haben, rund 1,5 Millionen Arbeitsplätze schaffen und wurde vom Kabinett als Patentlösung für die Probleme der aus allen Nähten platzenden Hauptstadt angepriesen. Das Großprojekt stinkt jedoch nach dem Versuch der herrschenden Klasse, sich in einer isolierten Luxusoase von den anhaltenden sozialen und wirtschaftlichen Spannungen im Land abzuschotten und damit langfristig den Machterhalt abzusichern.
Nach Angaben von Ägyptens Premierminister Ibrahim Mahlab kratzte man im Rahmen der Konferenz rund 72,5 Milliarden US-Dollar in Form von ausländischen Direktinvestitionen und Krediten zusammen und signierte Absichtserklärungen über weitere milliardenschwere Investments. Noch vor dem Treffen in Scharm Al-Scheich hatte die Exekutive die Investmentgesetzgebung modifiziert und die Körperschaftssteuer für Klein- und Großunternehmen vereinheitlicht. Mit der Aufhebung des zuvor bestehenden leichten Steuervorteils für kleine und mittelständische Unternehmen, sollten noch vor Beginn der Konferenz insbesondere internationale Großinvestoren umworben und ins Land gelockt werden.
Ankündigungen, Geld in den Energiesektor zu schleusen, machten am Wochenende den Großteil der Zusagen von ausländischen Direktinvestitionen aus. Allein der britische Energieriese BP verkündete, sich mit zwölf Milliarden US-Dollar zur Erschließung von Erdgasvorkommen im Nildelta engagieren zu wollen. Der deutsche Siemens-Konzern will Kraftwerke bauen. Das Gesamtvolumen des neuerlichen Geschäftsvorhabens des Münchner Unternehmens am Nil beläuft sich auf rund vier Milliarden US-Dollar. Weitere Großinvestitionen sind für Infrastruktur- und Bauprojekte avisiert, die meist mit Mitteln aus den Golfstaaten und China finanziert werden sollen.
Anstelle einer auf die Bedürfnisse der verarmten Bevölkerung und der unter Druck stehenden Mittelschicht ausgerichteten Wirtschaftspolitik setzt Kairo auf ausländische Geldgeber und waghalsige Großprojekte. Diese Strategie dürfte die sozialen Spannungen im Land, die maßgeblich zum Ausbruch der Revolution 2011 beigetragen haben, keineswegs eindämmen, sondern vielmehr reproduzieren und verschärfen. Zahlreiche ausländische Industrieprojekte operieren schließlich in steuerbefreiten Sonderwirtschaftszonen, in denen nur wenige Abgaben akquiriert werden können. Das Land benötigt jedoch dringend zusätzliche Einnahmen für seinen strukturell vernachlässigten Bildungs- und Gesundheitssektor. Statt dessen will die Regierung mit strikter Haushaltsdisziplin die ausufernde Inflation und das Etatdefizit in den Griff bekommen.
Während Gabriels Anwesenheit in Scharm Al-Scheich Berlins Annäherung an das Regime in Kairo impliziert, warnt die der Bundesregierung nahestehende Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in einem Bericht vor den verheerenden Folgen der dortigen Wirtschaftspolitik. Großprojekte und ausländische Investitionen würden keinen nachhaltigen wirtschaftlichen Wandel einleiten. Die SWP befürchtet eine weitere Destabilisierung des Landes und fordert angesichts der weiter zu erwartenden politischen Repression des Regimes EU und Deutschland dazu auf, von einer Unterstützung konsequent abzusehen.
* Aus: junge Welt, Donnerstag, 19. März 2015
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