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Lammert sagt Treffen mit Al-Sisi ab – Merkel nicht

Bundestagspräsident kritisiert systematische Verfolgung oppositioneller Gruppen / Kanzlerin hält an Einladung von Ägyptens Präsident fest *

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hält an dem geplanten Treffen mit Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi ungeachtet der Absage von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) fest. «Die Einladung der Kanzlerin an Al-Sisi steht», teilte ein Sprecher des Bundespresseamtes am Mittwoch in Berlin mit.

Lammert hatte am Dienstag erklärt, er habe sein Treffen mit Al-Sisi angesichts der Menschenrechtslage im Land abgesagt. Das ägyptische Staatsoberhaupt besucht Berlin am 3. und 4. Juni. Lammert hatte seine Entscheidung in einem Schreiben an den ägyptischen Botschafter in Berlin mit Menschenrechtsverletzungen begründet. «Statt der seit langem erwarteten Terminierung von Parlamentswahlen erleben wir seit Monaten eine systematische Verfolgung oppositioneller Gruppen mit Massenverhaftungen, Verurteilungen zu langjährigen Haftstrafen und einer unfassbaren Anzahl von Todesurteilen», zitierte der Bundestagspressedienst aus dem Schreiben Lammerts. Er sehe derzeit keine Grundlage für ein Gespräch mit dem ägyptischen Staatschef.

Die Internationale Vereinigung der Ligen für Menschenrechte (FIDH) legte unterdessen einen Bericht vor, in dem schwere Vorwürfe gegen die ägyptischen Sicherheitskräfte erhoben werden. Polizeikräfte, Geheimdienstagenten, Mitarbeiter der nationalen Sicherheit und Soldaten seien «direkt» an sexueller Gewalt in den Haftanstalten des Landes beteiligt, hieß es in dem Bericht der in Paris ansässige Organisation. Seit dem Sturz von Mohammed Mursi, Ägyptens erstem demokratisch gewählten Präsidenten, hätten entsprechende Vorfälle deutlich zugenommen. Das Militär hatte den Islamisten Mursi 2013 entmachtet.

Zu den im Bericht erwähnten Vorfällen gehören Vergewaltigungen, Vergewaltigungen mit Gegenständen, Jungfräulichkeitstests, Elektroschocks an Genitalien sowie Erpressungen sexueller Art. Die Untersuchung stützt sich auf Aussagen von Opfern, Aktivisten und Zeugen. Es handele sich um eine «zynische politische Strategie», um die Zivilgesellschaft zu «knebeln» und die Opposition «zum Schweigen zu bringen, erklärte FIDH-Präsident Karim Lahidji. Dass die Opfer davor zurückschreckten Klage zu erheben und die Täter straflos blieben, sei Teil der Methode.

Nach Mursis Absetzung im Juli 2013 kam der heutige Staatschef al-Sisi an die Macht, der beim Sturz Mursis Armeechef war. Er hatte angekündigt, Mursis Muslimbruderschaft auslöschen zu wollen. Seither wurden mehr als 1.400 Mursi-Anhänger getötet und mehr als 15.000 weitere inhaftiert. Am Samstag wurden Mursi und mehr als hundert weitere Angeklagte in einem Prozess um Gefängnisausbrüche und Gewalt gegen Polizisten zum Tode verurteilt. Die Urteile lösten wie bereits frühere Massenprozesse, bei denen im Schnellverfahren hunderte Islamisten zum Tode verurteilt wurden, internationale Proteste aus.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 20. Mai 2015


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