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Platz im Knast

Ägypten: Nach Ausweisung von Al-Dschasira-Reporter weitere Freilassungen angekündigt. Verhaftungswelle gegen Islamisten erwartet

Von Sofian Philip Naceur, Kairo *

Nach monatelangen Spekulationen über die Freilassung politischer Gefangener und inhaftierter Journalisten ist am Wochenende Bewegung in den Fall dreier Reporter des in Katar ansässigen TV-Senders Al-Dschasira gekommen. Am Sonntag wurde der australische Korrespondent des englischsprachigen Ablegers des Senders, Peter Greste, nach 400 Tagen Haft auf freien Fuß gesetzt und abgeschoben. Der kanadisch-ägyptische Kairoer Bürochef von Al-Dschasira, Mohammed Fahmy, und der ägyptische Produzent Baher Mohammed verbleiben weiter in Haft. Die drei Journalisten waren am 29. Dezember 2013 in Kairo verhaftet und im Juni 2014 zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Ihnen wird vorgeworfen, die verbotene Muslimbruderschaft unterstützt und Falschnachrichten verbreitet zu haben. Mohammed wird zusätzlich der Besitz von Waffen zur Last gelegt.

Am 1. Januar hatte Ägyptens höchstes Berufungsgericht ein Revisionsverfahren gegen die drei zugelassen und damit Spekulationen über eine baldige Freilassung von zumindest Fahmy und Greste genährt. Ägyptens Präsident Abdel Fattah Al-Sisi hatte im November ein Präsidialdekret erlassen, welches die Ausweisung ausländischer Gefangener erlaubt, sofern das den »nationalen Interessen« Ägyptens entspreche. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet mit Verweis auf Quellen im ägyptischen Außenministerium, eine Freilassung Fahmys stehe kurz bevor. Er müsse jedoch seine ägyptische Staatsbürgerschaft ablegen, damit das Präsidialdekret auch in seinem Fall angewendet werden könne. Mohammed hat keine Chancen auf eine Freilassung auf dieser Basis. Auch eine Begnadigung durch Al-Sisi gilt als unwahrscheinlich. In einer Stellungnahme begrüßt Al-Dschasira die Entlassung Grestes, fordert aber auch die Aufhebung der Urteile und Freiheit für Fahmy und Mohammed.

Der Umgang von Ägyptens Regierung mit Journalisten wird derweil weiter massiv kritisiert. Nach Angaben der Menschenrechtsgruppe Commitee to Protect Journalists sind derzeit mindestens elf weitere Reporter in Ägypten inhaftiert, unter anderem der ägyptische Fotojournalist Mohammed Abu Zeid genannt Shawkan. Letzterer wurde im Zuge der gewaltsamen Räumung eines Protestlagers der Muslimbruderschaft im Osten Kairos im August 2013 verhaftet und sitzt seither ohne Anklage in einem Kairoer Hochsicherheitsgefängnis.

Das Innenministerium hatte angekündigt, anlässlich des vierten Jahrestages des Ausbruchs der Revolte gegen Hosni Mubarak am 25. Januar Häftlinge freizulassen. Ihren Worten hatte die Behörde jedoch zunächst keine Taten folgen lassen. Am Sonntag verkündete Innenminister Mohammed Ibrahim nun, die Regierung plane die Freilassung von rund 500 Inhaftierten, und betonte, man wolle damit die »Konzentration von Gefangenen« in den überfüllten Haftanstalten reduzieren. Fraglich bleibt, ob und wie dies mit der jüngsten Anschlagswelle im Sinai zusammenhängt. Am Donnerstag hatten schwer bewaffnete Extremisten mehrere Armee- und Polizeieinrichtungen in Rafah, Sheikh Zuweid und Al-Arisch im Nordsinai attackiert und dabei nach offiziellen Angaben 30 Menschen getötet. Die Terrorgruppe Ansar Beit Al-Maqdis, die sich erst vor wenigen Wochen offiziell dem Islamischen Staat in Syrien und im Irak angeschlossen hatte, bekannte sich zu den Attentaten. Die ägyptische Zeitung Daily News berichtet mit Verweis auf Angaben von Anwohnern von über 100 Opfern.

Als Reaktion auf die Angriffe hatte am Samstag ein Kairoer Gericht die Kassam-Brigaden, den bewaffneten Arm der im Gaza-Streifen regierenden palästinensischen Hamas, zur Terrororganisation erklärt. Die Hamas selbst war bereits im März offiziell verboten worden. Ägypten wirft der Organisation vor, maßgeblich für die politisch motivierte Gewalt im Sinai verantwortlich zu sein. Nach der Anschlagswelle und dem Verbot der Kassam-Brigaden wird mit einer Verhaftungswelle gegen mutmaßliche Islamisten gerechnet. Es stellt sich daher die Frage, ob Ägyptens Regierung mit der Freilassung von Häftlingen, die nicht mit islamistischen Gruppen in Verbindung stehen, lediglich Platz in den überfüllten Gefängnissen des Landes schaffen will.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 3. Februar 2015


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