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Dutzende Tote und Verletzte bei Protesten in Ägypten. Söhne des ehemaligen Machthabers Mubarak aus Gefängnis entlassen

Von Sofian Philip Naceur, Kairo *

Ägypten feierte am Sonntag den vierten Jahrestag des Beginns der Massenproteste von 2011, die den viele Jahre regierenden Autokraten Hosni Mubarak aus dem Amt jagten. Doch zu feiern gab es wenig für die revolutionären Gruppen.

Die meist kleinen Versammlungen islamistischer und linksliberaler Gruppen wurden von Armee und Polizei landesweit blutig aufgelöst. Offiziellen Angaben zufolge wurden allein am Sonntag 23 Menschen getötet und mindestens 97 verletzt. Die schwersten Ausschreitungen zwischen islamistischen Demonstranten und Sicherheitskräften wurden aus Matariya gemeldet, einer Hochburg der Muslimbruderschaft im Nordosten der Hauptstadt Kairo. Mindestens elf Demonstranten sowie ein Polizist wurden bei den blutigen Zusammenstößen am Matariya-Platz im Herzen des Viertels getötet. Das zur Nachrichtenagentur Reuters gehörende Internetportal Aswat Masriya berichtete mit Verweis auf medizinische Quellen von mindestens fünf Opfern aus Matariya, die durch scharfe Munition am Kopf tödlich verletzt wurden.

Auch in Ain Shams im Osten der Hauptstadt, in Faysal im Süden Gizehs und in der Satellitenstadt »6. Oktober« kam es am späten Sonntagnachmittag zu teils heftigen Auseinandersetzungen zwischen meist islamistischen Demonstranten und schwer bewaffneten Polizeikräften.

Weitere Proteste wurden aus Alexandria, aus Minya in Oberägypten und mehreren Städten im Nildelta gemeldet. In Kairos Innenstadt löste die Polizei eine regimekritische Kundgebung linksliberaler Gruppen vor dem Haus des Journalistenverbands gewaltsam auf.

Während Polizei und Armee gegen islamistische Gruppen weiterhin konsequent scharfe Munition einsetzt, wird bei der Auflösung von Demonstrationen säkularer Bewegungen und Parteien meist auf Tränengas, Gummigeschosse und Schrotmunition zurückgegriffen. Bereits am Samstag erlag die 31jährige Shaimaa Al-Sabbagh ihren Verletzungen, nachdem sie aus kurzer Distanz von Schrot am Kopf getroffen wurde. Beobachtern zufolge hatten die Repressionsorgane ohne Vorwarnung das Feuer auf die kleine Demonstration eröffnet. Die rund 80 Anhänger der Partei Sozialistische Volksallianz wollten am nahe gelegenen Tahrir-Platz Blumen niederlegen. Der Tod Al-Sabbaghs löste einen Sturm der Entrüstung aus und hatte am Sonntag die Mobilisierung linksliberaler Aktivisten noch einmal verstärkt.

Am Sonntag wurden derweil in Gizeh zwei Polizisten von Unbekannten erschossen. In Beheira im Nildelta starben nach offiziellen Angaben zwei Menschen bei dem Versuch, eine Bombe vor einem Elektrizitätswerk zu deponieren. Das Innenministerium spricht von landesweit 516 Verhaftungen aus dem islamistischen, der Muslimbruderschaft nahe stehenden Lager. Ein führendes Mitglied der liberalen »Bewegung des 6. April« bestätigte gegenüber junge Welt die Verhaftung von fünf Mitgliedern der Organisation in Kairo durch Beamte in Zivil.

Derweil wartete Ägyptens säkulare Opposition am Sonntag vergeblich auf die von Präsident Abdel Fattah Al-Sisi angekündigte Begnadigung von über 550 politischen Häftlingen. Die Staatsanwaltschaft erklärte vergangene Woche man wolle rund 100 Studenten, die im Herbst 2014 im Zuge der wochenlangen Ausschreitungen an Ägyptens Universitäten verhaftet worden waren, aus den Gefängnissen entlassen. Doch Freilassungen politischer Häftlinge konnten bisher nicht bestätigt werden.

Mit Empörung wurde hingegen auf die Haftentlassung der beiden Mubarak-Söhne Alaa und Gamal reagiert. Mitte Januar hatte ein Gericht in Kairo dem Berufungsantrag Mubaraks und seiner zwei Söhne stattgegeben, den Prozess wegen Veruntreuung von Staatsgeldern neu aufzurollen. Anwälte und Menschenrechtler rechnen mit einem Freispruch. Mubarak und seine Söhne wären damit juristisch vollständig rehabilitiert.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 27. Januar 2015


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